
Horrorschule: Das Grauen in der Florida School for Boys
Schläge, Demütigungen, Folter bis zum Tod: Die USA waren schockiert, als bekannt wurde, was jahrzehntelang in der Florida School for Boys passiert war. Jetzt sind Forscher auf einen weiteren rätselhaften Todesfall gestoßen.
Viele der Jungen, die aus der Florida School for Boys zu entkommen versuchten, überlebten ihre Flucht nicht. "War dem Wetter ausgesetzt", stand auf einem der Totenscheine. "Wurde erschossen aufgefunden", hieß es auf einem anderen, oder: "Wurde vom Auto überfahren". Manchmal auch nur ganz schlicht: "Starb durch Gewalteinwirkung".
So wie Thomas Curry. Er wurde einen Tag nach seinem Ausbruch aus der Anstalt in der Kleinstadt Marianna im Dezember 1925 tot auf einer Eisenbahnbrücke gefunden. Der Leichenbeschauer vermerkte: "Wunde auf der Stirn, Schädel durch unbekannte Ursache eingeschlagen." Die sterblichen Überreste, so steht es in den Dokumenten, schickte man nach West Philadelphia, wo er ohne eigenen Stein im Grab seiner Urgroßeltern zu liegen kam.
Die Florida School for Boys, eine Anstalt für schwer erziehbare und verwaiste Jungen, wurde erst 2011 nach über hundertjährigem Bestehen geschlossen. Mit Entsetzen erfuhr die Öffentlichkeit, was dort in dieser Zeit geschah. Immer neue ehemalige Schüler berichteten von den Qualen, die sie dort jahrelang erdulden mussten. Schläge, Demütigungen und Folter bis hin zum Tod gehörten von der Gründung der Schule im Jahr 1900 bis zu ihrer Schließung zum Alltag. Viele der noch lebenden Opfer leiden bis heute unter den Folgen der Misshandlungen .
Bei der Aufarbeitung der Schulakten fielen Unstimmigkeiten auf. Nicht einmal die Anzahl der auf dem Schulgelände begrabenen Jungen stimmte mit den offiziellen Dokumenten der Anstalt überein. Als Archäologen das Gelände absuchten, entdeckten sie 55 Gräber - fast doppelt so viele wie in den Akten erwähnt.
Rätselhafter Totenschein
Jetzt sind Forscher auf ein weiteres Rätsel gestoßen. Für Thomas Curry fand sich eine Todesurkunde, die der Notiz des Leichenbeschauers widersprach. Auf ihr war vermerkt, dass Curry von einem Zug überfahren wurde. Die Unstimmigkeit war der Anlass für Erin Kimmerle von der University of South Florida, nach Philadelphia zu reisen. Bevor die forensische Anthropologin sich der toten Schüler der Florida School for Boys annahm, hatte sie bereits im Auftrag der Vereinten Nationen Massengräber im ehemaligen Jugoslawien untersucht. Nun hat sie sich zur Aufgabe gemacht, so viele Schicksale der toten Jungen aus Florida aufzuklären, wie möglich.
Tatsächlich fanden Kimmerle und ihr Team auf dem Old Cathedral Friedhof in West Philadelphia schnell das Grab der Urgroßeltern des Jungen. In etwa 1,80 Metern Tiefe stießen sie auf einen Sargdeckel. Darauf lagen ein kleines versilbertes Kreuz und eine verrottete schwarze Schleife - die Reste des Kranzes. Der Sarg war zwar stellenweise eingebrochen, doch gut genug erhalten, um die darin liegenden Knochen so gut zu schützen, dass die Todesursache - und mögliche Verletzungen durch Misshandlungen - noch zu erkennen wäre.
Kimmerle und ihr Team gruben weiter. Doch sie fanden keine Spur von Tom Curry. Kein Knochen, kein Zahn, kein Haar lag in dem Sarg, lediglich ein paar Holzscheite. Sie gruben weiter, bis sie das Namensschild des darunterliegenden Sargs fanden - dem von Thomas Currys Urgroßmutter. Damit hatten die Archäologen Gewissheit: Tom Curry war nie nach Philadelphia überführt worden. Die Schule hatte einen leeren Sarg geschickt - beschwert mit Holzscheiten, um das Gewicht des toten Jungen vorzutäuschen.
Wo ist Tom Currys Leiche?
Was war mit Tom Curry passiert? Das Leben des Jungen war schlimm genug gewesen. Am Neujahrstag 1916 hatte sein Vater Thomas im Streit seine Mutter Alma erschossen. Dann versuchte er, auch sich selbst umzubringen, und starb zwei Tage später an den Folgen. Der siebenjährige Tom wurde zu seiner Großmutter gebracht. Wie er von Philadelphia in den Süden kam, ist nicht bekannt. Aber in Florida griff ihn die Polizei auf - und der Junge landete in der Florida School for Boys.
Als er im Dezember 1925 starb, war er 15 oder 17 Jahre alt. Wollte die Schule die Ursache seines Todes verheimlichen? Verscharrte man seinen Leichnam hastig auf dem Schulgelände? Kimmerle hat DNA-Proben von heute lebenden Verwandten Tom Currys bekommen und hofft, darüber seine Knochen unter den 55 auf dem Gelände der Florida School for Boys geborgenen Schülerleichnamen identifizieren zu können. "Das ist traurig und enttäuschend", sagte sie am Ende der Friedhofsgrabung einem Reporter des "Philadelphia Inquirer". "Statt Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir jetzt nur noch mehr offene Fragen."