Psychologie Liebe Leserin, lieber Leser,

auf vielen Lebensmitteln in meinem Kühlschrank steht "Ohne Gentechnik". Nicht, weil ich die Produkte danach ausgesucht hätte, sondern weil das Label inzwischen auf fast jedem Joghurt, jeder Wurst, jeder Milchpackung pappt. Die öffentliche Meinung drängt dadurch auch in meinen Kühlschrank: In kaum einem Land lehnen Menschen gentechnisch veränderte Lebensmittel so strikt ab wie in Deutschland.
US-Forscher haben sich gefragt, woher derlei Skepsis kommt. Mit repräsentativen Umfragen in den USA, Deutschland und Frankreich wollten sie nicht nur herausfinden, was die schärfsten Kritiker über Gentechnik wissen, sondern auch, was sie zu wissen glauben. Dafür kreuzten die Befragten zunächst auf einer Skala von eins bis sieben an, wie kritisch sie Gentechnik sehen. Danach sollten sie einschätzen, wie viel sie über Gentechnik wissen, von "überhaupt nichts" bis "viel".

Wie diskutiert man mit jemandem, der glaubt, alles zu wissen?
Foto: Ralf Hirschberger/ DPAEs zeigte sich, dass diejenigen, die ihr Wissen besonders hoch einschätzten, auch die größten Gentechnikgegner waren. Als die Forscher ihr tatsächliches Wissen dann abfragten, klafften dort große Lücken. So waren viele Kritiker überzeugt, dass "normale" Tomaten keine Gene hätten, genveränderte aber schon. Die größten Gegner wussten also am wenigsten über Gentechnik - aber waren überzeugt, sie wüssten am meisten. Der Effekt zeigte sich besonders deutlich in den USA.
Die Forscher vermuten hinter dem Phänomen zwei psychische Mechanismen. Den ersten bezeichnen sie als aktive Informationsvermeidung. Die Skeptiker ignorieren Fakten, die ihrem eigenen Weltbild widersprechen. Der zweite ist der sogenannte Rückfeuereffekt: Je überzeugter Menschen von etwas sind, fühlen sie sich in ihrer Meinung nur bestärkt. Selbst wenn sie mit Tatsachen konfrontiert werden, die dagegensprechen. Wenn Sie beispielsweise einem "Flat Earther" einen Globus unter die Nase halten, wird er Sie wahrscheinlich nur für einen Teil der Verschwörung halten und nur umso fester an eine flache Erde glauben.
Das heißt nicht, dass Gentechnik-Kritiker Idioten sind. Die Studie zeigt vielmehr ein Dilemma, wenn Menschen sich in bestimmte Haltungen verbeißen, ohne viel darüber zu wissen. Die Forscher fassen das Studienergebnis so zusammen: Die heftigsten Kritiker sind oft überzeugt, schon alles zu einem bestimmten Thema zu wissen. Sie immer nur mit neuen Fakten zu bombardieren, bringt wenig, solange sie leugnen, Wissenslücken zu haben. Ob es dabei um Gentechnik geht, ist nebensächlich.
Dieses Verhalten kenne ich auch von Verwandten und Freunden, zumindest im Kleinen. Manch eine Diskussion verlief nicht so, wie ich es mir gedacht hätte. Und hin und wieder ertappe ich mich auch selbst dabei, unbegründet zu beharren. Vielleicht ist die eine oder andere Debatte im österlichen Familienkreis eine gute Gelegenheit, Wissenslücken aufzudecken - und die neue Strategie zu testen.
Ihre
Julia Köppe
Abstract
Meine Leseempfehlungen dieser Woche
- Notre-Dame in Flammen: Die Bilder gingen um die Welt. Wie der Wiederaufbau gelingen könnte, erklärt Ingenieur Manfred Curbach im Interview mit meiner Kollegin Julia Merlot.
- Kaum eine Figur der berühmten Fernsehserie "Game of Thrones" ist so beliebt wie Tyrion Lannister. Dass Kleinwüchsige schon im alten Ägypten hohe Posten erreichten, können Sie in diesem Artikel meines Kollegen Jörg Römer nachlesen.
- Wenn Sie sich für die Entdeckungsgeschichte der Doppelhelix-Struktur der DNA interessieren, empfehle ich das Buch "Unravelling the Double Helix: The Lost Heroes of DNA" von Gareth Williams (ANZEIGE ). Darin nachzulesen ist auch, warum Erwin Schrödinger überzeugt war, dass Gene aus Kristallen bestünden.
- Der Podcast "Birthstory" von Radiolab erzählt, vor welchen Problemen Menschen stehen, wenn der Kinderwunsch übermächtig wird, und was sie bereit sind, sich und anderen dafür zuzumuten.
Quiz
"42: Answer to the Ultimate Question of Life, the Universe, and Everything" (Douglas Adams)
- Passend zum Fest: Seit wann kommt der Osterhase?
- Gibt es Hasen, die Eier legen?
- Woher kommt der Ausspruch: "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts"?
* Die Antworten finden Sie ganz unten im Newsletter
Bild der Woche
Ein Teufelsrochen geht fliegen, während seine Artgenossen im Golf von Kalifornien im Wasser dahingleiten. Bis zu zwei Meter hoch springen die Tiere und schlagen dabei mit den Flossen, als wollten sie es tatsächlich den Vögeln gleichtun - doch der Ausflug endet bald mit einem Bauchklatscher. Warum diese Knorpelfische dennoch immer wieder abheben, ist Zoologen ein Rätsel.

Fußnote
Zwei Stunden oder länger am Tag auf einen Bildschirm zu gucken, ist offenbar schon im Vorschulalter mit Verhaltensauffälligkeiten verbunden, und zwar bis hin zur Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Das haben kanadische Wissenschaftler an fünfjährigen Kindern festgestellt, indem sie deren Eltern zum Freizeitverhalten befragten und mit auffälligem Gebaren abglichen. Dabei kam auch heraus: Je mehr Sport die Kinder trieben, desto normaler war ihr Verhalten.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen aus der Wissenschaft
- Blinkedings: Was zu viel Spielzeug bei Kindern anrichtet
- Da steckt Leben drin: Wie US-Forscher das Gehirn toter Schweine wieder in aktives, atmendes Gewebe verwandeln
- Kaltes Herz: Eine wachsende Szene begeistert sich dafür, Oldtimer auf Elektroantrieb umzurüsten. Ein Sakrileg?
* Quiz-Antworten: Schon im 17. Jahrhundert kursierten Gerüchte über Hasen, die an Ostern Eier bringen. Richtig beliebt ist der Osterhase aber erst seit dem 19. Jahrhundert, als auch die ersten Versionen aus Schokolade verkauft wurden. / Ein Seehasen-Weibchen legt in der Osterzeit sogar bis zu 200.000 Eier auf einmal. Mit Hasen haben die Tiere allerdings wenig gemein. Sie sind Fische, die auch unter dem wenig schmeichelhaften Namen Lump bekannt sind. / Vollständig heißt das Sprichwort: "Mein Name ist Hase, ich verneine die Generalfragen, ich weiß von nichts." Diesen Satz soll der Heidelberger Jurastudent Victor Hase 1855 vor Gericht gesagt haben, als er zum Verbleib seines Ausweises befragt wurde. Hase hatte seine Papiere einem Freund überlassen, nachdem dieser einen Mann im Duell erschossen hatte. So konnte sich Hases Freund unter falschem Namen ins Ausland absetzen. Vor Gericht wollte sich Hase aber daran nicht mehr erinnern. Er wurde später übrigens Doktor der Rechtswissenschaften.