Forensik-Studie zur Verwesung Wie der Mensch zu Staub zerfällt

An der Verwesung von Leichen sind zahlreiche Mikroorganismen beteiligt. Sie arbeiten gleichmäßig wie eine Uhr, enthüllt eine neue Studie. Die Erkenntnisse könnten Forensikern bei der Aufklärung von Verbrechen helfen.
Menschlicher Schädel: "Vor uns allen liegt noch sehr viel Arbeit"

Menschlicher Schädel: "Vor uns allen liegt noch sehr viel Arbeit"

Foto: Corbis

"Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub" - diese Formel gibt es auf etlichen Beerdigungen zu hören. Doch was genau passiert, wenn ein Körper "zu Staub zerfällt"? Die Antwort auf diese Frage ist bisher wenig erforscht. Wissenschaftler von der University of Colorado haben jetzt die Arbeit der Mikroorganismen analysiert, die bei der Verwesung eine Rolle spielen. Die Erkenntnisse könnten Forensikern langfristig dabei helfen, Verbrechen besser aufzuklären und den Todeszeitpunkt einer Leiche genauer zu bestimmen.

Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler die Verwesung menschlicher Überreste unter verschiedenen Bedingungen. Dafür nutzten sie ein eigens für solche Versuche angelegtes Testgelände bei Huntsville im US-Bundesstaat Texas - die Southeast Texas Applied Forensic Science Facility (STAFS). Dort werden tote Menschen, die ihren Körper der Universität gestiftet haben, unter kontrollierten Bedingungen abgelegt oder vergraben.

Über einen Zeitraum von bis zu 20 Wochen identifizierten die Forscher per Genanalysen die Mikroorganismen in vier Leichen und den angrenzenden Böden. Zum Vergleich beobachteten sie zusätzlich den Zerfall von 126 toten Mäusen.

Dabei fanden die Forscher heraus: Die Mikroorganismen, die bei der Verwesung aktiv werden, lauern im Boden - und das unabhängig davon, zu welcher Jahreszeit und in welcher Erde ein Körper vergraben wird. Bisher waren Experten der Meinung, dass der größte Teil der an der Verwesung beteiligten Keime aus dem Körper eines Toten selbst stammt. Das ist aber nur zum Teil der Fall. Andere Mikroorganismen gelangten über die Beine von Schmeißfliegen (Calliphoridae) an die Leichen.

Zu den identifizierten Mikroben zählten - je nach Stadium - Bakterien, Fadenwürmer (Nematoda), Pilze wie Eurotiales oder Ascomycota sowie Kinetoplastida, bestimmte Einzeller.

"Die Forscher haben eine neue Tür aufgestoßen"

Die Erkenntnisse der Studie sollen es möglich machen, den Todeszeitpunkt einer Leiche besser bestimmen zu können. Der Grund dafür: Die Aktivitäten der Mikrobengemeinschaften bei der Zersetzung eines Körpers liefen ähnlich gleichmäßig ab wie eine Uhr, schreibt das Team um Jessica Metcalf im Fachblatt "Science". 

Wenn der Körper eines Säugetiers verwest, ob von Mäusen, Schweinen und Menschen, folgten die Mikroben immer einer bestimmten Reihenfolge, so die Forscher. Bei Menschen konnten die Wissenschaftler anhand der Mikroben die Todeszeit nach 25 Tagen auf zwei bis vier Tage genau bestimmen.

Die Analyse ähnele der bisher gängigen forensischen Entomologie, schreiben die Autoren. Diese beruht vor allem darauf, dass bestimmte Insekten wie Fliegen Eier in einen Leichnam legen. Die Entwicklungsstadien der Insekten können Aufschluss über die Todeszeit geben. Dieses Vorgehen hängt jedoch stark von der Jahreszeit ab sowie davon, ob diese Fliegen an einen Kadaver gelangen oder nicht.

Mit der aktuellen Untersuchung halte die moderne Mikrobiologie Einzug in die Forensik, kommentiert der deutsche Kriminalbiologe Mark Benecke die Arbeit. Der Forensiker glaubt allerdings nicht, dass dieser Ansatz in absehbarer Zeit angewandt wird. "Angesichts der Vielfalt der Mikrobengemeinschaften sind unsere Kenntnisse darüber noch viel zu gering", sagt Benecke. "Die Forscher haben eine neue Tür aufgestoßen, aber vor uns allen liegt noch sehr viel Arbeit."

joe/dpa

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