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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Susanne Götze

SPIEGEL-Klimabericht Warum die Extremwetter in Südeuropa ein Lehrbeispiel für Politikversagen sind

Susanne Götze
Ein Newsletter von Susanne Götze

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

hatten Sie vor, im Sommer Urlaub in Südeuropa zu machen? Dann sollten Sie noch mal genau überlegen, wohin die Reise geht. Statt türkisfarbener Pools und malerischer Altstädte könnten Sie an einigen Orten eher von der Klimakrisen-Realität überrascht werden. Die ist weniger malerisch: Ein Aperol auf verschlammten Terrassen oder eine Woche bei mehr als 30 Grad Celsius ohne fließend Wasser sind wahrscheinlich wenig erholsam.

Die verstörenden Szenen der vergangenen Wochen aus Italien, Spanien und Frankreich holen so manche aus ihrer Komfortzone. Langsam wird das mit dem Verdrängen wirklich schwierig.

Diese Woche hat es die Menschen an der Adriaküste erwischt: Nach heftigen Regenfällen in den Regionen Emilia-Romagna und Marken kam es zu teils dramatischen Überschwemmungen, mindestens 14 Menschen sind bereits gestorben, immer noch gibt es Vermisste. In einigen Gebieten der Emilia-Romagna fielen in 36 Stunden bis zu 50 Zentimeter Regen – das ist rund die Hälfte der jährlichen Menge. Auch in Bologna und Ravenna mussten 8000 Menschen ihr Zuhause verlassen, Zehntausende waren ohne Strom, Dutzende Städte und Gemeinden überschwemmt, zahlreiche Orte meldeten Erdrutsche.

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In der betroffenen Stadt Forlì flohen viele Einwohnerinnen und Einwohner barfuß und in Panik in der nächtlichen Dunkelheit vor den Wassermassen. Einigen reichte das Wasser laut einem AFP-Fotografen bis zur Brust. »Das ist das Ende der Welt«, schrieb Bürgermeister Gian Luca Zattini auf Facebook. Seine Stadt sei »am Boden«.

»Nichts wird jemals wieder sein wie zuvor, das zeigen die Geschehnisse dieser Stunden«, sagte der Minister für Zivilschutz Nello Musumeci. »Wenn der Erdboden für eine lange Zeit trocken bleibt, wird er nicht aufnahmefähiger, sondern zementiert.« Dann ströme das Regenwasser über die Oberfläche, »was absolut unvorstellbare Zerstörung bringt«. Und er fügte hinzu: Italien habe es zunehmend mit tropischem Wetter wie in Afrika zu tun, wo lange Dürreperioden von heftigen Regenfällen unterbrochen werden, die der ausgetrocknete Boden nicht aufnehmen kann.

DER SPIEGEL

Dass dies ein Politiker sagt, der zur extrem rechten Partei Fratelli d’Italia von Premierministerin Giorgia Meloni gehört, ist bemerkenswert. Jahrelang hatten gerade rechte Parteien in Europa den Klimaschutz ausgebremst. Meloni hatte allerdings schon im Wahlkampf angekündigt mehr für den Klimaschutz tun zu wollen.

Das wäre nun ein guter Anlass – allerdings ist die Lage in Italien recht komplex: Die Unwetter in Norditalien sind nicht nur Folge einer beispiellosen Winterdürre und von Starkregen, der laut Weltklimabericht in den kommenden Jahrzehnten häufiger und heftiger auftreten wird. An dem Ausmaß der Katastrophe ist auch jahrelanges politisches Fehlverhalten schuld. Italienische Behörden und Politiker taten bisher nicht nur wenig für Klimaanpassung, sondern gingen auch sonst recht respektlos mit der Natur um.

Gegenteil von Klimaanpassung: Brandrodung und Bauland an Hängen

Die Probleme sind also hausgemacht, die Klimakrise verschlimmert die Situation noch. Forschende warnen schon seit Jahren, dass Italien in Bezug auf Erdrutsche und Überflutungen eines der gefährdetsten Länder Europas ist. Seit den Fünfzigerjahren gab es dort mehr als eine halbe Million Erdrutsche, schreibt die Gruppe um den Geografen Philipp Blum in einer Studie , die erstmals eine europäische Datenbank erstellt hat.

Unbestritten ist, dass solche Erdrutsche wegen Klimawandelfolgen wie stärkere Regenfälle zunehmen. Doch es gebe noch einen weiteren Grund: Immer mehr Menschen siedeln sich laut den Forschenden an Hanglagen an. Neues Bauland bedeutet für die Gemeinden mehr Einnahmen. Auf den Grundstücken entstehen dann Wohnhäuser sowie Hotels oder Airbnb-Wohnungen mit tollem Bergblick. Auch der illegale Häuserbau boomt, oft gepaart mit Brandrodung, was die Berge noch instabiler macht. Solche Bauten sind so ziemlich das Gegenteil von Klimaanpassung.

Ähnliches lässt sich im Umgang mit Flüssen beobachten: »Überschwemmungen kann man nicht verhindern, aber wenn man aufhören würde, große Flächen zu versiegeln und die Flussauen in einen naturnahen Zustand zurückversetzen würde, dann wäre schon viel gewonnen«, erklärt Klimaforscher und einer der Autoren des Weltklimaberichtes, Wolfgang Cramer gegenüber dem SPIEGEL.

Erdrutsch nach Starkregen in Fiorenzuola, nordöstlich von Genua

Erdrutsch nach Starkregen in Fiorenzuola, nordöstlich von Genua

Foto: Jennifer Lorenzini / REUTERS

Im Fall von Italien kommen derzeit zudem zwei Krisen zusammen: die Flut und die Wasserknappheit. Wissenschaftler warnen, im Mittelmeerraum könne die Trockenheit in diesem Sommer die Rekorddürre des Vorjahres übertreffen. Norditalien fehlten nach zwei Jahren der Wasserknappheit 70 Prozent der Schneewasserreserven. Die Bodenfeuchtigkeit sei an vielen Orten um rund 40 Prozent gesunken. Ein derartiger Wassermangel könnte eine Situation wie im vergangenen Jahr auslösen.

Laut Antonello Pasini, Klimawissenschaftler des Nationalen Forschungsrats Italiens, zeichne sich ein Trend ab: »Es gibt eine Zunahme der Niederschlagsmenge pro Jahr, aber gleichzeitig eine Abnahme der Anzahl der Regentage und eine Zunahme der Regenintensität an den wenigen Tagen, an denen es regnet.«

Das letzte Wasser für Export-Erdbeeren

Ähnliches ist derzeit in Spanien zu beobachten – auch dort geht es ums Wasser. Und auch dort reagieren Politiker fahrlässig auf die Folgen des Klimawandels. Auf der iberischen Halbinsel ist es so trocken wie seit mindestens 1200 Jahren nicht. In Südspanien wird enorm viel Gemüse und Obst angebaut, jetzt geht den Landwirten das Wasser aus.

Für den Anbau von Erdbeeren, die vor allem in Deutschland gegessen werden, soll nun in Andalusien ein Naturparadies geopfert werden. In dem 1969 gegründeten Nationalpark Doñana im Südwesten des Landes, der gut 122.000 Hektar umfasst und damit etwa halb so groß wie das Saarland ist, geht der Grundwasserspiegel schon seit Jahren dramatisch zurück. Der Grund: Legale und illegale Brunnen werden benutzt, um große Wassermengen vor allem für Frucht- und Gemüseplantagen sowie für den Tourismus abzuzweigen. Weil gerade Wahlkampf ist, stellt sich die konservative Regionalregierung nun in dem Wasserstreit auf die Seite der Bauern. Sie will die zulässige Anbaufläche für Erdbeeren um weitere rund 800 Hektar erweitern.

Im vergangenen Sommer haben die Behörden rund 71 illegal gebohrte Brunnen versiegelt. Allerdings bohren die betroffenen Bauern oft neue Brunnen – die Erträge, die sich mit Erdbeeren erzielen lassen, sind höher als die Bußgelder. Die Gewinne sind auch der Grund, warum die Politik kaum eingreift.

In Spanien könnten Pools in diesem Jahr oft leer bleiben – die Wasserreserven nehmen rapide ab

In Spanien könnten Pools in diesem Jahr oft leer bleiben – die Wasserreserven nehmen rapide ab

Foto: Nacho Doce / REUTERS

Spanien ist daher mittendrin im Kampf um die Ressource Wasser. Dort geht es nicht »nur« um einen Nationalpark – der übrigens erheblich zur Kühlung der Umgebung beiträgt und als Feuchtgebiet CO₂ bindet – sondern auch die Frage der gerechten Verteilung knapper werdender Ressourcen. Sollte man seine letzten Wasserreserven für Exportfrüchte vergeuden? Oder sollte man eher überlegen, den Landwirten Anbaualternativen anzubieten und sie in klimaangepasster Landwirtschaft zu schulen?

Die Beispiele zeigen exemplarisch, was bei den Maßnahmen zum Klimaschutz und der Anpassung an die Folgen falsch läuft: Riskante Entscheidungen werden für kurzfristige Profite etwa im Tourismus-Geschäft, in der Landwirtschaft und der Immobilienbranche gefällt, für die am Ende die Allgemeinheit geradestehen muss. Denn den Katastrophenschutz, die Gesundheitsversorgung und Hilfe für den Wiederaufbau bezahlen wir alle – nicht die Unternehmen. Vorsorge ist deshalb im Interesse der Gemeinschaft.

»Vermeidung einer weiteren Verschärfung der Klimakrise und Anpassung an das, was nicht vermieden werden kann – beides ist extrem wichtig«, kommentiert auch Weltklimarat-Forscher Cramer. In der Klimaforschung weise man inzwischen seit 30 Jahren auf genau diese Risiken hin. »Es bleibt unverständlich, warum eine engagiertere Politik trotzdem auch heute noch fehlt.«

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Südeuropa in der Wasserkrise: Wasserreservoir Rialb in Spanien

Südeuropa in der Wasserkrise: Wasserreservoir Rialb in Spanien

Foto: Nacho Doce / REUTERS

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Ein natürlicher Effekt verstärkt die menschengemachte Klimakrise. Laut der Weltwetterorganisation WMO setzt im Winter die wärmende Zirkulation El Niño ein. Neue Temperaturrekorde sind dann äußerst wahrscheinlich.

Überschwemmungen in Italien: Erst trockneten Flüsse aus, nun reißen sie alles mit sich
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Die Argumente gegen Klimaschutz wiederholen sich immer wieder. Wer das Tempo bei der Klimapolitik drosselt, wer von der Verzögerung profitiert und welche Interessen dahinterstecken – hier hören Sie es.

Große Übersichtstudie: Landwirtschaft ist Hauptursache für den Vogelschwund
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Knapp 20 Prozent der Feinstaubemissionen entfallen laut dem Umweltbundesamt auf Holzheizungen – das entspreche dem Ausstoß des Straßenverkehrs. Der Behördenchef fordert strengere Standards.

Kampagne »Fairheizen«: Wie die CDU unsere Zukunft verheizt hat 
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Grüner Lobbyismus: Dieses Öko-Netzwerk dominiert die deutsche Klimapolitik 
Staatssekretär Patrick Graichen ist Teil eines mächtigen Netzwerks. Mit modernen Methoden und reichen Hinterleuten prägt es den öffentlichen Diskurs. Teils verwischt die Grenze zwischen Lobbyismus und Politik.

Bleiben Sie zuversichtlich,

Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft

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