Hightech gegen die Angst Wie Strahlenschützer Japan-Rückkehrer checken
Wie der Mann heißt, mag er nicht sagen. Auch nicht, für wen er arbeitet. Nur so viel ist über den stillen Herrn im weißen T-Shirt und weißer Hose zu erfahren: Er soll am Dienstag aus Japan zurückgekommen sein. Nachprüfen kann man das freilich nicht. Vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) will der Heimkehrer aber nun erfahren, ob er möglicherweise radioaktiven Belastungen ausgesetzt war. In der Berliner Außenstelle der Behörde hat er deswegen auf der Liege eines Untersuchungsraums Platz genommen.
Die innen weiß gestrichene, fensterlose Zelle liegt in einem runden Kellerraum. In ihrem Inneren fühlt man sich entfernt an ein U-Boot erinnert. Oder an eine Filmkulisse - zumal auf der Tür eine Unterschrift von Heiner Lauterbach prangt. "Das ist eine sogenannte Ganzkörpermessanlage", erklärt BfS-Mitarbeiter Udo Gerstmann. Auf Englisch trägt das Gerät den etwas beängstigenden Namen "Body Counter". Lauterbach hat sich hier im November 1997 offenbar checken lassen.
Etwa 20 Minuten dauert jede Untersuchung in der engen Kammer. Der Proband liegt still, während ein Messgerät langsam über seinen Körper fährt. Zur Ablenkung gibt es auf Wunsch Musik aus einem Lautsprecher an der Wand. Von Volksmusik über Klassik bis zu Metal der Band Rammstein habe man schon alles gespielt, sagt das Personal. Zwei sogenannte Germanium-Halbleiterdetektoren fahnden während der Untersuchung nach Strahlung aus dem Körperinneren.
Fahndung nach Gammastrahlung
Gammaspektroskopie heißt das Verfahren - und nur Gammastrahlung kann dabei überhaupt erkannt werden. Nur sie ist auf die Distanz stark genug, um außerhalb des Körpers nachweisbar zu sein. Die Messgeräte sind hochsensibel. Damit Umgebungsstrahlung sie nicht aus dem Konzept bringt, ist der unterirdische Untersuchungsraum abgeschirmt. Anderthalb Meter dicker Beton sorgt dafür.
Dazu kommen massive Stahlplatten. Sie sind hinter einer hellen Holzvertäfelung versteckt - und haben eine besondere Geschichte. Der Stahl stammt von Kriegsschiffen, die noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges versenkt und später gehoben wurden. Er ist im Gegensatz zu modernem Stahl frei von strahlenden Verunreinigungen. Sie gelangten durch die Atombombenabwürfe auf Japan, die oberirdischen Atomtests der fünfziger und sechziger Jahre und mit Schrottresten aus abgebauten Nuklearanlagen in das Material.

In der Ganzkörpermessanlage werden normalerweise Menschen untersucht, die beruflich mit Strahlenquellen zu tun haben. Über die Nase, den Mund oder die Haut können radioaktive Stoffe in den Körper gelangen. Inkorporation nennen Wissenschaftler den Vorgang. Bemerken können wir ihn nicht - dem Menschen fehlt ein Sinnesorgan für Radioaktivität. Mit Hilfe der Gammaspektroskopie wird nach all jenen Radionukliden gesucht, die sich gleichmäßig im Körper verteilt haben. Cäsium 137 oder Kalium 40 könnten das zum Beispiel sein.
Als Ausschlag von roten Punkten aus einer ansonsten gelben Linie, als sogenannter Peak, wären sie auf dem Computerschirm vor Mitarbeiterin Petra Süß erkennbar. Die pharmazeutisch-technische Assistentin, hier im Dienst seit 1975, sitzt an einem Terminal vor dem Untersuchungsraum. Knapp hundert Leute haben sich nach Angaben des BfS in Deutschland bisher testen lassen. Etwa ein Dutzend davon in Berlin, die anderen an zehn anderen Standorten bundesweit.
"Das Problem liegt nicht bei uns. Das Problem liegt in Japan."
Bei rund einem Drittel der Probanden seien "geringförmige Inkorporationen" von Radionulkiden festgestellt worden, erklärt die Behörde. Das sei vor allem Jod 131 und Tellur/Jod 132 gewesen. "Alles, was festgestellt worden ist, bewegt sich weit unterhalb gesundheitlicher Risiken", sagt BfS-Präsident Wolfram König. Mit anderen Worten: Die kostenlos angebotenen Messungen für Japan-Heimkehrer dienen vor allem der Beruhigung. "Wir sind in der Lage, Angebote für diejenigen zu machen, die aus Japan zurückkehren und sich verunsichert fühlen", sagt König.
Verunsichert, so scheint es, sind freilich nicht nur Japan-Reisende, sondern auch viele Deutsche, die dem asiatischen Land in ihrem Leben noch nicht einmal nahe gekommen sind. Zu prägend war das kollektive Trauma nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, die Angst vor der strahlenden Wolke. Deswegen sorgen sich die Menschen nach dem Unfall von Fukushima - auch wenn die Katastrophe in Japan nach allem Ermessen so weit weg ist, dass sie niemanden in Deutschland gefährdet.
"Wir hatten in unserer Geschichte noch keinen solchen Ansturm auf unsere Homepage", berichtet König. Auch das Bürgertelefon der Behörde habe in den vergangenen knapp zwei Wochen kaum stillgestanden: "Die Risikowahrnehmung und die wissenschaftlich nachgewiesenen Informationen laufen auseinander."
Das BfS ist ein Kind der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Und in diesen Tagen will man zeigen, dass man die Sorgen der Menschen in Deutschland ernst nimmt und dass alles unter Kontrolle ist. Immer wieder verweist König auf die 1800 über das Bundesgebiet verteilten Messstationen, die nach Radioaktivität in der Luft fahnden. Und auf die besonders sensible Messstation bei Freiburg, eigentlich zuständig für die Kontrolle des Atomteststoppvertrags.
Leicht erhöhte Radioaktivitätswerte könnte es wegen der Katastrophe von Fukushima schon geben. Wegen "Feinspuren" von Radionukliden in der Luft, wie König sie nennt. Doch die Menschen bräuchten sich nicht zu sorgen: "Das Problem liegt nicht bei uns. Das Problem liegt in Japan."