Harte EU-Vorgaben So soll Deutschland das Klima retten
Die EU meint es Ernst mit dem Klimaschutz. Sie hat ein Klimaschutzpaket verabschiedet, das sie als "historisch" preist - und das allen EU-Ländern verbindliche Ziele für Treibhausgas-Reduktion und den Anteil erneuerbarer Energien vorschreibt.
Demnach muss Deutschland den Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid bis 2020 um mindestens 14 Prozent senken gegenüber dem Ausstoß 2005. Dieses Ziel gilt für die Emissionen von Fahrzeugen, Haushalten, Gewerbe und Landwirtschaft. Die Abgase von Industriebetrieben sollen mit Hilfe des EU-weiten Emissionshandels verringert werden - und auch der soll reformiert werden.
Kommt Deutschland damit besser oder schlechter davon als andere Staaten? Hinter den Ziel-Zahlen verbirgt sich ein komplexes Rechenwerk - SPIEGEL ONLINE entschlüsselt die Kerndaten.
In absoluten Zahlen: 72 Millionen Tonnen CO2 müssten Haushalte, Verkehr, Gewerbe, Landwirtschaft in Deutschland laut der EU-Vorgabe einsparen, dann wären die 14 Prozent erreicht. Kann die Bundesrepublik das schaffen? Ja, meint das SPD-geführte Umweltministerium: "Dieses Ziel werden wir schon durch unser bereits beschlossenes Klimapaket übertreffen", sagt Pressereferent Tobias Dünow.
Das bereits beschlossene Klimapaket - damit meint Dünow die Vereinbarungen in der Bundesregierung nach dem EU-Gipfel im März 2007. Damals hatten die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu senken - im Vergleich zum Ausstoß von 1990. Deutschland nahm sich daraufhin vor, sogar 40 Prozent bis 2020 schaffen zu wollen. Damit ist die Bundesregierung auch nach den neuen EU-Vorgaben auf der sicheren Seite, zumal sie im Dezember konkrete Maßnahmen beschlossen hat, wie dieses Ziel erreicht werden soll.
Ministeriumssprecher Dünow rechnet vor: "Die beim EU-Gipfel 2007 beschlossenen Einsparungen bringen etwa 100 Millionen Tonnen CO2" - also mehr als die jetzt geforderten 72 Millionen Tonnen.
Kann sich Deutschland also zurücklehnen? Nein. Denn erstens müssen die Gesetzespläne zunächst den Praxistest überstehen: Reichen die beschlossenen Schritte wirklich, um die CO2-Belastung so drastisch zu senken?
Zweitens verfolgt die EU-Kommission eine Doppelstrategie: Die 20 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 sind nur das Minimalziel - in Wahrheit geht es um 30 Prozent. "Wenn ein neues globales Klimaschutzübereinkommen in Kraft ist, wird das Reduktionsziel bis 2020 auf 30 Prozent angehoben", heißt es in der Presseerklärung der EU . Dass es zu einem solchen Weltklima-Abkommen kommt, davon ist auszugehen - möglicherweise schon in Kopenhagen 2009.
Für Deutschland bedeutet das im Klartext: Es müsste nicht 72 Millionen Tonnen CO2 einsparen, sondern 125 Millionen Tonnen. Das läge rund 25 Millionen Tonnen über den 100 Millionen, die die Bundesregierung selbst mit ihrem Gesetzespaket schaffen will.
Um den Zahlen-Wirrwarr komplett zu machen: Im Vergleich zu 1990 müsste Deutschland seine Emissionen dann um etwa 42 Prozent senken. Das wären zwei Prozentpunkte mehr als jene 40 Prozent, zu denen sich Deutschland im 1990er-Vergleich bisher bekannt hatte.
EU-Klimavorgaben für die Mitgliedstaaten
geforderte Veränderung des CO2-Ausstoßes bis 2020 (gegenüber 2005) | geforderter Anteil an erneuerbaren Energien 2020 | |
---|---|---|
Belgien | -15.0% | 13% |
Bulgarien | 20.0% | 16% |
Dänemark | -20.0% | 30% |
Deutschland | -14.0% | 18% |
Estland | 11.0% | 25% |
Finnland | -16.0% | 38% |
Frankreich | -14.0% | 23% |
Griechenland | -4.0% | 18% |
Großbritannien | -16.0% | 15% |
Irland | -20.0% | 16% |
Italien | -13.0% | 17% |
Lettland | 17.0% | 42% |
Litauen | 15.0% | 23% |
Luxemburg | -20.0% | 11% |
Malta | 5.0% | 10% |
Niederlande | -16.0% | 14% |
Österreich | -16.0% | 34% |
Polen | 14.0% | 15% |
Portugal | 1.0% | 31% |
Rumänien | 19.0% | 24% |
Schweden | -17.0% | 49% |
Slowakei | 13.0% | 14% |
Slowenien | 4.0% | 25% |
Spanien | -10.0% | 20% |
Tschechien | 9.0% | 13% |
Ungarn | 10.0% | 13% |
Zypern | -5.0% | 13% |
Umweltminister Sigmar Gabriel spricht von zusätzlichen Belastungen für Deutschland. Im Gegenzug würden südeuropäische Staaten entlastet (siehe auch Tabelle). Dies umzusetzen sei eine Herausforderung - insgesamt aber noch "verträglich", sagte der SPD-Politiker. Er machte deutlich, dass die Bundesregierung im Gegenzug Zugeständnisse der EU im Streit um CO2-Obergrenzen für Neuwagen erwartet.
Die Forderungen der EU haben trotzdem Proteste der Industrie und von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ausgelöst. Die Wirtschaft warnt, die Beschlüsse könnten Milliarden kosten und Hunderttausende Arbeitsplätze in der Bundesrepublik vernichten.
Auch der Emissionshandel soll stark reformiert werden
Die Aufregung über die CO2-Ziele rückte einen wichtigen Teil des Klimaschutzpakets in den Hintergrund, der vielleicht sogar der wichtigste ist: die Reform der Emissionszertifikate. Die EU-Kommission will das bisherige System, das vielfach kritisiert wird, umbauen und effektiver machen.
Künftig sollen nicht nur Verschmutzungsrechte für CO2, sondern auch für andere Treibhausgase gehandelt werden. Die Menge der ausgegebenen Zertifikate will die EU-Kommission von Jahr zu Jahr zurückfahren, so dass die Emissionen bis 2020 um 21 Prozent reduziert werden können gegenüber 2005.
Für die Strombranche - den größten Emittenten in der EU - soll die vollständige Versteigerung der Emissionszertifikate gleich mit Beginn des neuen Systems 2013 zur Regel werden. Andere Wirtschaftszweige, auch die Luftfahrt, sollen den Plänen zufolge schrittweise zur vollständigen Versteigerung der Zertifikate übergehen.
Die Grundidee hinter den Emissionszertifikaten: Unternehmen müssen sich das Recht kaufen, die Luft zu verschmutzen, und zwar in Form von Zertifikaten, die an einer Börse gehandelt werden. Je weniger Zertifikate es gibt und je begehrter sie sind, desto teurer werden sie - und damit die Luftverschmutzung.
Bisher allerdings wurden die Zertifikate fast sämtlich kostenlos ausgegeben. Hinzu kam die milde Witterung im vergangenen Jahr, so dass praktisch kein Unternehmen sein Kontingent ausschöpfen musste. Die Kurse verfielen (siehe Grafik) - der seit 2005 mögliche Kauf und Verkauf von Verschmutzungsrechten an mehreren europäischen Börsen hat sich als Flop erwiesen. An der Leipziger Strombörse EEX etwa kostet eine Tonne Kohlendioxid derzeit am Spotmarkt nur ein paar Cent. Seit dem 19. April 2006, als der Preis noch bei fast 30 Euro lag, kannten die Zertifikatpreise praktisch nur eine Richtung: nach unten.
Von der jetzt geplanten Versteigerung der Verschmutzungsrechte erwartet die EU-Kommission jährlich 50 Milliarden Euro Einnahmen. Das Geld soll vor allem für Klima-Innovationen eingesetzt werden.
Für energieintensive Unternehmen plant die Kommission Ausnahmen: Sie sollen Zertifikate gratis bekommen. Damit könnten weltweite Wettbewerbsnachteile etwa für die Stahl- oder Aluminiumindustrie vermieden werden, sagte Gabriel. "Deshalb finde ich diese Regelung klug." Wer im Einzelnen davon profitieren könnte, solle schnell festgelegt werden.
Die deutsche Chemieindustrie kritisierte die EU-Pläne zum Emissionshandel. Eine kostenlose Zuteilung von Zertifikaten werde an so viele Bedingungen geknüpft, dass für Investitionen am Chemiestandort Deutschland hohe Ungewissheit für die Zeit nach 2012 bestehe.
Die kommenden Jahre werden zeigen, wie ernst es die EU wirklich mit dem Emissionshandel meint. Je mehr Ausnahmen und Gratis-Zuteilungen es gibt, umso geringer sind die Chancen, dass der Handel tatsächlich zur Minderung des CO2-Ausstoßes beiträgt. Und auch allzu üppige Zuteilungen, wie sie mancher Firmenchef fordert, würden verhindern, dass ein echter Markt entsteht.