
Greenpeace-Protest: Hinter Gittern in Murmansk
Greenpeace-Crew in russischer Haft Gazproms Rache
An normalen Tagen geht Frank Hewetson am liebsten mit Familienhund Pluto um den Block. Doch diese Tage sind alles andere als normal. Während Pluto im Nordwesten Londons auf seinen Herren wartet, sitzt der in einer fünf mal fünf Meter messenden Gefängniszelle in Murmansk - zusammen mit einem kettenrauchenden Mithäftling. Immerhin: Ein kleines Wörterbuch und ein Schachspiel hat er bekommen, schreibt Hewetson in einem Brief an Frau Nina und die beiden Kinder daheim.
Zusammen mit 29 Kollegen sitzt der Greenpeace-Aktivist seit einem Monat in russischer Untersuchungshaft. Vorgeworfen wird der Besatzung des Schiffs "Arctic Sunrise" bandenmäßige Piraterie, es drohen bis zu 15 Jahre Haft. Alle bisher gestellten Anträge auf eine Entlassung auf Kaution haben die russischen Richter abgelehnt. Und so übt sich Hewetson einstweilen in Zweckoptimismus: Wenn er 80-mal hintereinander am Rand der schwach beleuchteten Zelle entlang laufe, dann komme schon die Strecke von seinem Haus zum nächstgelegenen U-Bahnhof Queen's Park zusammen.
Putin taucht ab
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich bei einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin für die Aktivisten starkgemacht. Elf Friedensnobelpreisträger haben mit einem offenen Brief an Putin appelliert, angeführt von Südafrikas Erzbischof Desmond Tutu, dem Apartheidsbekämpfer. Russlands Präsident selbst hatte gesagt, es sei "absolut offensichtlich", dass es sich nicht um Piraterie gehandelt habe.
Aber das war Ende September.
Drei weitere Wochen Haft sind seitdem für die 28 Umweltschützer und zwei Journalisten vergangen, ohne dass sich eine Lösung abzeichnet. Die Behörden werfen den Aktivisten Drogenbesitz vor. Auch die Anklage wegen Piraterie besteht weiter. Und Putin? Der geht auf Tauchstation. Über seinen Sprecher lässt der Kreml-Chef, der sich sonst naturnah gibt und persönlich seltene Störche in ihr Winterquartier eskortiert, ausrichten, nicht zuständig zu sein. Der Präsident sei "nicht der richtige Adressat" für die Appelle der Greenpeace-Unterstützer.
Früher hatte Greenpeace gute Kontakte in den Kreml
So zugeknöpft war der Kreml nicht immer. Vor einem Jahr war die "Arctic Sunrise" schon einmal in die raue Petschora-See aufgebrochen. Damals kletterte Greenpeace-Chef Kumi Naidoo selbst auf die Ölplattform "Priraslomnaja". Auch ein Aktivist aus Deutschland war dabei. Greenpeace entrollte Banner, Medien berichteten, Russlands Behörden blieben gelassen.
Vor der Aktion hatte es zwar Probleme gegeben, die Grenztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB sperrten den Zugang zum Hafen Murmansk. Doch Greenpeace ließ Beziehungen in der Hauptstadt spielen, schaltete Mitglieder von Putins Menschenrechtsrat ein. Moskau schritt ein: Nach einem Anruf aus dem Kreml konnte die "Arctic Sunrise" doch einlaufen.
Putin hat mit seinem Faible für Naturschützer wie Greenpeace nie hinter dem Berg gehalten. Er hege Sympathien für Aktivisten, die "in einem kleinen Boot versuchen, einem großen Kriegsschiff oder einem Industrieschiff zu widerstehen", hat er kanadischen Reportern einmal gesagt. Nach dem Ende seiner Karriere könne er sich vorstellen, selbst so eine Bewegung zu unterstützen.
"Man hätte die Hunde in die Luft sprengen sollen"
Das Interview stammt von 2001, eine gewisse Rückendeckung in der russischen Führung hatte Greenpeace aber auch zuletzt. So wurde die Organisation - anders als etwa die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung und zahlreiche weitere NGOs in Russland Anfang 2013 - nicht von Staatsanwälten durchsucht.
Es gab sogar pragmatische Kooperationen. Zu einem Treffen mit Automobilbossen lud Putin im April 2012 auch Russlands Greenpeace-Chef ein. Moskau bereitete sich gerade auf den Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) vor, musste dafür aber auch Zölle auf Importautos zum Schutz seiner Autoindustrie abbauen. Prompt schlug Greenpeace die Einführung einer "Recycling-Abgabe" für ausländische Autos vor. Putin lobte die "zivilisierte Idee" - und führte die neue Gebühr ein.
Doch nun schweigt der Kreml, den Ton setzen Scharfmacher. Alexander Prochanow, einer der Ideologen von Putins neuem, nationalistischen Kurs, bedauert öffentlich, dass man "die Hunde nicht in die Luft gesprengt hat, so dass von ihnen keine Spur bleibt". Der Duma-Abgeordnete Wladimir Burmatow wirft Greenpeace "ökologische Erpressung" vor. Die Crew sei sich der Folgen doch bewusst gewesen.
Die Niederlande greifen ein
Angesichts der folgenlos gebliebenen Aktion 2012 ist das fraglich. "Es gab keine Warnungen", heißt es bei Greenpeace. Stattdessen hätten die Behörden die Crew mit Absicht ins offene Messer laufen lassen. Eine Spezialeinheit des FSB hielt sich an der Plattform bereit.
Warum die Behörden so hart durchgriffen? "Putin hat damit nichts zu tun", sagt der Moskauer Politologe Alexej Muchin, Direktor des Think-Tanks CPI. Gazprom aber sei der Geduldsfaden gerissen. Der Konzern wolle nicht nur Greenpeace treffen, sondern "auch die Europäische Union". Die EU-Kommission hatte unter anderem Razzien in Gazprom-Büros veranlasst. Auch bei Greenpeace hält man Gazprom für die treibende Kraft. Zudem sei der Konzern eng verbandelt mit dem Geheimdienst FSB. Der Sohn von Ex-Geheimdienstchef Nikolai Patruschew ist Vizepräsident von Gazprom Dobytscha Schelf, einer Tochtergesellschaft für Offshore-Förderung.
Gazprom-Sprecher Sergej Kuprijanow erklärt dagegen, man sei "jederzeit offen für ein geregeltes und fundiertes Gespräch mit Umweltschützern". Die "teilweise aggressiven Kampagnen von Greenpeace" schienen jedoch "zuweilen weniger dem Dialog oder der Sache, sondern einzig der Eigenwerbung" zu dienen.
Die Angelegenheit beschäftigt längst auch Diplomaten in der EU. Die "Arctic Sunrise" fährt unter niederländischer Flagge, und der Regierung in Den Haag geht die Geduld aus. Außenminister Frans Timmermans lässt seine Mitarbeiter mittlerweile eine Klageschrift für den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg schreiben. Der ist zuständig, weil die Russen das Schiff weit vor ihrer Küste, in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone, aufgebracht haben. Dort hat Moskau nur stark eingeschränkte Souveränitätsrechte.
Der Sturm auf die "Arctic Sunrise" sei unrechtmäßig gewesen, erklärte Minister Timmermans in einem Brief an die Mitglieder des niederländischen Parlaments, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Die Regierung in Den Haag will erreichen, dass Schiff und Besatzung sofort freigelassen werden - bis die Angelegenheit völkerrechtlich geprüft ist. Ursprünglich sollte ein Streitschlichtungsverfahren den Erfolg bringen, doch nun muss wohl der Seegerichtshof ran. Bis Montag gebe man den Russen noch Zeit, heißt es aus dem Ministerium. Dann werde man die Hamburger Richter kontaktieren.
"Wir werden vorbereitet sein."