Hurrikan-Vorhersagen "Irmas" glückliche Kursänderung

Hurrikan "Irma" am 11. September
Foto: NOAA/ NESDIS
Johann Grolle berichtet als Korrespondent für den SPIEGEL aus Boston. "Das ist die Welthauptstadt der Wissenschaft", sagt der langjährige Leiter des SPIEGEL-Ressorts Wissenschaft/Technik. An dieser Stelle schreibt er, was Forscher am MIT, der Harvard University und anderswo in den USA bewegt.
+++ Auch beim Riesenwirbel kommt's auf Kleinigkeiten an +++
Ich konnte nicht anders als mitzufiebern: Überall, ob am Flughafen oder in der Kneipe, sah ich auf Bildschirmen, wie sich der Monsterwirbel "Irma" dem amerikanischen Festland näherte. Nonstop berichtete das Radio aus dem prospektiven Notstandsgebiet. Meteorologen, Katastrophenschützer und Politiker überboten sich mit Superlativen. Amerika bereitete sich auf ein Armageddon vor.
Als "Irma" dann bei Naples in Südwest-Florida seinen "Landfall" machte, da war fast so etwas wie Enttäuschung zu spüren. Die Megakatastrophe fiel aus und damit auch die eine oder andere Sondersendung im TV. Die Menschen in Florida kamen zum Glück relativ glimpflich davon. Sicher, es gab umgestürzte Bäume, abgedeckte Häuser und vor allem massive Stromausfälle. Aber die angekündigte Superkatastrophe war "Irma" für Amerika nicht. Vor allem das Schlimmste, die Flutwelle, blieb aus.
Hier zeigte sich, dass es bei der Hurrikan-Vorhersage auf Kleinigkeiten ankommen kann. Der Sturm folgte fast genau dem angekündigten Pfad. Aber eben nur fast. Kurz ehe er in Naples aufs Festland stieß, drehte er landeinwärts. Die geringfügige Kursänderung sorgte dafür, dass Florida von dem Wasserberg, den der Wirbel vor sich hertrieb, weitgehend verschont blieb. Im Gegenteil: In Tampa blies der Wind zunächst sogar westwärts, er schob das Wasser also aufs Meer hinaus. Die Strände fielen trocken, eine Seekuh blieb darauf liegen.
+++ Teure Krebsmedikamente +++
Für sein neues gentherapeutisches Krebsmittel Kymriah verlangt der Pharmakonzern Novartis 475.000 Dollar. So viel wie ein Einfamilienhaus, und das für eine einzige Infusion: Ist das nicht unverschämt, maßlos, geradezu unanständig? Oder vielleicht doch angemessen, angesichts der enormen Entwicklungskosten? Ich tue mich schwer mit einem Urteil: Wem soll ich glauben?
Da bin ich zwei Wissenschaftlern dankbar, die jetzt versucht haben, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Sie haben zehn Biotech-Firmen ausgewählt, von denen jede ein Krebsmittel entwickelt hat. Dann haben sie Forschungsausgaben und Erlöse dieser Unternehmen miteinander verglichen. Das Ergebnis erregt Schwindel: Ein Medikament zu entwickeln, kostete demnach im Mittel 757 Millionen Dollar, die Gesamterlöse aller zehn Krebsmittel summierten sich dagegen auf 67 Milliarden Dollar. Das heißt: Die Profitrate lag bei beinahe 1000 Prozent. Das ist nicht lukrativ, das ist obszön.
Natürlich provozieren solche Zahlen Proteste. Kritik kam nicht nur aus der Biotech-Industrie, sondern auch von Forschern der Tufts-Universität. Die hatten vor drei Jahren die Studie veröffentlicht, die bisher als die gründlichste zum Thema galt. Und darin hatten sie die Entwicklungskosten pro Medikament auf 2,7 Milliarden Dollar beziffert.
757 Millionen und 2,7 Milliarden Dollar: Diese beiden Zahlen klaffen beängstigend weit auseinander. Wenn zwei Forschergruppen, beide mit den besten Absichten, bei der Beantwortung derselben Frage zu so unterschiedlichen Antworten kommen, dann kann das nur eines heißen: Die Pharmaindustrie muss nachvollziehbar offenlegen, wie sie ihre exorbitant hohen Preise errechnet.
+++ Amerikas schlimmste Epidemie +++
Wie über einen Notstand berichten, der längst zum Alltag geworden ist? Über eine Krise, der die Leute inzwischen überdrüssig sind? Amerika wird derzeit von der schlimmsten Drogen-Epidemie seiner Geschichte heimgesucht. Und doch hat es manchmal den Anschein, als habe sich das Land bereits an die 50.000 Drogentoten jährlich gewöhnt.
Der "Enquirer" in Cincinnati hat jetzt auf spektakuläre Weise den Alltag des Horrors zum Thema gemacht. Die Zeitung hat 60 Journalisten und Fotografen ausgesandt, um eine Woche lang zu dokumentieren, was es für die Stadt in Ohio bedeutet, mit Heroin zu leben.
Entstanden ist ein beklemmendes Stakkato des Grauens: "Das ist kein Müll! Das ist mein Kind!", schreit eine Mutter, deren Sohn im Leichensack abtransportiert wird / "Hi, Hiiiiiii": ein Vater versucht seit Tagen Kontakt zu dem drogensüchtigen Baby zu bekommen, das er adoptiert hat / "Hilfe. Ich kann meinen Daddy nicht wecken", sagt eine Elfjährige; sie hat den Notruf 911 gewählt, weil sie Angst hat, dass ihr Vater nie wieder aufwacht / ...und so geht es fort und fort und fort.
+++ Darwins Experimente mit der Crowd +++
Welch ein Vergnügen, einem wie James Costa zuzuhören: Am hiesigen Naturkundemuseum stellte der Evolutionsbiologe jetzt sein neues Buch vor, das von "Darwin's Backyard" handelt. Statt des gelehrten Rauschebarts, den wir aus den Lehrbüchern kennen, präsentiert Costa den großen britischen Naturforscher als quirligen Geist, der nie ganz erwachsen geworden ist.
Stets habe Darwin neue verrückte Ideen ausgebrütet: Mal pflasterte er die Eingangshalle seines Landsitzes mit nassem Löschpapier, auf dem er Froschlaich ausbreitete; mal angelte er im Teich mit abgeschnittenen Entenfüßen, um festzustellen, ob Schneckeneier daran hängenblieben. Oder er protokollierte im Garten, wie im Verlauf der Jahre ein Mühlstein im Boden versank, weil die Regenwürmer das Erdreich darunter durchpflügten.
Für all diese Experimente spannte er, wo irgend möglich, seine Kinder ein: Er schickte sie aus, Pflanzen zu sammeln oder der Flugroute von Hummeln zu folgen. Auch Diener und Gouvernanten, der Lehrer und der Vikar mussten mithelfen. Obendrein forderte Darwin stets seine Leser auf, ihm Beobachtungen einzusenden: Darwin, sagt Costa, habe das Crowdsourcing erfunden.
Costa bereiten die Experimenten des großen Forschers offensichtlich ebenso viel Spaß, wie dieser einst dabei hatte. Und auch uns Zuhörer im Harvard-Museum wollte er anstiften: Er gab uns genaue Instruktionen, wie wir Darwins Versuche selbst in Keller, Hof oder Garten durchführen könnten.