Henkersplätze im Hinterhof Kopf ab, Knochen gebrochen, Nagel im Schädel

In manchem deutschen Garten liegen steinalte Leichen, unentdeckt und übel zugerichtet: Unter der Grasnarbe verbergen sich Galgenhügel und Henkersplätze aus dem Mittelalter. Bisher wurden sie oft nur durch Zufall entdeckt - doch jetzt machen sich Archäologen auf die Suche.

Kurt Bachmann und sein Sohn Uwe haben kaum zu graben begonnen, da stoßen sie auf etwas Hartes. Sie stutzen. Sie graben weiter - und staunen: Menschliche Knochen liegen dicht unter der Grasnarbe ihres Grundstücks in Hessisch-Lichtenau, auf dem sie gerade das Fundament für ihr neues Gartenhaus legen wollten.

Es ist ein menschliches Skelett. Der Länge nach ausgestreckt, die Arme ordentlich über dem Bauch verschränkt. Am merkwürdigsten daran: Der Kopf sitzt nicht mehr auf dem Hals - sondern ruht zwischen den Knien.

Die Familie ruft den örtlichen Geschichtsverein. Eine archäologische Arbeitsgruppe hilft bei der fachmännischen Bergung der Knochen, zumindest bis die Blockhütte kommt, für die das Fundament an der Begräbnisstätte des Toten gedacht war. Die Füße können die Ausgräber nicht mehr rechtzeitig herausholen. Sie bleiben unter dem Boden der Hütte liegen.

Jede Stadt richtete Verbrecher

Schnell wird klar, was Kurt und Uwe Bachmann in ihrem Garten gefunden haben. Ihre Wohngegend ist als "Galgenberg" und "Galgenhügel" bekannt. Der deplazierte Kopf ist der letzte Beweis: Der Mensch aus dem Garten ist höchstwahrscheinlich durch das Schwert gestorben.

Eine C14-Datierung ergab, dass ihn der Tod irgendwann zwischen 1256 und 1388 ereilte. Das Grundstück der Bachmanns liegt offenbar auf einem ehemaligen Richtplatz.

Archäologe Jost Auler hat in Deutschland den neuen Zweig der Richtstättenarchäologie begründet und ein Buch zum Thema herausgegeben (Richtstättenarchäologie, Archaeotopos Buch-Verlag 2008, ISBN 978-3-938473-07-8).

Auler hält den Fall der Familie für exemplarisch. "Die Galgen und Richtplätze des Mittelalters und der frühen Neuzeit sind heute längst vergessen und von dichter Wohnbebauung überwuchert", sagt er. Der Experte will das ändern. "Mit Hinrichtungsorten hat sich bislang noch nie jemand systematisch auseinandergesetzt. Sie lagen immer außerhalb der Ortschaften auf dem freien Feld - und gehörten damit einfach nicht zum Repertoire der Stadtarchäologen."

Erst etwa 50 Richtstätten in Deutschland sind wissenschaftlich untersucht - ein Bruchteil, wenn man bedenkt, dass früher jede Stadt, jede Ortschaft auf ihrem eigenen Exekutionsplatz Schwerverbrecher strafte.

In den meisten Fällen gab es nicht nur einen, sondern sogar zwei Plätze für die Blutgerichtsbarkeit. Am ersten stand der Galgen - am zweiten der Stein, auf dem der Scharfrichter Todgeweihten den Kopf mit Beil oder Schwert abschlug. "Rabensteine" nannten die Leute diese Podeste, wegen der schwarzen Aasfresser, die über dem Platz kreisten und darauf warteten, dass die Menge der Schaulustigen sich verzog und sie sich zum Festmahl niederlassen konnten.

Zum Köpfen brauchte es nicht mehr als eine erhöhte Fläche - für die Galgen dagegen waren oft riesige, bis zu vier Meter hohe Repräsentationsbauten nötig. Denn zum einen blieben viele Gehenkte nach der Hinrichtung noch so lange hängen, bis durch Verwesung und Schwerkraft einzelne Leichenteile zu Boden fielen - die Aufhängevorrichtung musste also Platz für eine stattliche Anzahl von Körpern bieten. Zum anderen waren die Richtstätten ein weithin sichtbares Symbol für die Strenge, mit der die jeweilige Stadt gegen Verbrecher vorging.

Gerädert, zerschmettert, zertrümmert

Die Galgenstätten lagen meist an den großen Einfahrtsstraßen. Wer sich als Fremder einem Herrschaftsgebiet näherte, musste auf seinem Weg erst einmal die Hinrichtungsstätte passieren. Eine deutliche Warnung, sich anständig zu benehmen.

Solchen und vielen andere Fakten recherchieren Archäologe Auler und seine Kollegen nun nach. Sie sind inzwischen imstande, die imposanten Galgen zu rekonstruieren - und den Arbeitsalltag eines Scharfrichters nachzuvollziehen.

Dazu gehörte neben dem Töten, die Leichen möglichst abschreckend herzurichten und auszustellen. Ein Fund aus dem rheinischen Langenfeld macht klar, dass das Umfeld der Richtstätten grausig gestaltet war. Bei Baggerarbeiten kam der Schädel einer jungen Frau zu Tage, an dem noch Reste einer Kappe mit kostbarer Brokat-Borte hingen. Längs durch den Schädel steckte ein Eisennagel von fast einem halben Meter Länge. Mit ihm hatte der Scharfrichter den abgetrennten Kopf der feinen Dame auf einen Pfosten genagelt.

Ähnlich sah auch der berühmte Schädel aus, der 1878 auf dem Grasbrook in Hamburg gefunden und oft dem Piraten Klaus Störtebeker oder seinem Kumpanen Gödeke Michels zugeschrieben wurde. Von den Pfosten, auf denen die Schädel prangten, haben die Jahrhunderte nur mehr dunkle Verfärbungen im Boden hinterlassen, sogenannte Pfostenlöcher.

Leichen möglichst grauenvoll hergerichtet

In ihnen könnte allerdings auch eine andere Art von Pfosten gesteckt haben - die gefürchteten "Räder". Auf ihnen endete, wer die schlimmsten aller Verbrechen begangen hatte, Mord oder Königsverrat. Beim Rädern wurde der Verurteilte mit gestreckten Extremitäten auf dem Boden festgepflockt. Dann ließ man immer und immer wieder ein eisenbeschlagenes Rad mit voller Wucht auf ihn niederfahren.

An einem Skelett aus der Friedlandburg bei Göttingen kann man sehen, was diese brutale Prozedur mit dem Körper anrichtete. Rippen sind zerschmettert, Unterschenkel und Unterarme gebrochen, der Schädel an der linken Schläfe zertrümmert.

Wer auf einen gnädigen Richter traf, durfte auf eine Räderung "von oben" hoffen. Dabei zielten die ersten Schläge des Rades gegen Kopf oder Hals. Den Rest der Gewaltorgie bekam der Verurteilte dann nicht mehr mit.

Es gab jedoch auch das Rädern "von unten". Schlag für Schlag nahm sich der Scharfrichter die einzelnen Extremitäten vor. War der Körper zermalmt, wurde er durch die Speichen des Rades geflochten und auf dem Richtplatz aufgestellt. Mitunter lebten die Verurteilten noch mehrere Stunden lang. Die Körper waren dem Wetter, dem Tierfraß und der Verwesung ausgeliefert. Als längste belegte Verweildauer auf dem Rad ist eine Frist von drei Jahren bekannt.

Außer malträtierten Skelettresten und Pfostenlöchern finden die Archäologen auf vielen Richtstätten Tierknochen. "Die Scharfrichter wurden von ihren Arbeitgebern in der Regel nicht besonders gut bezahlt", sagt Auler. "Deshalb bekamen sie meist von den Städten noch zusätzlich das Wasenrecht - also die Erlaubnis zum Entsorgen von Tierkadavern, verliehen."

Nicht immer brachte der Scharfrichter die toten Tiere auf den dafür vorgesehenen Schindanger. Oft endeten sie unter dem Galgen in denselben Gruben wie die hingerichteten Menschen, zum Beispiel im schweizerischen Emmenbrücke. Als die Archäologen dort gruben, fanden sie ein dichtes Gewirr von Menschen- und Pferdeleibern, nur notdürftig verscharrt - "verlocht" heißt das im Fachjargon.

Der Tote von Hessisch-Lichtenau hatte also noch Glück. Wenn auch mit dem Kopf zwischen den Beinen, durfte er jahrhundertelang doch ordentlich arrangiert in der Erde ruhen.

Was nun mit seinen Knochen geschehen soll, ist ungewiss. Kein Museum möchte sie haben. Und eine Wiederbestattung? Dürfte man die Gebeine eines mutmaßlichen Schwerverbrechers sieben Jahrhunderte nach seinem Tod letztendlich doch in geweihte Erde legen?

Der Archäologe ist dagegen. "Die Knochen gehören ins Magazin der zuständigen Bodendenkmalpflege", sagt Auler. Nur so seien spätere Nachuntersuchungen möglich.

Grundstücksbesitzer Uwe Bachmann verwahrt die Gebeine vorerst in einer Kiste. Und lässt die Füße wohl noch lange unter der Blockhütte ruhen.

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