Stark angereichertes Uran entdeckt Wie viel fehlt noch zur Bombe?

Atomsymbol auf iranischer Flagge: Arbeitet das Land an einer Atombombe?
Foto: Dado Ruvic / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Medienberichten zufolge haben Inspekteure der Uno-Atomaufsicht in Iran auf 84 Prozent angereichertes Uran entdeckt. Noch ist unklar, ob Iran das Material absichtlich hergestellt hat. Den Sprung auf 90 Prozent zu schaffen, der für die Herstellung einer Atomwaffe als ungefähre Schwelle gilt, wäre von diesem Punkt aus technisch im Grundsatz möglich. Auch bereits eine Anreicherung, wie jetzt berichtet, könnte für den Waffenbau ausreichen, mahnen Fachleute.
Bereits in den vergangenen Jahren wuchs die Angst. Iran hatte etwa Kameras zur Überwachung von Nuklearanlagen abgeschaltet, die verhindern sollten, dass das Land Atomwaffen entwickelt. Teheran bestreitet immer wieder, Atombomben bauen zu wollen.
Auch jetzt weist Teheran die Berichte zur Urananreicherung zurück. Die Informationen seien vielmehr eine »Verdrehung der Tatsachen«, Iran habe kein Uran mit einem Reinheitsgrad von mehr als 60 Prozent angereichert. Das sagte der Sprecher der nationalen Atomenergiebehörde der staatlichen Nachrichtenagentur Irna zufolge.
Anreicherung mit Zentrifugen
Uran ist in jeder Form radioaktiv und kommt als Erz in der Natur vor. Dort besteht es ganz überwiegend aus dem Isotop 238. Zielmaterial der Anreicherung ist aber das zu viel geringeren Anteilen vorkommende Isotop 235. Dabei handelt es sich um den einzigen, natürlich vorkommenden Stoff, der Atomkerne in einer Kettenreaktion spalten kann. Das funktioniert allerdings nur dann problemlos, wenn er in ausreichend hoher Konzentration vorliegt.
Um Uran für die Kernspaltung anzureichern, machen sich Staaten wie Iran zunutze, dass Uran-238 etwas schwerer ist als der Zielstoff Uran-235. Gibt man natürlich gewonnenes Uran in Gasform in eine Zentrifuge, fliegt das schwerere Uran-238 nach außen und wird abgeschieden, während das leichtere Uran-235 in der Mitte bleibt. In speziellen Anlagen sind mehrere solcher Zentrifugen hintereinandergeschaltet. Mit jedem Zentrifugieren wird der Anteil an Uran-235 etwas größer.
Eine genaue Zahl, ab der Uran für die Herstellung von Waffen nützlich ist, gibt es dabei nicht. Die 90-Prozent-Grenze gilt als Schwelle, ab der das Material problemlos zum Waffenbau genutzt werden kann. Knapp unter dem Wert besteht die Möglichkeit, fehlende Anreicherungsgrade durch insgesamt mehr Uran auszugleichen. »Ein Defizit auf der einen Seite lässt sich in gewissen Grenzen mit einem Mehr auf der anderen Seite ausgleichen«, sagt der Nuklearexperte Clemens Walther von der Leibniz Universität Hannover dem SPIEGEL. »Für eine Atombombe würde auf 84 Prozent angereichertes Uran vermutlich ausreichen.«
Im Zentrum der Kernspaltung – dem Prozess, der bei einer Atombombe enorme Mengen an Energie freisetzt – steht eine Kettenreaktion. Wird Uran-235 gespalten, werden Neutronen frei. Mit diesen neuen Neutronen können weitere Uran-235-Atome gespalten werden, die wiederum Neutronen abgeben. Ein Uran-235-Atom und ein Neutron müssen sich dafür auf winzigem Raum treffen. In dem Raum gibt es aber auch Uran 238, das keine neue Spaltung hervorruft, sodass die Kettenreaktion stoppt. Je mehr Uran-235 also vorhanden ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kettenreaktion aufrechterhalten bleibt. Bei einer zu niedrigen Anreicherung gibt es zu viele störende Atome.
Verstöße gegen Atomvereinbarungen
Iran hatte sich 2015 im Rahmen einer internationalen Vereinbarung verpflichtet, sein Atomprogramm einzuschränken. Im Gegenzug wurden Sanktionen aufgehoben. Nachdem die USA unter Präsident Donald Trump aus dem Pakt ausgestiegen waren, machte Teheran die Beschränkungen schrittweise rückgängig, Bemühungen zur Wiederherstellung des Atompaktes kommen nicht voran. Die Vereinbarung sollte das iranische Nuklearprogramm begrenzen und sicherstellen, dass das Land keine Atomwaffen baut. Das Abschalten der Überwachungskameras wertete IAEA-Chef Rafael Grossi als »fatalen Schlag« gegen die Bemühungen, das Abkommen wiederzubeleben.
Anfang Februar zeigte ein Gutachten der IAEA, dass Iran seinen Verpflichtungen im Nuklearbereich nicht nachkommen würde. Die Islamische Republik habe Änderungen an Maschinen vorgenommen, wodurch sich die Konfiguration einiger Zentrifugen deutlich verändert habe. Die Atomenergiebehörde sei davon nicht vorab informiert worden – nach internationalen Abmachung wäre das jedoch nötig gewesen. Durch diese Änderungen könne Uran in der unterirdischen Brennstoffanreicherungsanlage in Fordow auf einen Reinheitsgrad von bis zu 60 Prozent angereichert werden. Auch diese Berichte würden nicht stimmen, heißt es aus Teheran.
Technische Probleme beim Betrieb der Anlage könnten zu der nun berichteten hohen Anreicherung von 84 Prozent geführt haben, sagte ein Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters. Auch in der Vergangenheit sei das vorgekommen. Die IAEA wolle ebenfalls prüfen, ob die Konzentration das Ergebnis einer unbeabsichtigten Anhäufung ist, heißt es in einem Bericht von Bloomberg. Der Nuklearexperte Walther hält das allerdings für unwahrscheinlich.
Die Anreicherung von Uran geschehe nicht linear, so der Experte. »Ein Auto von null auf 100 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen ist einfacher, als die Geschwindigkeit von 100 auf 200 Kilometer pro Stunde zu erhöhen«, sagt er. Ebenso schwer sei es, Uran gerade in den oberen Prozentbereichen anzureichern. »Eher umständlich« nennt Walther deshalb die Methode, um Uranwaffen zu bauen.
»Die Situation ist anders als 2015«
»Seitdem die USA sich unter der Trump-Regierung aus dem Abkommen zurückgezogen haben, hat Iran seinerseits wesentliche seiner Bestimmungen verletzt und ist auf dem Weg zu einem nuklearen Schwellenstaat«, sagt der Nahostexperte Eckart Woertz vom Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien dem SPIEGEL. Möglich wäre ihm zufolge beides: Die Islamische Republik könnte das angereicherte Uran tatsächlich für den Waffenbau nutzen – oder schlicht die Möglichkeit unterstreichen, eine Atomwaffe bauen zu können. Beides sei wahrscheinlicher geworden, seit es keine Abkommen mehr gibt, die den Umgang mit Uran reglementieren würden.
Dass das alte Atomabkommen wieder aufgenommen oder ein neues verhandelt würde, hält Woertz für unwahrscheinlich. Die aktuellen Proteste in Iran und der Krieg gegen die Ukraine hätten solche Gespräche weiter erschwert. »Die Situation ist anders als 2015«, sagt er. »Insofern ist das Risiko einer militärischen Eskalation ganz klar gestiegen.«
Vor gut einem Jahr hatte Israels Energieminister Juval Steinitz im Sender Kan gemutmaßt, Iran benötige nach damaligen Einschätzung sechs Monate, um genug waffenfähiges Uran für den Bau einer einzelnen Atombombe zu produzieren. Außerdem gehe er davon aus, dass Iran ein bis zwei Jahre bräuchte, um ein Nuklearwaffenarsenal herzustellen.
Genaue Informationen, wie weit eine Atombombe tatsächlich sein könnte, fehlen jedoch. Eine solche müsste transportiert werden können, mit Flugzeugen oder U-Booten, die Bombe müsste gezündet werden. Man dürfe aber nicht naiv sein, sagt der Nuklearexperte Walther. »In Iran wird bestimmt nicht nur an der Anreicherung von Uran gearbeitet«.
Dass auch eine Urananreicherung unter 90 Prozent für eine Atombombe ausreichen kann, hat die Vergangenheit gezeigt. Unter dem Codenamen »Little Boy« hatten US-Streitkräfte 1945 eine Bombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen und damit unvorstellbares Leid ausgelöst. Zehntausende Menschen verglühten in der Hitze, Zehntausende starben an Spätfolgen der Strahlung. Der Urangehalt von »Little Boy«: rund 80 Prozent.