Fußballsimulation Warum Bayer wahrscheinlich Meister wird

Auf dem Fußballplatz passieren verrückte Dinge, manchmal sogar Wunder - umso erstaunlicher, dass ein Physiker glaubt, Ergebnisse vorausberechnen zu können. Ein Fußballspiel ähnelt seinem Modell zufolge einem Gewitter, Meister wird vermutlich Leverkusen. SPIEGEL ONLINE zeigt seine Prognose.
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Fußballtheorie: Kicken als Poissonprozess

Foto: Martin Rose/ Bongarts/Getty Images

Mit Können allein kann man kein Fußballspiel gewinnen. Oft entscheiden Glück oder Pech über das Ergebnis. Ob ein Ball vom Pfosten ins Tor springt oder zurück ins Feld, ist Millimetersache. Selbst eine Papierkugel hat schon spielentscheidende Akzente gesetzt.

Mehrfach haben Forscher versucht, den Einfluss des Glücks beim Fußball zu berechnen. Der Hamburger Bankkaufmann Jörn Quitzau  hat Wettquoten genutzt. Immer wenn das Spiel anders ausging, als es die Quoten nahelegten, galt das Ergebnis als überraschend oder zufällig. Für die Bundesliga-Saison 2007/2008 errechnete Quitzau so eine Überraschungsquote von 53 Prozent. Eli Ben-Naim vom Los Alamos National Laboratory hatte 2005 mit einer anderen Methode für die britische Premier League eine Quote von knapp 46 Prozent ermittelt.

Andreas Heuer, Physikprofessor von der Universität Münster, hat nun ein Modell der Bundesliga vorgelegt, mit dem er sogar vorhersagen will, welches Team mit welcher Wahrscheinlichkeit Meister wird - und wer sich schon jetzt auf den Abstieg einstellen kann. Die Chancen von Bayer Leverkusen auf den Titel stehen demnach derzeit bei 50 Prozent, gefolgt von Bayern München mit 38 und dem FC Schalke mit 11 Prozent. Hertha BSC landet mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent auf einem der Abstiegsränge (siehe Tabelle unten).

Heuers Modell ist das Ergebnis einer detaillierten Analyse von Bundesligaspielen. Der Ausgang einer Begegnung hängt demnach von Spielstärke und Tagesform beider Teams ab - und natürlich vom Zufall. "Die Tagesform hat jedoch nur einen kleinen Einfluss", sagt Heuer im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Entscheidend seien die Spielstärke und das Glück. Die Studie erscheint demnächst im Fachblatt "Europhysics Letters", auf arxiv.org  ist sie schon abrufbar.

So endet die Bundesliga 2009/2010

Meister 1-3 1-5 16-18 Punkte Tordiff.
Leverkusen 50,2% 96,4% 99,9% 44 29
München 38,2% 94,9% 99,8% 42 25
Schalke 10,7% 75,3% 97,4% 41 16
Dortmund 0,4% 12,7% 68,6% 36 5
Hamburg 0,4% 15,9% 75,2% 35 16
Bremen 0,1% 4,3% 42,5% 28 13
Frankfurt 1,5% 0,8% 28 -2
Mainz 0,1% 2,5% 0,8% 27 -5
Hoffenheim 0,2% 5,6% 0,3% 25 3
Stuttgart 0,1% 2,0% 0,5% 25 -1
Wolfsburg 0,1% 4,1% 0,4% 25 -3
M'gladbach 0,4% 3,8% 25 -5
Köln 0,3% 4,3% 24 -4
Bochum 17,7% 21 -14
Freiburg 44,7% 18 -19
Hannover 63,8% 17 -12
Nürnberg 67,7% 16 -19
Berlin 95,0% 11 -23
Die Prognose beruht auf den Ergebnissen bis einschließlich des 20. Spieltags der Bundesliga (Stand: 31. Januar 2010). 1-3 steht für das Erreichen der Ränge 1 bis 3.

Die Spielstärke einer Mannschaft spiegelt sich verblüffenderweise nicht in der Punktzahl der Tabelle wider, sondern in der Tordifferenz. "Das haben unsere statistischen Analysen gezeigt", sagt Heuer. "Schaut man nämlich auf die Punktzahl am Ende einer Saison, so hängt sie zu 38 Prozent vom Zufall und zu 62 Prozent von der Leistung ab. Bei der Tordifferenz beträgt der Leistungsanteil immerhin 70 Prozent."

Die statistische Analyse der Spielstärke erlaubt interessante Rückschlüsse. So ändert sich die Leistungsstärke einer Mannschaft während einer Saison praktisch nicht, sondern nur während der Sommerpause - also in dem Zeitraum, in dem die meisten Transfers vollzogen werden. Wenn eine Mannschaft nicht konstant spielt, dann dürfte dies also in erster Linie mit Glück und Pech zu tun haben.

Wie aber lässt sich der Zufall beim Fußball modellieren? Die mathematisch beste Lösung ist laut Heuer ein sogenannter Poisson-Prozess . Bei einem solchen Prozess weiß man, dass in einer bestimmten Zeiteinheit im Durchschnitt x Ereignisse eintreten - zum Beispiel Tore. Die Zahl x ist jedoch nur ein Erwartungswert. Es können mal mehr, mal weniger sein.

Ein Paradebeispiel für einen Poisson-Prozess sind die jährlichen Blitzeinschläge in einem Gebiet. Die mittlere Blitzzahl kann man leicht aus historischen Daten errechnen. Wie viele es aber im kommenden Jahr sein werden oder wann sie auftreten, lässt sich nicht vorhersagen.

Auf das Fußballmodell übertragen, bedeutet das: Teams wie Bayern München oder Bayer Leverkusen lassen im Mittel mehr Blitze krachen als Abstiegskandidaten. Bei Spitzenmannschaften darf man in 90 Minuten mit mehr geschossenen Toren rechnen, die genaue Zahl in einem konkreten Spiel ist freilich zufällig. Deshalb können Regionalligisten auch mal Bayern oder den HSV schlagen.

Näherungsweise lassen sich Glück und Pech beim Fußball auch mit Würfeln modellieren. Eine starke Mannschaft darf öfter würfeln als eine schwache. Immer wenn eine Sechs fällt, zählt dies als Tor. Diese These hatte der Physiker aus Münster schon Anfang 2008 vorgestellt.

10.000 Mal durchgespielt

Heuer und sein Kollege Oliver Rubner berücksichtigen in ihrer Bundesligasimulation mehrere Spielzeiten. Die aktuelle Stärke einer Mannschaft ergibt sich aus dem Abschneiden in der laufenden Saison und den Ergebnissen der vergangenen drei Jahre. Mit diesen Daten können die Forscher dann die noch fehlenden Begegnungen bis zum Saisonende vom Computer ausspielen lassen.

Weil dabei der Zufall in Gestalt eines Poisson-Prozesses eine große Rolle spielt, simulieren die Physiker sämtliche verbleibenden Partien 10.000 Mal, wobei sich jedes Mal eine andere Abschlusstabelle ergibt. Wie oft eine Mannschaft dabei auf Platz eins landet, bestimmt dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich Meister wird. Im konkreten Fall stand Leverkusen in mehr als 5000 Fällen am Ende ganz oben - das Team ist damit Heuers Favorit.

Sein Modell hat Heuer an früheren Spielzeiten getestet und nach eigenen Angaben gute Ergebnisse erzielt. Die Methode sei nahe am Optimum dessen, was man trotz des - natürlich immer noch vorhandenen - Zufallsfaktors an Genauigkeit erwarten könne.

Beim Blick auf seine aktuelle Prognose verblüfft zunächst eines: Die immer noch relativ gute Chance von Werder Bremen, am Saisonende unter die ersten fünf zu kommen. Sie liegt bei immerhin 43 Prozent. Dabei haben viele das Team nach den desaströsen Leistungen der vergangenen Spieltage längst abgeschrieben. Bei näherem Hinsehen wird allerdings klar, dass solche Serien, sofern sie relativ kurz sind, statistisch nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Werden sie dagegen länger, verändern sie den Spielstärke-Faktor der Mannschaft.

"Die Bremen-Prognose hat neben der guten Historie insbesondere damit zu tun, dass die aktuelle Tordifferenz relativ gut ist - und sich eben die Tordifferenz als die sinnvollste Basis für Prognosezwecke erwiesen hat", erklärt Heuer. Bremen steht derzeit mit 37 zu 24 Toren auf Rang sechs. Dortmund auf Rang vier hat acht Punkte mehr, aber nur eine Tordifferenz von 28 zu 23. "Als Dortmunder", sagt Heuer, "sehe ich das mit gewisser Sorge."

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