Gedächtnisverlust Erinnerungen verschwinden, Emotionen bleiben

Gefühle sind standhafter als Erinnerungen. Dies haben Forscher in einem Experiment mit Patienten beobachtet, die unter schwerem Gedächtnisverlust leiden. Erlebte Emotionen verschwinden im Gegensatz zur Erinnerung an das aufwühlende Erlebnis nicht.
Trauernde Frau (Archivbild): Gefühle können Erinnerungen überdauern

Trauernde Frau (Archivbild): Gefühle können Erinnerungen überdauern

Foto: ENRIQUE CASTRO-MENDIVIL/ REUTERS

Was passiert mit Emotionen, wenn man gar nicht mehr weiß, was sie ausgelöst hat? Die gängige Annahme ist: Sie verschwinden, denn Erinnerung und Gemütsregungen sind untrennbar miteinander verbunden. Als Beleg dafür gelten unter anderem Menschen mit Depressionen oder posttraumatischem Stress. Sie haben für gewöhnlich die Angewohnheit, über die Gründe für ihre schlechten Gefühle nachzugrübeln und geraten dadurch noch stärker in ein seelisches Tief. Dies deutet darauf hin, dass diese Traurigkeitsgefühle stark abhängig von der Erinnerung an die belastenden Ereignisse sind.

Wissenschaftler haben jetzt aber herausgefunden, dass durch bestimmte Ereignisse ausgelöste Gefühle weiterexistieren, obwohl das Erlebte selbst schon längst vergessen ist. Justin Feinstein von der University of Iowa in Iowa City und seine Kollegen hatten Patienten mit Gedächtnisverlust untersucht, die von einer Verletzung des Hippocampus verursacht wird. Diese Region im Großhirn (siehe Kasten links) ist für das Abspeichern von neuen Erfahrungen zuständig.

Die Forscher zeigten den Probanden jeweils einen kurzen Film. Einer davon war lustig, im anderen Film war die Grundstimmung traurig. Fünf bis zehn Minuten nach Filmende wurden die Versuchspersonen über Details befragt. Wie erwartet, erinnerten sich die Probanden kaum mehr an den Film, denn die Schädigung im Hippocampus führt dazu, dass sie Erlebtes auch gleich wieder vergessen. Vier der fünf Probanden konnten sich maximal fünf Details vergegenwärtigen, berichten die Forscher im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences" . Personen aus einer Kontrollgruppe mit unbeschädigtem Gehirn erinnerten sich im Schnitt an 30 Details.

Dennoch verspürten die Amnesie-Probanden noch längere Zeit nach Filmende Gefühle der Freude oder Traurigkeit, je nachdem, ob sie den deprimierenden oder lustigen Film gesehen hatten. Entgegen verbreiteter Vermutungen bedeutet also eine gelöschte Erinnerung nicht, dass auch die damit verknüpften Gefühle verschwunden sind. Zudem zeigten die Resultate, dass ein liebe- und respektvoller Umgang mit betroffenen Menschen wie etwa Alzheimer-Patienten wichtig sei, schreiben die Wissenschaftler. Bei zwei Patienten blieben die Gefühle sogar deutlich länger bestehen, als bei den Gesunden, die den Film noch präsent hatten.

"Ein Besuch oder Anruf kann also bei Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, anhaltende Freude auslösen - auch wenn sie den Besuch oder das Telefonat bereits wieder vergessen haben", sagt Feinstein. Obwohl die Vergesslichkeit dies nahelege, seien also freundliche Bemühungen durch Angehörige und Betreuer von Alzheimer-Patienten nicht vergeblich.

cib/ddp
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