

Sie sind nicht so geheimnisvoll wie die weltbekannte "Himmelsscheibe" von Nebra und längst nicht so schön wie die in Berlin ausgestellte Büste der Nofretete. Rein archäologisch betrachtet haben die Holzspeere, die zwischen 1994 und 1998 im ehemaligen Tagebaugebiet des niedersächsischen Provinzstädtchens Schöningen entdeckt wurden, aber einen weitaus größeren Wert - obwohl sie in der Öffentlichkeit noch immer weitgehend unbekannt sind. Sie brachten ein lange gültiges Weltbild zum Einsturz und förderten den ersten stichhaltigen Beweis zutage, dass Urmenschen geschickte Handwerker und hocheffiziente Jäger waren und keine Halbaffen, die höchstens mal mit Zweigen in Ameisennestern herumstocherten.
Dort, wo mit den "Schöninger Speeren" eine der größten Fundsensationen der Geschichte gelang, wurde nun ein weiteres Artefakt ausgegraben, das von der steinzeitlichen Ingenieurskunst des dort lebenden Homo heidelbergensis kündet: ein 64,5 Zentimeter langer und etwa 300.000 Jahre alter Wurfstock aus Fichtenholz, der vermutlich allerlei Federvieh das Leben kostete.
Das wissenschaftliche Team vom Senckenberg-Zentrum der Universität Tübingen, das in Schöningen gräbt, konnte durch die Analyse der Gebrauchsspuren und bei Versuchen mittlerweile nachweisen, dass die 264 Gramm schwere Jagdwaffe höchst wirkungsvoll und tödlich gewesen sein muss. Durch die Bearbeitung rotierte sie wie ein Bumerang um ihren eigenen Schwerpunkt, kehrte allerdings nicht zum Werfer zurück. Sie erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 30 Metern pro Sekunde und war also eine Art rasender Rotor, der am Ufer des Sees, den es damals am Fundort gab, wohl in erster Linie bei der Jagd auf Enten und Schwäne zum Einsatz kam. Außerdem nutzten die Urmenschen den Stock wohl dafür, um Wildpferde und andere Säugetiere vor sich herzutreiben. Ähnliche Waffen wurden bereits in Nordamerika, Afrika und Australien entdeckt. Allerdings sind diese allesamt deutlich jünger.
Dass die Urmenschen, die im heutigen Schöningen lebten, herausragende Handwerker waren, bewiesen schon die Speere. Die Langwaffen sind keine schnell geschnitzten Pikser, sondern frühe Spitzentechnik, Made in Steinzeit-Germany. Ihr Schwerpunkt liegt etwa zwischen dem ersten und zweiten Drittel und so fliegen sie ähnlich gut wie heutige Wettkampfspeere: mehr als 70 Meter weit.
"Die Fundstelle Schöningen liefert mit Abstand die zahlreichsten und bedeutendsten Holzwerkzeuge der Altsteinzeit", resümiert Chef-Archäologe Nicholas Conard, "sie ist wegen der fabelhaft guten Erhaltungsbedingungen weltweit einmalig". Neben den Speeren, einer Lanze und dem Wurfstock kamen auch Hunderte Skelette von Wildpferden und anderen Tieren ans Tageslicht, die von einer besonders reichhaltigen Fauna künden. Vor einiger Zeit stießen die Archäologen auf den Zahn eines Säbelzahntigers – und sorgten damit für eine weitere Überraschung. Bis dahin war es unter Wissenschaftlern nämlich Konsens, dass eines der gefährlichsten Raubtiere der Steinzeit in diesen nördlichen Breitengraden gar nicht beheimatet war.
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So fanden die Archäologen vom Senckenberg-Zentrum der Universität Tübingen den Wurfstock bei ihren Ausgrabungen vor.
Bei den Ausgrabungen in Schöningen kamen über die Jahre die berühmten "Schöninger Speere" ans Tageslicht sowie eine Lanze, der Wurfstock und Hunderte Skelette von Wildpferden und anderen Tieren, die von einer besonders reichhaltigen Fauna künden.
Der Wurfstock in einer Skizze.
Die Eiszeitjäger setzen den Wurfstock möglicherweise zur Jagd auf Wasservögel ein.
Der Fund im Detail.
1: Beschädigung durch Einschlag mit stufenförmiger Aussplitterung
2: Einschlagbeschädigung in Form zweier unregelmäßiger Vertiefungen
3: Beispiel für einen abgeschnittenen und abgeriebenen Astansatz der mit einem Werkzeug geglättet wurde
4: Dünnschnitt der die exzellente Erhaltung der Zellstruktur des Fichtenholzes zeigt. Die Probe stammt vom beschädigten Ende des Werkzeuges.
Der Fund im Detail.
1: Beschädigung durch Einschlag mit stufenförmiger Aussplitterung
2: Einschlagbeschädigung in Form zweier unregelmäßiger Vertiefungen
3: Beispiel für einen abgeschnittenen und abgeriebenen Astansatz der mit einem Werkzeug geglättet wurde
4: Dünnschnitt der die exzellente Erhaltung der Zellstruktur des Fichtenholzes zeigt. Die Probe stammt vom beschädigten Ende des Werkzeuges.
Foto: Alexander JanasMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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