Genforschung Mensch, warum hast du so ein großes Hirn?

Im Vergleich zu unseren Verwandten im Tierreich haben wir Menschen ein geradezu riesiges Gehirn. Aber warum? Genforscher haben Antworten - und die zeigen: Für sein hohes Hirnvolumen zahlt der Mensch mitunter einen hohen Preis.
Zellen im Menschlichen Gehirn (grafische Darstellung)

Zellen im Menschlichen Gehirn (grafische Darstellung)

Foto: Suzuki et al. / Cell / dpa

Ein mehrfach vorhandenes Gen macht den Unterschied: Zwei Forschergruppen haben eine Antwort auf die Frage gefunden, weshalb das Gehirn des Menschen etwa dreimal so groß ist wie das seiner nächsten Verwandten im Tierreich. Doch diese Errungenschaft birgt Risiken. Das berichten ein Team um David Haussler von der University of California in Santa Cruz und eine Gruppe um Pierre Vanderhaeghen von der Université Libre in Brüssel im Fachmagazin "Cell".

Die meisten Tiere tragen im Erbgut ein Gen namens NOTCH2. Dieses enthält Informationen zum Bau von Proteinen, die beim Embryo eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Organen wie etwa dem Gehirn spielen. Eine spezielle Variante des Gens ist bei Schimpansen und Gorillas zu finden, doch die Gensequenz hat bei ihnen nach bisherigen Kenntnissen keine Funktion.

Beim Menschen dagegen sorgt eine andere Variante - sie trägt die noch sperrigere Abkürzung NOTCH2NL - offenbar dafür, dass das Gehirn des Embryos länger wächst als bei Menschenaffen. Das legt jedenfalls ein Tierversuch nahe: An Gehirnstammzellen von Mäusen, die eine Art vereinfachtes Mini-Gehirn darstellen, untersuchten Haussler und Kollegen den Effekt. Wenn die drei NOTCH2NL-Gene abgeschaltet waren, reiften mehr Stammzellen direkt zu Nervenzellen, was das Wachstum des Gehirns begrenzte.

Das ist anscheinend der entscheidende Beitrag von dieser Genvariante: Die gewöhnlich drei Gene lassen die Stammzellen sich häufiger teilen und verzögern ihre Reifung zu Nervenzellen. Mehr Stammzellen bedeuten letztlich mehr Nervenzellen und damit ein größeres Gehirn. Dieser Vorgang spielt sich vor allem in jenem Areal ab, in dem sich die Großhirnrinde entwickelt.

"Einer der Heiligen Grale von Forschern wie uns ist es herauszufinden, was während der menschlichen Entwicklung für ein größeres Gehirn, insbesondere die Großhirnrinde, verantwortlich ist", sagt Vanderhaeghen. Seine Gruppe fand insgesamt 35 Gene , die nur beim Menschen vorkommen und bei der Entwicklung des Gehirns aktiv sind. Doch nur von NOTCH2NL ist weitgehend klar, was es bewirkt.

Haussler und Kollegen vermuteten auch einen Zusammenhang mit Fehlentwicklungen im Gehirn : Das Fehlen eines bestimmten Chromosomenabschnitts, auf dem die NOTCH2NL-Gene zu finden sind, geht häufig mit einem kleinen Gehirn und Autismus einher.

Kurzer Wegweiser durch das Gehirn

Umgekehrt kann eine Verdopplung des Abschnitts ein vergrößertes Gehirn und Schizophrenie zur Folge haben. Die Forscher untersuchten das Erbgut von je drei Patienten mit einem zu kleinen und einem zu großen Gehirn: Bei der ersten Gruppe fanden sie nur zwei NOTCH2NL-Gene, bei der zweiten Gruppe hingegen vier.

Haussler und Kollegen betonen, die genetische Veränderung in der menschlichen Evolution sei ein zweischneidiges Schwert: "Die Entstehung von menschenspezifischen NOTCH2NL-Genen könnte zur raschen Entwicklung der größeren menschlichen Großhirnrinde beigetragen haben." Doch das sei begleitet von einem Verlust der Stabilität des Erbguts im betreffenden Genabschnitt - und daraus resultierenden wiederkehrenden neurologischen Entwicklungsstörungen.

Und was sagen die Kollegen? Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck nennt die Ergebnisse "bahnbrechend". Und Katrin Amunts vom Forschungszentrum Jülich sagt: "Die Befunde der beiden Studien bestätigen und ergänzen sich."

dpa/chs

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