

Was macht den Menschen so besonders? Warum agieren wir anders als Tiere? Und wie entstehen Krankheiten wie Autismus oder Schizophrenie? Diese Fragen wollen US-Forscher mit ihrem sogenannten "BrainSpan"-Gehirnatlas beantworten. Ein rund 80-köpfiges Wissenschaftlerteam hat dafür nun die Gehirne von vier verstorbenen, menschlichen Föten untersucht - von der Übersicht über die Anatomie bis ins Detail verschiedener Gene.
Die im Fachblatt "Nature" veröffentlichte Studie erlaubt einen faszinierenden Einblick in die Entwicklung des menschlichen Gehirns. Sie zeigt, wie das Denkorgan des Kindes während der Schwangerschaft heranwächst und welche Funktionen die verschiedenen Hirnregionen übernehmen.
"Wenn wir herausfinden, wo sich bestimmte Gene im Gehirn befinden, können wir erklären, welche Rolle sie spielen", sagt Studienleiter Ed Lein. Der Atlas liefere ein umfassendes Verständnis darüber, welche Gene in welchen Regionen während der Entwicklung in der Schwangerschaft an- oder ausgeschaltet seien. "Wir können damit verstehen, was wichtig ist für die normale, gesunde Hirnentwicklung", so Lein, "und haben ein wichtiges Instrument um herauszufinden, was bei Krankheiten schiefläuft."
Entwurf der menschlichen Entwicklung
Die Studie ist Teil des "BrainSpan Atlas", an dem verschiedene wissenschaftliche Institutionen bereits seit Jahren arbeiten. Das Ziel ist, die Entwicklung des Gehirns von der Entstehung bis zum ausgereiften Organ eines Erwachsenen nachzuvollziehen und anatomische, genetische und funktionelle Karten zu entwickeln. Alle Daten sind öffentlich auf der "BrainSpan"-Webseite zugänglich.
Für ihre Kartierung haben Lein und seine Kollegen die Gehirne von vier verstorbenen Föten untersucht. Zwei Föten hatten nur 15 und 16 Wochen lang im Mutterleib gelebt, zwei 21 Wochen lang. Die Gehirnpräparate wurden in dünne Scheiben geschnitten, angefärbt, genetisch markiert, per Kernspintomographie untersucht und mit speziellen genetischen Analysen kartiert.
Die Markierungen belegen etwa, dass sich Rezeptoren für Folsäure - ein für die Entwicklung von Nervenzellen unentbehrliches Vitamin - hauptsächlich in zwei bestimmten Regionen des Gehirns befinden. Mutationen des Rezeptors können schwere neurologische Schäden anrichten. Für Forscher ist das Wissen aus dem Atlas ein weiterer Baustein zum Verständnis der verschiedenen Störungen, die einem solchen Folsäuremangel folgen können. Die Daten lieferten außerdem wichtige Anhaltspunkte, so Lein, was das menschliche Gehirn einzigartig mache.
Ein Atlas vom Mäusegehirn
Die Publikation kommt zu einem passenden Zeitpunkt: Genau vor einem Jahr hatte US-Präsident Barack Obama seine "Brain Initiative" angekündigt, mit der die Regierung die Erforschung des Gehirns finanziell kräftig unterstützt. Und vor nur einem Monat hatte er angeboten, die Förderung von 100 Millionen US-Dollar im Jahr 2014 auf 200 Millionen US-Dollar im Jahr 2015 zu verdoppeln.
Nicht zu verwechseln ist die "Brain Initiative" mit dem europäischen Pendant, dem "Human Brain Project", das Anfang Februar von der EU gestartet wurde. Eine Jury in Brüssel hatte die Erforschung des Gehirns ebenfalls als eines der Schlüsselprojekte der Zukunft ausgewählt, gefördert wird es mit einer Milliarde Euro.
Um besser zu verstehen, wie sich Nervenzellen entwickeln, wie sie miteinander kommunizieren und sich untereinander vernetzen, hat eine weitere Forschergruppe vom Allen Institute for Brain Science Mäusegehirne untersucht. Analog zum Gehirnatlas des Menschen gibt es dort auch einen Atlas des Mäusegehirns. Das Organ der Nager ähnelte dem des Menschen strukturell, so die Forscher, so dass es sich als Modell auch für das Verständnis von Abläufen im menschlichen Gehirn eigne. Mäuse besitzen ungefähr 75 Millionen Nervenzellen im Gehirn, beim Menschen sind es schätzungsweise 100 Milliarden.
Mithilfe von 1700 Mäusegehirnen, die in je 140 Teile zerschnitten wurden, verschafften sich die Forscher einen umfassenden Überblick: Mit diesen Daten konnten "wir einen dreidimensionalen Referenzraum schaffen", sagt Studienleiterin Hongkui Zeng. "Darin können wir nun die Ergebnisse von unseren Tausenden Versuchen nebeneinander vergleichen." Die Ergebnisse zeigten, wie unterschiedlich stark verschiedene Verbindungen ausgebildet seien, so die Forscher. Das variiere um bis zu fünf Größenordnungen. Die besonders gut ausgebildeten Verbindungen seien dabei sehr selten, die schwachen häufig.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
3D-Modell des Gehirns: Die neuen Karten sollen das Verständnis verbessern, wie sich Nervenzellen verdrahten.
Linke Gehirnhälfte eines Fötus: Die roten Bereiche zeigen an, wo besonders viele Rezeptoren für Folsäure gebildet werden, ein für die Entwicklung von Nervenzellen unentbehrliches Vitamin. Die Forscher hoffen, die Folgen eines Folsäure-Mangels mit Hilfe der genauen Lokalisation der Rezeptoren in Zukunft besser zu verstehen.
Enges Netzwerk aus Nervenzellen bei Mäusen: Mithilfe von 1700 Mäusegehirnen, die in je 140 Teile zerschnitten wurden, verschafften sich die Forscher einen umfassenden Überblick über die Verdrahtung und Aktivität der Nervenzellen.
3D-Modell des Mäusegehirns: Beim Sehen sind insbesondere vier Areale des Gehirns aktiv, die eng untereinander vernetzt sind.
Die Kartierung des Gehirns eines 21 Wochen alten Fötus: Farben, Ziffern und Buchstaben erlauben die detaillierte anatomische Analyse, welche Areale im Gehirn sich wie weiterentwickeln.
Anatomie und Genexpression: Neben der Kartierung rechts ist hier im Bild links zu sehen, wo besonders häufig das Gen SIX3 exprimiert wird (rot). Es ist wichtig für die Entwicklung der Augen und des vorderen Teils des Gehirns.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden