Gekoppelte Sinne Forscher suchen Ursprung farbiger Klänge

Töne nicht nur hören, sondern in Farbe sehen: Erstmals zeigen Forscher, dass auch Schimpansen solche Assoziationen haben. Sie kommen damit dem evolutionären Ursprung von verschmelzenden Sinnen und ihrer Extremversion, der Synästhesie, näher. Doch wieso setzte sich die kuriose Fähigkeit durch?
Zu laut oder zu hell: Schimpansen assoziieren hohe Töne mit hellen Farben - wie Menschen

Zu laut oder zu hell: Schimpansen assoziieren hohe Töne mit hellen Farben - wie Menschen

Foto: Corbis

"Dieser Ton ist dunkelviolett, meine Herren, und nicht rosa", soll der Komponist Franz Liszt 1842 zu seinem Orchester in Weimar gesagt haben. Im Kopf des weltbekannten Musikers verknüpften sich Töne anscheinend mit Farben. Gar nicht so ungewöhnlich: Die meisten Menschen assoziieren hohe Töne mit hellen Farben und tiefe Töne mit dunklen Farben. Das haben Forscher schon vor Jahren festgestellt. Nun zeigt ein Wissenschaftlerteam aus Deutschland und Japan, dass Schimpansen diese Eigenschaft teilen. Damit kommen sie dem Ursprung der Synästhesie, einer besonders intensiven, automatischen Sinneskopplung, wie bei Liszt, näher.

Schmerzen schmecken, Berührungen, Ziffern oder Töne in Farbe sehen: Besonders starke Assoziationen zwischen verschiedenen Sinneswahrnehmungen treten bei vier Prozent aller Menschen auf. Sechzig verschiedene Formen der sogenannten Synästhesie haben Forscher bisher gezählt. Den meisten Synästhetikern wurde die Sinneskopplung wohl in die Wiege gelegt. Immerhin knapp 40 Prozent von ihnen haben einen nahen Verwandten, der ebenfalls auf diese Weise die Welt wahrnimmt.

Weniger intensive Sinnesassoziationen hat hingegen die Mehrheit der Menschen. Die Biologen und Psychologen der Humboldt-Universität Berlin und der Kyoto University berichten nun im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences"  von ihrer Suche nach dem evolutionären Ursprung dieser Sinnesverknüpfungen.

Irritieren hohe Töne bei dunklen Bildern?

Manche Wissenschaftler vermuten, die Assoziationen zwischen Klängen und Farben könnten durch die Sprache entstanden sein - über gängige Metaphern wie beispielsweise "helle Töne". Das Team um Vera Ludwig von der Berliner Charité hingegen vermutete dahinter eher angeborene Prozesse im Gehirn. Dazu verglichen sie 33 menschliche Probanden mit sechs Schimpansendamen. Die Tiere hatten zuvor am Computer gelernt, einen weißen Knopf zu drücken, wenn auf dem Bildschirm ein weißes Quadrat zu sehen ist und einen schwarzen Knopf, wenn ein schwarzes Bild erscheint.

Auch die Menschen sollten diese Aufgabe ausführen. Im Versuch erklangen bei beiden Probandengruppen im Hintergrund Geräusche - hohe und tiefe Töne. Denn die Forscher gingen davon aus: Wer einen hohen Ton hört, verbindet damit automatisch eine helle Farbe. Sieht die Person dann ein weißes Quadrat auf dem Bildschirm, reagiert sie schneller und macht weniger Fehler. Erscheint ein schwarzes Quadrat, während der hohe Ton erklingt, sollten die Fehleranzahl und die Reaktionszeit den Forschern zufolge zunehmen - bei Menschen und wenn es sich um eine angeborene Fähigkeit handelt, auch bei den Primaten.

Schimpansen reagieren ähnlich wie Menschen

Und tatsächlich: Nicht nur die Menschen verhielten sich in dem Experiment wie zuvor von dem deutsch-japanischen Team angenommen. Auch die Affen machten mehr Fehler, wenn das Bild nicht zum Hintergrundton passte. Damit zeigten die Wissenschaftler, dass die Sinnesverknüpfung nicht durch Sprache entsteht oder erlernt wird, sondern ein "grundlegendes Merkmal der Wahrnehmung" ist, sagt Psychobiologin Ludwig. Ein Merkmal, dass sich schon vor Jahrmillionen entwickelt haben muss, noch bevor sich die menschliche Abstammungslinie von der der Schimpansen trennte.

"Rein theoretisch könnten auch die Schimpansen die Verknüpfung gelernt haben", sagt Ludwig. Doch das sei schwer vorstellbar. "Helle Objekte geben ja nicht immer höhere Töne von sich", ergänzt sie. Zudem fänden sich diese Assoziationen auch schon bei zweijährigen Kindern. Dass es Synästhesie auch unter Schimpansen gibt, bezweifelt Ludwig. Aber die Untersuchung von ihr und ihren Kollegen bekräftigt die Annahme, dass Sinneskopplungen - also auch Synästhesie - vererbt werden und entsprechende Gene nicht in der Evolution auf der Strecke blieben.

Genie dank Synästhesie

Doch wieso setzen sich Synästhesie-Gene bis heute durch? Welche Funktion haben die verketteten Sinne - heute und zu Urzeiten? Das fragten sich die Psychologen David Brang und Vilayanur S. Ramachandran von der University of California im Fachmagazin "PLoS Biology" . Ihre Vermutung: Die extreme Verbindung von Sinneseindrücken ist nur das Nebenprodukt von einer noch unbekannten Eigenschaft.

Aufgefallen ist ihnen, dass einige Synästhetiker von ihrer ungewöhnlichen Wahrnehmung profitieren. Das zeigen berühmte Einzelfälle wie David Tammet: Jede Zahl bis 10.000 hat in seinem Kopf eine eigene Form, Farbe und Struktur. Auf diese Weise konnte er über 22.000 Nachkommastellen der Zahl Pi aus dem Gedächtnis aufsagen. In Studien wiesen Synästhetiker generell ein überdurchschnittlich gutes Erinnerungsvermögen auf. Untersuchungen weisen auch daraufhin, dass sie Farben besser wahrnehmen und unterscheiden können.

Nicht zuletzt tritt die starke Sinnesvermischung gehäuft bei kreativen Köpfen wie Poeten und Malern auf. Jeder siebte Künstler, so schätzt der Forscher Ramachandran, fühlt Dinge, die andere nur sehen können oder riecht etwas, was andere nur fühlen können. All diese Funde ermutigen die US-Psychologen in der Annahme, Erfahrungen von Sinnesvermischung haben womöglich zu Urzeiten geholfen, wichtige Aspekte in der Umwelt zu entdecken und diese zu verarbeiten, was für das Überleben einer Spezies entscheidend ist.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten