Globalisierung "Ich warne vor Kultur-Rassismus"
Das globale Dorf ist Wunschdenken, sagt der Ethnologe Christoph Antweiler. Unterschiede zwischen den Kulturen müssen respektiert werden. Zugleich unterschätzen wir die Gemeinsamkeiten wie sexuelle Tabus, Vetternwirtschaft, und Gastfreundschaft.
Frage: Professor Antweiler ... was ist das denn?
Christoph Antweiler: Barbiepuppen.
Frage: Sind Sie dafür nicht schon zu alt?
Antweiler: Im Gegenteil, für mich werden sie erst jetzt interessant. Diese hier ist die klassische Barbie. Kopf mit Kindchenschema, extrem schmale Taille, große Oberweite, blonde Haare. Und das hier ist eine Gegen-Barbie aus dem Iran, wo 1991 die amerikanische Puppe verboten wurde. Sie ist etwas plumper, und man kann sie nicht ausziehen, weil die Kleidung mit dem Körper vernäht ist.
Frage: Und was schließt der Ethnologe daraus?
Antweiler: Das Interessante ist, dass die Puppen kulturell angepasst sind, aber bestimmte Grundmerkmale gemeinsam haben: Symmetrische Gesichter, glatte Haut, schmale Taillen und glänzendes Haar gelten quer durch die Kulturen als Zeichen von Schönheit.
Frage: Das ist ein Klischee.
Antweiler: Das ist Wissenschaft. Wir sprechen von Universalien.
Frage: Es gibt doch auch Kulturen, in denen Männer vollschlanke Frauen begehren.
Antweiler: Das sind ganz wenige Fälle angesichts der 6.000 bis 7.000 Kulturen, die man weltweit unterscheiden kann. Um die zu finden, muss man schon in die Zentralsahara oder ins Amazonas-Tiefland gehen. Mich interessieren weltweite Ähnlichkeiten, auch wenn sie nicht hundertprozentig universal sind.
Frage: Die Unterschiede zwischen den Kulturen sind doch viel spannender.
Antweiler: Mir geht auf die Nerven, dass Ethnologie immer nur dann fasziniert, wenn es um irgendwelche kulturellen Besonderheiten geht. Es stimmt, dass Ethnologen vor allem Einzelkulturen erforschen, auch ich fahre seit mehr als 20 Jahren jedes Jahr nach Makassar in Indonesien, um dort eine städtische Kultur zu studieren. Aber unter der Oberfläche finden wir Gemeinsamkeiten. Ich sehe Ethnologie als vergleichende Wissenschaft des ganzen Menschen, und deshalb interessieren mich verallgemeinernde Aussagen.
Gastfreundschaft und Inzestverbot als kulturelle Universalien
Frage: In Ihrem Buch "Heimat Mensch" listen Sie 73 Gemeinsamkeiten der Kulturen auf, vom Abstillen über Begräbnisrituale, Hygiene, Kochen bis zu Zahlen. Da kann man doch gleich sagen: Der Mensch hat zwei Beine und kann sprechen.
Antweiler: Es geht nicht um triviale Ähnlichkeiten! Es ist doch frappierend, wenn fast alle Kulturen etwas auf eine Art machen, obwohl es anders möglich ware. Dass Frauen Kinder kriegen, ist selbstverständlich. Dass Frauen die Kinder aufziehen, ist dagegen biologisch nicht notwendig und trotzdem in fast allen Kulturen der Welt der Fall. Das ist ein kulturubergreifendes Muster. Die Liste mit den 73 Universalien stammt übrigens von 1945, aus den Anfängen der Universalienforschung. Heute kennen wir je nach Definition 100 bis 200 Universalien.
Frage: Können Sie noch ein paar Beispiele nennen?
Antweiler: Gastfreundschaft. Vetternwirtschaft. Inzestverbot: Man darf nicht Menschen heiraten, die mit einem verwandt sind. Das ist universal, auch wenn Verwandtschaft unterschiedlich interpretiert wird. Oder sexuelle Beschränkungen: Wir kennen keine Kultur, die ohne sexuelle Normen auskommt, obwohl ein Leben in Freizügigkeit immer wieder erträumt wird. Schließlich Gesten: Verneinung beispielsweise wird auf der ganzen Welt durch ein Abwenden des Kopfes ausgedrückt.
Frage: Die Eskimos haben 100 Wörter für Schnee, wir nur ein paar. Ist das nicht ein Gegenbeispiel?
Antweiler: Das ist ein Mythos aus den zwanziger Jahren, der leider auch in vielen Schulbüchern wiedergekäut wird. Ein Ethnologe zählte mal bei den Inuit vier bis fünf Vokabeln für Schnee. Der nächste hat das abgeschrieben und die Zahl auf acht erhöht, dann war irgendwann von 20 die Rede. In einer amerikanischen Radiosendung wird jedes Jahr zum Winteranfang behauptet, die Inuit hätten 250 Wörter fur Schnee. Faktisch haben sie etwa acht bis zehn, mehr nicht. Das ist nicht überraschend, Menschen in alpinen Gebieten haben auch mehrere Wörter für Schnee, wie etwa Firn und Graupel.
Frage: Bitte sagen Sie jetzt nicht, dass auch die zeitvergessenen Hopi-Indianer und die zyklischen Zeitvorstellungen der Inder ein Mythos sind. Darauf fußen zahlreiche Ratgeber für gestresste Manager.
Antweiler: Völliger Kokolores. Jede Kultur hat ein lineares Zeitkonzept. Es gibt zwar Wiedergeburtsvorstellungen in Indien, aber im Alltagsleben denkt jeder Inder linear, teilt also den Zeitpfeil in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und den Hopi-Mythos verdanken wir dem Sprachwissenschaftler Benjamin Whorf, der behauptet hat, dass die Hopi nicht über Zukunft und Vergangenheit reden und daher auch nicht so denken. Viele Jahre später hat jemand in einer 600-seitigen Arbeit festgestellt, dass auch die Hopi Wörter für gestern und morgen kennen. Leider hat das niemand gelesen, und so blieben die Hopi-Indianer das Paradigma des extremen Kulturrelativismus.
- 1. Teil: "Ich warne vor Kultur-Rassismus"
- 2. Teil: Macht die Globalisierung uns ähnlicher?