Gedächtnis-Forschung Menschen sind auch nur Computer
"Unsere Forschung lässt uns genauer verstehen, wie der Mensch Erinnerungen schafft und sie wieder aufruft", sagt Matthew Walker, Referent am Beth Israel Deaconess Medical Center, einer Schwestergesellschaft der Harvard Medical School. Der Wissenschaftler und seine Kollegen haben herausgefunden, wie Menschen Erinnerungen speichern - und sie sogar verändern können. Die Ergebnisse ihrer Studie stellen sie in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Nature" vor.
Das menschliche Gehirn funktioniert demnach ähnlich wie ein Rechner. "Eine Erinnerung entsteht wie eine Text-Datei auf einem Computer", erklärt Walker. "Wenn man die Datei nicht speichert, bevor man den Computer ausschaltet, ist sie verloren."
Sechsstündige Wachphase entscheidend
Die Forscher haben vor allem die so genannten "Wie"-Erinnerungen analysiert, die Koordinationsfähigkeiten wie Auto fahren oder das Spielen eines Musikinstruments erlernen lassen. "Das ist genau der Teil der Erinnerungen, den wir oft als selbstverständlich erachten", sagt Walker. "Aber Menschen mit neurologischen Schäden merken unmittelbar, wie wichtig dieser Teil in unserem täglichen Leben ist."
Um die verschiedenen Stufen des Erinnerns zu erforschen, haben die Wissenschaftler 100 Testpersonen zwischen 18 und 27 Jahren unter anderem verschiedene Abfolgen von Ziffern beigebracht. Die Lerneinheiten haben sie an verschiedenen Zeitpunkten des Schlaf-Wach-Rhythmus und in unterschiedlichen zeitlichen Abständen durchgeführt. "Der menschliche Körper muss in einer Wachphase von mindestens sechs Stunden sein", erläutert Walker. "Dann erst ist das Gehirn in der Lage, die 'Speichern'-Taste zu drücken und die Datei auf der Festplatte abzulegen." Das dauere allerdings nicht ein paar Sekunden, sondern mehrere Stunden.
Therapie-Chancen für psychisch Kranke
Der Schlaf spielt nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler eine wichtige Rolle bei der Verfestigung der Erinnerungen im Gedächtnis. Versuchsteilnehmer, die nach einer geruhsamen Nacht am nächsten Tag getestet wurden, konnten sich wesentlich besser an die Zahlenreihen erinnern als noch am Abend zuvor. "Wenn man nicht die ganze Nacht schlafen kann, beraubt man sein Gehirn der Möglichkeit, Sachverhalte zu erlernen", so Walker.
Die dritte und letzte Stufe ist die Erinnerungsphase, welche die Veränderungen möglich macht. "Wir konnten feststellen, dass eine Fähigkeit, die zunächst gespeichert und verfestigt worden war, nun formbar und so in einem neuen Zusammenhang verändert werden konnten." Auf diese Weise könne nach und nach zum Beispiel das Beherrschen eines Instruments verfeinert werden.
Die Erkenntnisse über diesen letzten Schritt könnten eine bessere Behandlung von Patienten mit psychologischen Schäden wie dem post-traumatischem Stress-Syndrom ermöglichen. "Bei dieser Krankheit leben Patienten mit Erinnerungen, die negative Assoziationen und somit eine Fehlfunktion auslösen. Wir versuchen in der Verhaltenstherapie, die Patienten diese Erinnerungen durchleben zu lassen und dann mit ihnen darüber zu reden." Durch die Aufarbeitung sollen die Patienten die ehemals erlernten Fähigkeiten wieder ohne Probleme ausführen können.