Christian Stöcker

Gentechnik Die Angst der Parteien vor dem Fortschritt

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Wissenschaftler mahnen, die kommende globale Ernährungskrise zu lösen – und haben konkrete Vorschläge. Aus Opportunismus gegenüber der Stimmung im Land schweigen die meisten Parteien das Thema jedoch lieber tot.
Pflanzen im Labor: Das Wort »Biotechnologie« kommt im »Zukunftsprogramm« der Sozialdemokraten nur ein einziges Mal vor – beim Thema Rüstungskontrolle

Pflanzen im Labor: Das Wort »Biotechnologie« kommt im »Zukunftsprogramm« der Sozialdemokraten nur ein einziges Mal vor – beim Thema Rüstungskontrolle

Foto: Mint Images / imago images

Uno-Generalsekretär António Guterres eröffnet im September einen Gipfel zum Thema »Food Systems«. Zumindest für einen Moment wird sich die Aufmerksamkeit der Welt dann einmal auf die Tatsache richten, dass wir neben der Klimakrise und dem Artensterben noch in eine dritte globale Krise hineinstolpern, bislang ohne Plan: bis mindestens Mitte des Jahrhunderts wächst die Weltbevölkerung weiter, schon heute haben Hunderte Millionen nicht genug zu essen. Erderhitzung, Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen werden diese Probleme noch verschlimmern.

In einem diese Woche in »Nature« erschienenen Artikel  mahnen die Vorsitzenden eines internationalen Zusammenschlusses von Fachleuten, der sich nur »Scientific Group« nennt: »Eine von zehn Personen ist unterernährt. Jede vierte ist übergewichtig. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung kann sich keine gesunde Ernährung leisten.« Das Ernährungssystem der Welt brauche eine Neuorganisation: »Politisch, institutionell, sozial, wirtschaftlich und technologisch.«

Vor allem im letzten Wort versteckt sich ein Dilemma für weite Teile der deutschen Parteienlandschaft. Denn was schon in dem Artikel sehr deutlich wird: Nur mit kleinen Biobauernhöfen und ökologischem Landbau wird man das Ernährungsproblem der Menschheit nicht lösen.

Es geht in den Empfehlungen darum, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, um eine Ergänzung von Sozialprogrammen um gesündere Ernährung, um erneuerbare Energien in Land- und Lebensmittelwirtschaft, um nachhaltige Verpackungen, um die Digitalisierung der Agrarökonomie. Aber auch um Reizthemen wie »Nanomaterialien oder essbare Überzüge, die Lebensmittel länger frisch halten«. Und darin steht auch: »Gentechnik und Biotechnologie sollten eingesetzt werden, um die Produktivität, Qualität und Widerstandsfähigkeit von Nutzpflanzen gegen Schädlinge und Dürren zu erhöhen.«

Politisches Kassengift

Mit der Frage »Wie ernährt man zehn Milliarden Menschen?« beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon länger, aber in den westlichen Industrienationen wird das Problem im politischen Alltag weitgehend ignoriert. Was viel damit zu tun hat, dass einige wichtige Lösungsansätze gerade in Deutschland politisches Kassengift sind.

Die Linke will laut Wahlprogramm den »Anbau und den Handel mit sowie den Import von gentechnisch veränderten Pflanzen verbieten«, die SPD bleibt »beim Nein zu gentechnisch veränderten Pflanzen«. Das Wort »Biotechnologie« kommt im »Zukunftsprogramm« der Sozialdemokraten nur ein einziges Mal vor: beim Thema Rüstungskontrolle.

Die CDU vermeidet Begriffe wie »gentechnisch« und spricht nur kurz von »molekularbiologischen Züchtungstechnologien«, deren Einsatz »auf klaren Regeln basierend« ermöglicht werden solle. Dafür müsse der europäische Rechtsrahmen »modernisiert« werden. Hinter dieser knappen Anmerkung verbirgt sich allerdings Sprengstoff.

Wasch mich, aber mach mich nicht nass

Die Grünen wollen beim »Umgang mit alten wie neuen gentechnischen Verfahren einerseits die Freiheit der Forschung gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt ausschließen«, also Gentechnik offenbar nicht so pauschal verteufeln wie Linke und SPD. Das Programm nennt aber andererseits »Gentechnikfreiheit« als Teil des landwirtschaftlichen »Leitbilds«. Das klingt arg nach »wasch mich, aber mach mich nicht nass«.

Einzig die FDP bekennt sich klar zu »gentechnisch veränderten Nutzpflanzen«, für die »aktuelle und wissenschaftlich basierte Zulassungskriterien gelten« sollten, sie lobt die »grüne Gentechnik« und plädiert für »Technologieoffenheit« (skurriler Weise wird dem Thema »Angeln« auf der gleichen Seite des Wahlprogramms allerdings mehr Platz eingeräumt).

Sensationell unpopulär

Dass alle demokratischen Parteien außer der FDP Biotechnologie zur Ernährung entweder klar ablehnen oder möglichst wenig darüber reden, hat einen einfachen Grund: »Gentechnik« ist in Deutschland sensationell unpopulär. Laut einer internationalen Ipsos-Studie von 2018 (PDF)  bejaht deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen die Aussage »Ich würde niemals genetisch veränderte Lebensmittel essen«. In einer Civey-Umfrage  von 2019 wollten 65 Prozent der Befragten den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen hierzulande untersagen oder eher untersagen.

Bei einer im Juli 2021 durchgeführten Befragung  im Auftrag des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik sagten wieder zwei Drittel zur Frage, ob die Regeln für »neue Gentechnik wie CRISPR« gelockert werden sollten, »Nein« oder »eher Nein«. Besonders wichtig ist dieses Thema demzufolge den potenziellen Wählerinnen und Wählern der Grünen, aber selbst unter den FDP-Anhängern sind nur 40 Prozent für Lockerungen.

CRISPR kommt gar nicht erst vor

Die Abkürzung CRISPR kommt übrigens in keinem einzigen deutschen Wahlprogramm vor, dabei ist dieses 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnete Verfahren zur effektiven Veränderung des Gencodes Teil eines Bündels von zentralen Zukunftstechnologien, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Welt verändern werden. Ob der deutsche Wähler das nun gut findet oder nicht.

Vor allem aber ist CRISPR als Methode der Züchtung von Nutzpflanzen in Wahrheit viel harmloser als Verfahren, die derzeit eingesetzt werden: Es erzeugt Pflanzensamen, die nicht von durch natürliche Mutation oder Züchtung entstandenen zu unterscheiden sind. Es ist aber viel schneller und präziser. Pflanzengencode mutiert – etwa durch Sonneneinstrahlung – ohnehin ständig. Bei manchen Züchtungen werden, um noch mehr Mutationen mit möglicherweise nützlichen Folgen zu erzeugen, manchmal auch Röntgenstrahlen oder Chemikalien eingesetzt.

Irrational und widersinnig

All das ist erlaubt, es gilt als »natürliche« Züchtungsmethode. Mit der Genschere CRISPR gezielt an einer Stelle einen Schnitt zu setzen, der mit Blick auf nützliche Mutationen vielversprechend ist – das ist in Europa derzeit verboten. Das ist so irrational wie widersinnig. Ein Erfolg jahrzehntelanger Angstkampagnen gegen »genmanipuliertes« Essen.

Ein internationales Beispiel für die dogmatische Arroganz westlicher Gentechnikfeinde ist die Ablehnung von gentechnisch erzeugtem »goldenen Reis« – der kann Menschen, vor allem Kindern, das Augenlicht oder gar das Leben retten, wird aber erbittert bekämpft. Die Philippinen bauen ihn  jetzt trotzdem an.

In Großbritannien beginnt gerade ein erster Testlauf für eine Weizensorte, die das vom beim Erhitzen entstehenden Stoff Acrylamid ausgehende Krebsrisiko minimieren soll. Die Briten sind Dank Brexit nicht mehr an das vom Europäischen Gerichtshof ausgesprochene CRISPR-Verbot gebunden .

Im Medikament okay, im Essen bitte nicht

Im in »Nature« erschienenen Warn- und Weckruf der Scientific Group wird gefordert, die »Transformation zu gesünderen, nachhaltigeren, gerechteren und widerstandsfähigeren Ernährungssystemen« müsse »beschleunigt« werden – auch mithilfe von Wissenschaft und Technik. Tatsächlich steht die Menschheit durch die Verzahnung von Biotechnologie und maschinellem Lernen an der Schwelle zu einem neuen technologischen Zeitalter.

Dieser Entwicklung verdanken wir übrigens auch die Impfstoffe von Biontech und Moderna . Aber was in der Medizin längst akzeptiert ist, mögen die Deutschen beim Thema Nahrung gar nicht.

Die Menschheit steht vor einer gewaltigen Herausforderung, sie hat einen ständig wachsenden Werkzeugkasten, der bei der Bewältigung helfen kann. Aber zwei der drei Parteien im Rennen ums Kanzleramt wollen damit lieber nichts oder möglichst wenig zu tun haben. Das ist kurzsichtig und fahrlässig.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, die Weltbevölkerung wachse bis mindestens Mitte des Jahrtausends weiter - gemeint war die Mitte des Jahrhunderts. Wir haben die Stelle geändert.

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