Sättigung der Welt »Der reiche Westen sollte nicht unterschätzen, was es heißt, wenn Nahrung knapp ist«

Bauer in Uganda: »In den ärmsten Regionen der Erde sind landwirtschaftliche Erträge oft nur einen Bruchteil so hoch wie bei uns«
Foto: Thomas Woollard / EyeEm / Getty Images»Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und segnete sie, brach die Brote und gab sie den Jüngern, dass sie dem Volk austeilten. Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was ihnen an Brocken übrig blieb, zwölf Körbe voll« (Lukas 9: 16-17).

Jonas Hoffmann / EyeEm / Getty Images
»Der Glaube an Wunder verliert gegenüber dem Fortschritt der Wissenschaft immer mehr Boden, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er ganz verschwunden ist«, sagte einst der berühmte Physiker Max Planck. Hat er recht? Was Forschende über Wunder sagen – und welche biblischen Verheißungen wahr werden könnten. Hier können Sie alle Teile der SPIEGEL-Serie lesen:
SPIEGEL: Herr Weigel, als einer der führenden Wissenschaftler Europas erforschen Sie das Erbgut von Pflanzen, um herauszufinden, welche Gene Schutz vor Hitze oder Schädlingen verleihen. Sie sehen das als einen Beitrag gegen den Hunger in der Welt. Was meinen Sie damit?
Detlef Weigel: Die Umwelt verändert sich im Moment sehr viel schneller, als sie das noch in den vergangenen Jahrzehnten getan hat. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung. Um langfristig Ernten zu sichern, müssen Züchter deshalb schneller als zuvor neue Sorten von Nutzpflanzen entwickeln, die mit den veränderten Bedingungen zurechtkommen. Wenn bekannt ist, welche Erbgutveränderungen den Pflanzen etwa Schutz vor Trockenheit oder Schädlingen verleihen, geht das einfacher.

Detlef Weigel ist Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen sowie Honorarprofessor am Salk Institute in La Jolla in Kalifornien und an der Universität Tübingen. Er erforscht, wie Gene die Eigenschaften von Pflanzen steuern.
SPIEGEL: Mit Gentechnik?
Weigel: Nicht nur. Es ist auch in der klassischen Züchtung von großem Nutzen.
SPIEGEL: Können sie das genauer erklären?
Weigel: In der herkömmlichen Zucht werden Samen oft entweder bestrahlt oder mit Chemikalien behandelt, um in ihrem Erbgut verstärkt Mutationen auszulösen. Züchter müssen unter den daraus herangewachsenen Pflanzen die Exemplare finden, bei denen die Mutationen eine gewünschte Eigenschaft hervorgebracht haben, etwa einen Schutz vor bestimmten Schädlingen. Das funktioniert durch aufwendiges Ausprobieren, oder indem Züchter gezielt mit molekularbiologischen Methoden nach Mutationen suchen, deren Wirkung sie bereits kennen.
SPIEGEL: Warum werden nicht einfach Sorten umgesiedelt, die bereits in klimatisch passenden Regionen oder Gebieten mit bestimmten Schädlingen wachsen?
Weigel: Pflanzen zu finden, die besonders schädlings- oder trockenresistent sind, ist nicht der Knackpunkt. Das geht relativ einfach. Die Herausforderung besteht darin, dass die Sorten gleichzeitig mindestens so gute Erträge bringen müssen, wie die zuvor in einer Region angebauten. Sonst braucht es dort plötzlich deutlich mehr landwirtschaftliche Flächen, um den gewohnten Ertrag zu erzielen.
SPIEGEL: Im Sommer des Jahres 2000 war ihr inzwischen emeritierter Kollege Ingo Potrykus von der ETH Zürich auf dem Cover des amerikanischen »Time«-Magazin . Er stand in einem Reisfeld, daneben der Schriftzug »Dieser Reis könnte jedes Jahr Millionen Kindern das Leben retten«. Warum blieb das Wunder aus?
Weigel: Da ging es um den sogenannten goldenen Reis. Er wurde gentechnisch verändert, sodass er Betacarotin enthält, das im Körper zu Vitamin A umgewandelt wird. Es ist unerlässlich für eine gesunde Entwicklung. Durch Kampagnen gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel in westlichen Staaten sind allerdings auch Regierungen in Ländern, wo Vitamin-A-Mangel ein großes Gesundheitsproblem darstellt, zögerlich mit dem Einsatz. Viele prüfen noch.
SPIEGEL: Gibt es nicht auch gute Argumente gegen den Einsatz des Produkts?
Weigel: Ich empfinde vieles davon als zynisch. Der reiche Westen sollte nicht unterschätzen, was es heißt, wenn Nahrung knapp ist. In den ärmsten Regionen der Erde sind landwirtschaftliche Erträge oft nur einen Bruchteil so hoch wie bei uns. Trotzdem wird argumentiert, dass sich der Vitamin-A-Bedarf genauso gut durch Gemüse decken ließe.
SPIEGEL: Das ist zumindest nicht falsch.
Weigel: Es stimmt in der Tat, bringt den Betroffenen aber nichts, wenn kein Gemüse verfügbar und bezahlbar ist. Ich habe vor einer Weile gelesen, dass Hilfsorganisationen jedes Jahr viele Millionen US-Dollar ausgeben, um Vitamin-A-Präparate an Bedürftige zu verteilen. 2019 litten trotzdem mindestens 340 Millionen Kinder unter einem Mangel an Mikronährstoffen wie Vitaminen. Da frage ich mich schon, ob es nicht besser wäre, wenn die Menschen ihren Nährstoffhaushalt direkt über die vor Ort angebaute Nahrung decken könnten. Goldener Reis könnte dazu beitragen, die beteiligten Firmen haben zugesagt, ihn günstig oder sogar umsonst zur Verfügung zu stellen.
SPIEGEL: Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben in diesem Jahr den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung der Genschere Crispr-Cas-9 bekommen. Das Werkzeug soll helfen, noch schneller und gezielter neue Pflanzensorten zu entwickeln. Was hat es damit auf sich?
Weigel: Mit Genscheren lassen sich die gleichen Mutationen ins Erbgut von Pflanzen oder Tieren einfügen wie durch klassische Züchtung mit künstlichen oder natürlichen Methoden, allerdings gezielt statt zufällig. Statt tausend Pflanzen oder Tieren müssen Züchter oder Forscher dann nur noch eine Handvoll Exemplare auf die gewünschte Veränderung untersuchen. Gleichzeitig bleibt das restliche Erbgut von Mutationen frei. Allerdings gilt auch diese neue, sogenannte Genom-Editierung in Europa rechtlich als Gentechnik.
SPIEGEL: In Deutschland sind viele Menschen froh darüber. Sie haben Angst davor, gentechnisch veränderte Pflanzen zu essen. Was antworten Sie ihnen?
Weigel: Ich kann die Sorgen auf einer emotionalen Ebene nachvollziehen. Wenn jemand die Wahl hat zwischen einer gentechnisch veränderten und einer herkömmlichen Tomate, entscheidet er sich aus dem Bauch raus meist für das herkömmliche Produkt. Das ist menschlich. Würde man aber sagen, hier ist eine genveränderte Tomate und die muss nur noch halb so oft gespritzt werden, wäre die Reaktion womöglich eine andere. Ich denke, Akzeptanz lässt sich nur schaffen, indem die konkreten Vorteile deutlich werden.
SPIEGEL: Teilen sie auch gesundheitliche Bedenken?
Weigel: Nein, gentechnisch veränderte Pflanzen sind etwa in den USA seit über 20 Jahren auf dem Markt. Hunderte Millionen Menschen und Milliarden Tiere haben sich bereits davon ernährt und es gibt keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Probleme, die dadurch verursacht wurden. Worüber man diskutieren kann, sind mögliche Auswirkungen einer Freisetzung für die Natur, wobei zumindest Pflanzen, die per Genom-Editierung verändert wurden, aus meiner Sicht das gleiche Risikoprofil haben wie klassische Züchtungen.
SPIEGEL: Glauben Sie noch an eine Erleuchtung?
Weigel: Ich denke, wir müssen einfach entscheiden, was uns wichtig ist. Es ist nicht so, dass die ganze Welt in ein paar Jahren verhungert ohne Gentechnik. Wir können weitermachen wie bisher, müssen dann aber an anderer Stelle etwas verändern. Was nicht möglich sein wird, ist, den ökologischen Fußabdruck der Landwirtschaft und den Hunger in der Welt zu reduzieren und gleichzeitig die derzeitigen Ernährungs- und Produktionsgewohnheiten beizubehalten.