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Spuren der Seuche: Skelette von Leprakranken

Foto: Diego Azubel/ dpa

Ursprünge der Lepra Die unverwüstliche Seuche

Noch immer wütet die Lepra in 91 Ländern - Forscher haben das Erbgut der Seuche anhand von alten Skeletten untersucht. Sie machten eine gruselige Entdeckung: Der Erreger hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert und ist außergewöhnlich ausdauernd.

Das Lepra-Bakterium ist außergewöhnlich zäh. Sein Erbgut hat sich seit dem Mittelalter kaum verändert, wie ein Team um den Tübinger Evolutionsgenetiker Johannes Krause und Stewart Cole von der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) im Fachmagazin "Science"  berichtet. Die Forscher konnten zusätzlich nachweisen, dass die heutigen Lepra-Stämme einen gemeinsamen Vorfahren haben, der vor weniger als 4000 Jahren lebte.

Die heute noch aktiven Stämme von Mykobakterium leprae unterscheiden sich also kaum von jenen, die in der Vergangenheit Europa in Angst und Schrecken versetzten. Zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert wütete die Seuche hier besonders schlimm. Heute hat sie zwar ihren Schrecken von einst verloren, trotzdem ist Lepra weltweit noch in 91 Ländern zu finden - mit über 200.000 Neuinfektionen im Jahr.

Außerdem stellten die Forscher fest, dass die DNA von Bakterien viel länger erhalten bleibt als die von Säugetieren. Normalerweise zerfallen die Erbinformationen eines Lebenwesens recht schnell. Die Kettenmoleküle der Desoxyribonukleinsäure verlieren ihren Halt und lösen sich voneinander. Daher ist es schwierig, das Erbgut eines schon lange verstorbenen Menschen oder Tieres zu rekonstruieren.

Die Wissenschaftler brauchen dazu eine Art Brücke, sogenannte Referenzsequenzen, mit denen sie die vorhandenen Lücken schließen können. Dem Team um Krause und Cole ist es mit dem Genom des Krankheitserregers Mykobakterium leprae erstmals gelungen, das Erbgut eines bereits lange toten Lebenwesens ganz ohne Referenzsequenzen zu rekonstruieren.

Tote junge Dänin

Dass die DNA von einigen Bakterien besonders langlebig ist, war in der Vergangenheit schon öfter aufgefallen. "Das gilt sowohl für die Lepra als auch für die Tuberkulose", sagt Krause. "Von beiden ist oft außergewöhnlich viel erhalten." Doch konkrete Untersuchungen zu diesem Phänomen gab es bislang noch nicht.

Als besonders ergiebig für diesen Zweck erwies sich ein Skelett vom Leprafriedhof der dänischen Stadt Odense - fast die Hälfte der DNA in den Gebeinen der Frau stammte von Mykobakterium leprae. Das ist die vielfache Menge an Erreger-DNA, die sich normalerweise in Skeletten und bei heutigen Patienten findet.

Die Frau starb zwischen 1293 und 1386 im Alter von nur 25 bis 30 Jahren. Ihr eigenes Erbgut zerfiel. Das des Erregers, der sie vermutlich am Ende getötet hat, blieb erhalten. Die Forscher vermuten, dass die extrem dicke Zellwand des Lepra-Bakteriums die DNA schützt - noch lange, nachdem der Wirt bereits unter der Erde liegt.

"Das eröffnet die Möglichkeit, dass bestimmte Formen bakterieller DNA über das maximale Alter für Säugetier-DNA hinaus erhalten bleibt", sagt Krause. Maximal bleibt das Erbgut von Säugetieren rund eine Million Jahre lang erhalten. "Damit sollte es möglich sein, die Krankheit bis in ihre prähistorischen Ursprünge zurückzuverfolgen."

Erreger im Gürteltier

Doch die junge Frau aus Odense war nicht das einzige Opfer der entstellenden Seuche, das die Wissenschaftler untersuchten. Um die Geschichte der Krankheit zurückzuverfolgen, haben die Wissenschaftler die kompletten Genome von Lepra-Bakterien aus fünf mittelalterlichen Skeletten aus Dänemark, Schweden und Großbritannien rekonstruiert. Zusätzlich nahmen sie sich die M.-leprae-Genome aus sieben Biopsie-Proben heutiger Patienten vor, die an der mittlerweile gut durch den Einsatz von Antibiotika heilbaren Krankheit leiden.

Bei einem Vergleich des alten und des neuen Erbguts stellten sie fest, dass alle Stämme auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Ein Stamm, der heute im Nahen Osten vorkommt, ist identisch mit einem Stamm aus dem mittelalterlichen Europa. Ein anderer mittelalterlicher europäischer Stamm weist eine frappierende Ähnlichkeiten mit modernen Stämmen auf, unter denen heute Lepra-Kranke und Gürteltiere in Nordamerika leiden. Sowohl die Stämme aus dem Nahen Osten wie auch die nordamerikanischen scheinen also ihren Ursprung im mittelalterlichen Europa zu haben.

Gürteltiere sind in Nordamerika häufig Träger der Lepra - vermutlich weil ihre niedrige Körpertemperatur von nur 32 Grad Celsius ideale Lebensbedingungen für das wärmeempfindliche Mykobakterium leprae bietet.

Zu dem vermuteten Alter des gemeinsamen Vorfahren vor 4000 Jahren passt auch der früheste archäologische Nachweis der Krankheit. Er stammt von einem Toten aus Indien, dessen Skelett um das Jahr 2000 v. Chr. von der Krankheit gezeichnet wurde.

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