
Karl-Theodor zu Guttenberg: Der Herr der Bilder
Guttenberg-Umfragen Wie Bilder die Urteilskraft lenken
Es liegt in der Natur der Sache, dass Umfragen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen - doch selten haben sie sich so krass unterschieden wie in der Affäre um Karl-Theodor zu Guttenberg. Die etwa fragte vergangene Woche nach eigenen Angaben mehr als 260.000 Leser, ob der Verteidigungsminister zurücktreten solle. 87 Prozent seien der Meinung, er solle im Amt bleiben, posaunte die "Bild" auf der Titelseite. Auf ihrem Online-Angebot aber führte eine Abstimmung zu einem ganz anderen Resultat: 55 Prozent wollten, dass Guttenberg zurücktritt. Auf den Web-Seiten anderer Medien fiel dieses Votum noch deutlicher aus - bei SPIEGEL ONLINE etwa waren knapp 78 Prozent von mehr als 55.000 Nutzern für die Demission.
Der merkwürdige Unterschied zwischen den Nutzern von Online-Medien auf der einen und denen von Fernsehen und Zeitungen auf der anderen Seite scheint auch nach Guttenbergs Abgang anzuhalten. Eine Emnid-Erhebung im Auftrag des TV-Senders N24 hat am Mittwoch ergeben, dass 47 Prozent der Bundesbürger den Rücktritt des Ministers für falsch halten und 59 Prozent von ihm nicht menschlich enttäuscht sind. 69 Prozent glauben demnach an ein politisches Comeback Guttenbergs. Tagesschau und ARD-Morgenmagazins haben in einer "Blitzumfrage" nach dem Rücktritt ermittelt, dass 72 Prozent Guttenberg im Amt zurück haben wollen. Bei einer Telefon-Umfrage von n-tv sollen sich sogar 86 Prozent dafür ausgesprochen aben.
Ganz anders dagegen die Stimmung unter den Nutzern von Internet-Medien: Sie halten den Guttenberg-Abtritt durchweg mehrheitlich für gut. Die Zustimmungsquoten reichen von 52 Prozent beim "Focus" bis hin zu beeindruckenden 89 Prozent bei der "Frankfurter Rundschau" (siehe Tabelle).
Doch woher kommen diese teils gewaltigen Unterschiede zwischen den Benutzern von Online-Medien, Zeitungen und TV?
Zwei Arten der Meinungsbildung
"Man unterscheidet zwei Arten der Meinungsbildung", sagt der Würzburger Sozialpsychologe Fritz Strack. Fachleute sprechen von einem zentralen und einem peripheren Weg der Überzeugung. "Internet-Umfragen greifen Meinungen ab, die durch eine aktive Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt entstanden sind", sagt Strack. Denn hier seien Nutzer zu erwarten, die ihr Wissen aus mehreren Quellen bezogen hätten und deshalb weniger empfänglich für den Einfluss von Bildern seien.
Bei repräsentativen Umfragen aber - und erst recht bei Erhebungen unter TV-Zuschauern - seien viel stärker Menschen beteiligt, die sich auf der peripheren Route ihre Meinung bildeten. Im Fernsehen oder in Illustrierten regieren starke Bilder - "und die spielen im Fall Guttenberg eine ganz besondere Rolle", sagt Strack.
Guttenberg-Abstimmungen: Der Rücktritt war ...
... richtig/kam zu spät* | ... war unnötig/falsch* | ||
FAZ.net | 76 | 24 | |
Tagesspiegel.de | 74 | 26 | |
Spiegel.de | 70 | 30 | |
Focus.de | 52 | 48 | |
Frankfurter Rundschau | 89 | 11 | |
Tagesschau.de | 64 | 34 | |
Welt.de | 59 | 41 |
Die Kunst, Medien für eigene Zwecke einzuspannen, beherrscht der 39-jährige Polit-Popstar auf virtuose Weise. Egal, ob er im dunklen Anzug im Bundestag, im Combat-Outfit beim Truppenbesuch in Afghanistan oder im T-Shirt beim Rockkonzert auftaucht - "er sieht immer perfekt aus", meint Strack. "Ihn zu sehen, gibt den Leuten ein gutes Gefühl."
Das Auftreten steht im krassen Gegensatz zu seinem Vergehen, der Unterschlagung von Quellen in seiner Dissertation - ein für die meisten Wähler abstrakter Vorgang. Die "Vereinfachung der Urteilsbildung" durch den Einfluss von Bildinformationen spiele dann eine stärkere Rolle, so Strack.
Völlig anders war es etwa bei Joschka Fischer oder Rudolf Scharping. Sie sehen nicht nur weniger gut aus als Guttenberg, sondern hatten obendrein das Pech, in bildstarke Skandale zu geraten. Der Grünen-Politiker Fischer kam als Außenminister in schwere Bedrängnis, als Fotos auftauchten, die ihn 1973 bei Prügeleien mit Polizisten zeigten. SPD-Mann Scharping musste 2002 seinen Posten als Verteidigungsminister räumen, unter anderem weil er sich mit seiner Lebensgefährtin Kristina Gräfin Pilati beim Planschen im Swimmingpool ablichten ließ - kurz bevor die Bundeswehr nach Makedonien ausrückte.
Diskrepanz zwischen Schein und Sein
Auch Sex- oder Finanzskandale, etwa die CDU-Parteispendenaffäre der neunziger Jahre, liegen noch relativ nahe am Alltag der Wähler - näher jedenfalls als die Regeln des Wissenschaftsbetriebs, die Guttenberg gebrochen hat. Die Diskrepanz zwischen seiner öffentlichen Erscheinung und der Art seines Fehltritts war deshalb zunächst ein Vorteil für den Minister - und womöglich der Grund dafür, dass er und Kanzlerin Merkel glaubten, die Affäre aussitzen zu können.
Doch es gab noch eine andere Diskrepanz zwischen Schein und Sein bei Guttenberg: "Er hat sich geradezu als Inkarnation des Guten und Ehrlichen inszeniert", sagt Strack. Der Skandal wiege deshalb schwerer als etwa beim ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der schon vor Bekanntwerden seiner Verwicklung in die CDU-Spendenaffäre als politischer Rabauke galt - und eben nicht als Lichtgestalt.
Als es dann zum Aufstand der Anständigen kam, war es für Guttenberg endgültig zu spät, sich mit einer glasklaren Entschuldigung vielleicht doch noch zu retten: Spitzenforscher und Wissenschaftsfunktionäre zerfetzten seine Beteuerung, er habe bei seiner Doktorarbeit nicht bewusst getäuscht, in der Luft. Tausende Akademiker protestierten öffentlich gegen seinen Verbleib im Amt.
"Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden", sagt Sozialpsychologe Strack. Früher hätten Politiker Skandale durchstehen können, wenn die bildgewaltigen Medien auf ihrer Seite waren - getreu dem Motto Gerhard Schröders, der als Kanzler einmal sagte, für Politik brauche man nur "Bild", "BamS" und Fernsehen.
Heute sieht die Welt dank des Internets anders aus - im Fall Guttenberg zu besichtigen anhand der Website "Guttenplag Wiki", auf der Hunderte Freiwillige in Windeseile das Ausmaß des Plagiats enthüllten. "Man lässt sich dann nicht mehr hinhalten, etwa durch eine Universität, die die Vorwürfe gegen Guttenberg erst einmal wochenlang prüfen will", sagt Strack. Die noch nie dagewesene Verfügbarkeit von Informationen führe dazu, dass sich "die Öffentlichkeit nicht mehr so leicht blenden lässt".
Im Fall Guttenberg galt damit das Motto: Bild' dir deine eigene Meinung.