Fusionsreaktor Iter 10 Milliarden Euro für das teuerste Experiment auf Erden
Kernfusion ist die Energiequelle der Zukunft - und wird es immer bleiben. Diese spöttische Redensart von Fusions-Skeptikern griff auch das Wissenschaftsmagazin "Science" auf, als es im vergangenen Monat beschrieb, was heute in Paris unterzeichnet wurde: "Iters 12-Milliarden-Dollar-Glücksspiel".
Im Pariser Elyséepalast unterzeichneten heute die Vertreter der EU und sechs anderer Staaten den Vertrag zum Bau des fünf Milliarden Euro teuren Forschungsreaktors in Cadarache in Südfrankreich. Im Wald von Saint-Paul-lez-Durance soll eine Lichtung geschlagen und in den nächsten 20 Jahren ein 20.000 Tonnen schweres Experiment aufgebaut werden - der International Thermonuclear Experimental Reactor (Iter). Hauptfinanzier ist die Europäische Union mit den USA, Russland, China, Japan, Indien und Südkorea als Projektpartner. Die Unterzeichner von Paris repräsentierten mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.
"Die Zusammenarbeit ist unverzichtbar", sagte Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete Iter als Antwort auf die "doppelte Herausforderung" der Energiesicherheit und des Klimawandels. Der Japaner Kaname Ikeda, der als Iter-Generaldirektor nominiert ist, schwärmte von "internationaler Kooperation zur Schaffung einer neuen Energiequelle für die Menschheit".
Ewigkeitsprojekt, Geldschlucker oder Energieverheißung? Was heute in Paris besiegelt wurde, ist kein industrieller Prototyp, sondern ein wissenschaftliches Experiment - mit allen Unwägbarkeiten.
Laufzeit lange, Ausgang offen
"Wenn es gebaut werden kann, würde ein Fusionskraftwerk keine Treibhausgase ausstoßen und nur geringe Mengen radioaktiven Abfalls produzieren, es könnte in keiner Kettenreaktion explodieren, und sein Brennstoff kommt in praktisch endloser Menge in Meerwasser vor", hieß es in "Science".
Fusionsreaktor
Bei der Kernfusion verschmelzen die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium unter Freisetzung großer Mengen Energie zu Helium. Deuterium ist zu einem kleinen Anteil in gewöhnlichem Wasser enthalten, Tritium muss der Reaktor selbst erzeugen, etwa aus Sand. Ein Gramm Brennstoff könnte nach Angaben des an "Iter" beteiligten Max-Planck-Instuituts für Plasmaphysik (IPP) in einem Kraftwerk 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugen - die Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle. Sie wird abgeleitet und in Turbinen zur Stromerzeugung genutzt
Im Inneren der Sonne geschieht die Kernfusion unter dem ungeheuren Druck der Masse des Sterns. Im Fusionsreaktor muss der Mangel an Druck durch Temperatur ausgeglichen werden. Dort herrscht nur ein Druck von fünf Atmosphären. Dafür wird die Temperatur rund 100 Millionen Grad Celsius erreichen müssen.
Wie das am besten bewerkstelligt werden kann, wissen die Forscher noch nicht. Deshalb werden in "Iter" unterschiedliche Technologien eingebaut, die das Plasma aufheizen sollen - per Elektronenstrahl, Ionenstrahl oder Mikrowelle zum Beispiel. Bei "Wendelstein 7-X" kommen Mikrowellenstrahlen zum Einsatz.
"Natürlich gibt es ein Risiko-Element dabei", sagte Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching zu "Science". "Ich bin zu über 90 Prozent zuversichtlich, dass wir ein Fusionsplasma erzeugen werden. Aber ich bin mir viel unsicherer, ob daraus ein brauchbarer Fusionsreaktor wird."
Erstmals hatte 1991 der europäische Forschungsreaktor Jet (Joint European Torus) bei Oxford eine nennenswerte Fusionsleistung erzeugt, acht Jahre nach seiner Inbetriebnahme. Es ist der größte existierende Reaktor im sogenannten Tokamak-Design, nach dem auch der Iter gebaut werden soll. 1997 erzeugte er 16 Megawatt an Leistung - aber das waren bloß 65 Prozent der Energie, die benötigt wurden, um die Fusion am Laufen zu halten. Iter ist doppelt so groß wie Jet und soll dessen Unzulänglichkeiten nicht mehr haben.
In dem kleinen Tokamak-Reaktor sind die Physiker auf Probleme gestoßen, von denen sie glauben, dass sie sich in größeren Dimensionen überwinden lassen. Iter soll 500 Megawatt an Leistung produzieren - dies entspräche der Leistung eines kleineren Kernkraftwerks. Nur ein Zehntel davon würde für die Fusion benötigt, wenn die Pläne sich wirklich vom Reißbrett in die Realität übertragen lassen. Tatsächlich müsste ein wirtschaftliches Fusionskraftwerk aber noch um ein Mehrfaches größer sein und jahrelang ohne Unterbrechung laufen. Die heute zugesicherten zehn Milliarden Euro - rund fünf für den Bau und etwa die gleiche Summe für 20 Jahre Betrieb - sind der Preis für die Antwort auf die Machbarkeitsfrage.
Schavan soll mehr Argumente liefern
Abgesehen von der Internationalen Raumstation ISS ist Iter mit seinem veranschlagten Gesamtpreis von rund 10 Milliarden Euro das teuerste wissenschaftliche Experiment der Welt. Kritiker bemängeln, dieses Geld könnte anderswo besser ausgegeben werden.
Im gegenwärtigen Forschungsrahmenprogramm der EU, das noch bis Ende 2006 läuft, sind zwischen 500 und 600 Millionen Euro für die Förderung erneuerbarer Energien eingeplant. Für das nächste Rahmenprogramm, das von 2007 und 2013 läuft und noch nicht endgültig beschlossen ist, fordert das EU-Parlament immerhin 1,6 Milliarden Euro. An den insgesamt wohl rund 10 Milliarden Euro für Iter ist die EU mit rund 50 Prozent beteiligt.
Als im vergangenen Jahr das diplomatische Zerren um Iter ein Ende hatte - man hatte sich auf den Standort Cadarache geeinigt, die USA waren wieder und Indien neu dabei -, kritisierte Irm Pontenagel, Geschäftsführerin vom Dachverband Eurosolar: "Statt den Fusionsreaktor Sonne auf der Erde nachzubauen, sollte die Energie der existierenden Sonne auf der Erde genutzt werden - als Licht- und Wärmestrahlung, in Form von Wind- und Wasserkraft, Biomasse und Geothermie." Die Europäische Vereinigung für erneuerbare Energien verweist ebenfalls auf die radioaktiven Abfälle, die auch ein Fusionsreaktor erzeuge.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sprach von einem "verrückten Projekt". Die französische Anti-Atominitiative Sortir du Nucléaire betonte allerdings auch, dass die Abfälle aus dem Iter-Betrieb nur einige Hundert Jahre lang strahlen würden.
Selbst Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), die noch letzten Monat eine "wirklich konsequente Weiterentwicklung der Fusionsforschung" gefordert hatte, erlitt in Berlin einen Rückschlag. Zusätzliche Fördermittel in Höhe von elf Millionen Euro wollte die Bundesregierung in die Fusionsforschung stecken. Doch die Sozialdemokraten in der großen Koalition haben die Hälfte dieser Summe mit einem sogenannten Sperrvermerk versehen lassen: Schavan soll bis Ende des Jahres zusätzliche Argumente für die Fusionsforschung vorlegen, damit das Geld freigegeben wird.
Am Iter-Projekt sind unter anderem deutsche Forscher das IPP, des Forschungszentrums Jülich und der Greifswalder Außenstelle des Garchinger Max-Planck-Instituts beteiligt. Hier entsteht bis 2010 für 300 Millionen Euro das Kernfusionsexperiment Wendelstein 7X, das auch Tests für Iter übernehmen wird.
stx/AFP/AP/dpa