
200 Jahre altes Geheimnis: Spur zur Dunkelgräfin
Thüringen Das Rätsel der Dunkelgräfin
Es war ein merkwürdiges Paar, das im Jahr 1807 in der kleinen südthüringischen Residenzstadt Hildburghausen abstieg: Der Herr, den man für einen Grafen hielt, nannte sich Vavel de Versay. Über die Dame war nichts bekannt. Weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit verbrachten die beiden ab 1810 den Rest ihres Lebens auf einem wenige Kilometer von der Stadt entfernten Schloss, das sie nur zu Kutschfahrten und Spaziergängen im Garten verließen.
Nun soll das Geheimnis um die sogenannte Madame Royale gelüftet werden. Am Dienstag wurde das Grab geöffnet. Es seien Gebeine gefunden worden, "die dem Altershorizont der vermuteten historischen Person" entsprächen, sagte nach Angaben des Mitteldeutschen Rundfunks Thüringen die Anthropologin und Gerichtsmedizinerin Ursula Wittwer-Backofen.
Aus den Knochen soll DNA gewonnen werden um zu prüfen, ob es sich die Frau eine Tochter des während der Französischen Revolution hingerichteten französischen Königspaares Ludwig XVI. und Marie Antoinette war.
Die mysteriöse Dunkelgräfin von Hildburghausen sorgt seit rund 200 Jahren für reichlich Spekulationen. Sie soll in fast völliger Abgeschiedenheit gelebt haben, zeigte sich nie ohne Schleier und pflegte dennoch einen aufwendigen Lebensstil. Hartnäckig hält sich das Gerücht, die 1837 verstorbene Dame sei in Wahrheit eine bourbonische Prinzessin - die Tochter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes von Frankreich.
Legenden und Spekulationen
Als der vermeintliche Graf 1845 starb, stellte sich schnell heraus, dass es sich in Wirklichkeit um einen holländischen Diplomaten handelte, der sich am Hofe Ludwigs XVI. aufgehalten hatte. Die Identität der Dame gibt hingegen bis heute Rätsel auf. Ihr Begleiter gab ihren Namen als Sophia Botta an, die in Westfalen geboren wurde und ledig im Alter von 58 Jahren gestorben sei.
Seither kursieren etliche Verschwörungstheorien: Die einen vermuten in der sogenannten Dunkelgräfin eine illegitime Tochter des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, dem späteren König Wilhelm II. Andere spekulieren, es könnte sich um Sophie von Botta gehandelt haben, eine illegitime Tochter des österreichischen Kaisers Joseph II.
Die am heißesten diskutierte Theorie indes besagt, die Dame sei Prinzessin Marie Thérèse gewesen, Tochter des 1793 hingerichteten französischen Königspaares. Madame Royale soll - so die Legende - während ihrer Gefangenschaft in Paris heimlich durch eine andere Frau ausgetauscht worden sein.
Ein Erbguttest soll nun Licht ins Dunkel bringen. Der Stadtrat von Hildburghausen hatte bereits 2012 der Exhumierung der sterblichen Überreste zugestimmt. Eine Bürgerinitiative verzögerte das Projekt, brachte aber in einem Bürgerbegehren nicht genug Gegenstimmen zusammen.
Einzigartiger Fall
Als Vergleich dient den Experten Genmaterial von Ludwig XVII. - dem vermeintlichen Bruder der Madame Royale. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) unterstützt und dokumentiert das Projekt. Auf ähnliche Weise wurde schon vor einigen Jahren der Streit um den angeblichen Schillerschädel in der Weimarer Fürstengruft geklärt: Der Schädel gehörte nicht dem Dichterfürsten, wie sich dabei herausstellte.
Der Interessenkreis Madame Royale hofft nun, dass der "einzigartige historische Fall" der Dunkelgräfin endlich vollständig aufgearbeitet werden kann. Dies sei "aus geschichtswissenschaftlicher Sicht von großem Wert", erklärt die Gruppe, die sich gegründet hat, um die Identität der geheimnisvollen Frau "auf sachlicher Grundlage" zu klären.
Die Stadt Hildburghausen verspricht sich von dem Projekt auch einen Imagegewinn. "Und wenn es sich bei der Dunkelgräfin doch nicht um die königliche Tochter handelt, dann bleibt sie weiter ein Geheimnis", sagt Kerstin Heß vom Stadtmarketing.
Um mehr Touristen anzulocken, wurden bereits Wanderwege rund um das Grab teilweise neu hergerichtet. Und am Hildburghäuser Theater hatte jüngst der zweite Teil eines Stückes um "Das Geheimnis der Dunkelgräfin" Premiere. "Für das Stadtmarketing wird sie in jedem Fall weiter eine herausragende Rolle spielen", sagt Heß.