H1N1-Ausbreitung Deutschland bestellt 50 Millionen Impfdosen gegen Schweinegrippe
Erfurt/Genf - Deutschland ordert 50 Millionen Impfdosen gegen den Schweinegrippeerreger H1N1. Thüringen, das gegenwärtig den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz hat, brachte am Freitag eine entsprechende Bestellung auf den Weg. Das gab das Gesundheitsministerium in Erfurt nach Gesprächen zwischen Bund und Ländern bekannt.

H1N1-Forschung (bei GlaxoSmithKline in Dresden): Zwei Milliarden Euro für bundesweite Impfung nötig
Foto: VALENTIN FLAURAUD/ REUTERSMit der bereits angekündigten Bestellung orientieren sich die Gesundheitsminister an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Zunächst sollen demnach besondere Personengruppen geimpft werden, wie zum Beispiel Menschen mit chronischen Krankheiten oder Beschäftigte im Gesundheitswesen. Derzeit wird eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums zwischen Bund und Ländern abgestimmt, in der die Einzelheiten der Impfung geregelt werden sollen - unter anderem die Frage, ob die Krankenkassen für die Kosten aufkommen müssen. Wie die WHO am Freitag in Genf mitteilte, seien die ersten Schweinegrippe-Impfstoffe voraussichtlich im September verfügbar.
Die Behörden bemühen sich darum, Ängste zu vermeiden, dass der Impfstoff nicht für alle reicht. Dem Thüringer Gesundheitsministerium zufolge gibt es eine Option zum Kauf weiterer Rationen, um gegebenenfalls die gesamte Bevölkerung impfen zu können. Die 50 Millionen Dosen sollen zunächst rund 700 Millionen Euro kosten. Für eine bundesweite Impfung wären laut Ministerium insgesamt zwei Milliarden Euro fällig.
Doch noch gibt es gar keinen passenden Impfstoff. Er wird zurzeit noch entwickelt und soll Ende September zur Verfügung stehen. In den USA beginnen demnächst klinische Studien mit Präparaten zweier Hersteller. Das Vakzin dürfe erst dann freigegeben werden, wenn es keinerlei Sicherheitsbedenken mehr gebe, sagte der Leiter der WHO-Grippe-Abteilung, Keiji Fukuda. Nach aktueller Planung soll die freiwillige Impfaktion in Deutschland dann im Oktober beginnen.
Der Virologe Alexander Kekule von der Universität Halle-Wittenberg zieht diesen Zeitplan aber in Zweifel: "Ich gehe davon aus, dass wir irgendwann im November oder vielleicht noch später in Deutschland dann im großen Stil impfen werden. Nach der zweiten Impfung, die nach einem Monat erfolgt, ist der Impfschutz sicher", sagte Kekule dem Radiosender "NDR info". Ein großer Teil der Menschen werde bis dahin aber die Infektion schon hinter sich haben.
"Ganz viele neue Fälle in Deutschland"
In den kommenden Wochen stehe Deutschland eine Welle von Erkrankungen bevor. "Ich gehe fest davon aus, dass mit dem Ende der Reisephase ganz viele neue Fälle in Deutschland sein werden", sagte Kekule. "Das beginnt jetzt schon und wird in den nächsten Monaten zunehmen, da müssen wir uns jetzt einfach drauf einstellen." Mit zunehmend mehr Erkrankten werde es auch erste Todesfälle in Deutschland geben.
Der britische Influenza-Experte Tom Jefferson von der Cochrane Collaboration, einem von Industrie und Interessenverbänden unabhängigen Netzwerk von Wissenschaftlern, hatte im Gespräch mit dem SPIEGEL gewarnt, es sei noch völlig offen, ob die Schweinegrippe-Impfung tatsächlich vor der Schweinegrippe schützen wird.
Die Zahl der Erkrankungsfälle in Deutschland steigt unterdessen weiter stark an. Innerhalb eines Tags seien 389 Neuerkrankungen hinzugekommen, berichtete der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Jörg Hacker, am Freitag. Damit seien derzeit 2844 Fälle offiziell registriert. Am Vortag war die Zahl binnen 24 Stunden um 637 hochgeschnellt.
"Wir sehen das mit einer gewissen Sorge, ohne in Panik zu verfallen", erklärte Hacker im ZDF-Morgenmagazin. "Es ist schon ungewöhnlich, dass im Sommer das Virus auftritt." Rund 80 Prozent der Krankheiten seien importiert, kommen also mit Urlaubsrückkehrern nach Deutschland. Er wolle aber keine Reisewarnungen für bestimmte Länder aussprechen, sagte Hacker. Wenn möglich, sollte man aber Menschenansammlungen meiden. Symptome der Schweinegrippe seien trockener Husten, plötzlicher Temperaturanstieg und Gliederschmerzen.
Großbritannien: 100.000 Fälle in einer Woche
In Europa ist Großbritannien mit 100.000 Fällen in einer Woche und 31 Toten das am stärksten betroffene Land. Deswegen hat die Regierung dort, ähnlich wie die in Australien, Impfdosen für die gesamte Bevölkerung bestellt. Das bringt allerdings Probleme mit sich: Die WHO schätzt, dass maximal 900 Millionen Dosen pro Jahr hergestellt werden können - genug für gerade mal 450 Millionen Menschen. Damit bleiben nach den Bestellungen aus Industriestaaten für die Entwicklungs- und Schwellenländer kaum Kontingente übrig.
Südamerikanische Staaten haben bereits dagegen protestiert, dass reiche Staaten den Markt für Impfstoff leerkaufen. "Nach unseren Informationen ist ein großer Teil bereits reserviert", klagte der argentinische Gesundheitsminister Juan Manzur jüngst nach einem Treffen mit Kollegen aus der Region.
Für die ganz Armen sieht es noch schlechter aus. Wie so oft würden vorrangig Leben in den wohlhabenden Staaten gerettet, weil Entwicklungsländer sich die Medikamente nicht leisten könnten, sagt WHO-Chefin Margaret Chan. Zwei Pharmakonzerne haben für den armen Teil der Welt immerhin 150 Millionen Gratis-Impfdosen zugesichert. Das wird laut Chan aber "selbstverständlich nicht ausreichen".