Kalter Krieg Atom-Minen sollten Deutschland verwüsten

Im Kalten Krieg wollten die Briten offenbar um jeden Preis eine Besetzung Deutschlands durch die Sowjets verhindern. Nukleare Landminen, berichtet ein Historiker auf Basis von jetzt freigegebenen Geheimdokumenten, sollten im Kriegsfall ganze Landstriche verseuchen.

Es war der Alptraum westlicher Militärs während des Kalten Krieges: Die Rote Armee rückt mit einer überwältigenden Überlegenheit an Truppen und konventionellen Waffen über die Zonengrenze nach Westdeutschland vor. Briten, Amerikaner und Franzosen haben den gewaltigen Panzerverbänden der Sowjets nichts entgegenzusetzen - und wählen den letzten Ausweg, um eine Niederlage und die sowjetische Besetzung Westdeutschlands zu verhindern: den Einsatz taktischer Atomwaffen.

Da ein solches Szenario von den Nato-Strategen als durchaus realistisch eingestuft wurde, erhielten die alliierten Truppen in Westdeutschland schon früh so genannte "Mini-Nukes". Die kleinformatigen Atomwaffen besaßen zwar nur einen Bruchteil der Vernichtungskraft von strategischen Nuklearsprengköpfen, hätten aber unter feindlichen Truppen und in den betroffenen Teilen Deutschlands ungeheure Verheerungen angerichtet. Das Arsenal der Alliierten beinhaltete Artilleriegeschosse, Kurzstreckenraketen und Panzerfaust-ähnliche Raketenwerfer des Typs "Davy Crockett".

"Verbrannte Erde" gegen sowjetische Besatzer

Neu ist, dass die Briten auch nukleare Landminen einsetzen wollten, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Der britische Historiker David Hawkings, bis vor zwei Jahren am Atomic Weapons Establishment (AWE) der britischen Regierung beschäftigt, veröffentlichte im AWE-eigenen "Discovery"-Magazin Details über die Mine aus britischen Regierungsdokumenten, die jahrzehntelang geheim waren und jetzt freigegeben wurden.

Demnach konstruierte das Armament Research and Development Establishment in Fort Halstead bei Kent, wo seit 1947 das britische Atomwaffen-Programm stationiert war, die Super-Mine zur Zerstörung von Gebäuden und anderen Strukturen. Darüber hinaus sollte der Atomsprengsatz (Codename "Blue Peacock") eine Besetzung Deutschlands durch die Sowjets verhindern - durch ein Prinzip, das schon Hitler und Stalin während des Kriegs in Russland auf verbrecherische Weise benutzt hatten: das der "verbrannten Erde".

Atomexplosionen mitten in der Zivilisation

"Eine geschickt platzierte Mine würde nicht nur Gebäude und Strukturen im weiten Umkreis zerstören, sondern durch Kontaminierung auch die Besetzung des Gebiets durch den Feind verhindern", zitiert Hawkings einen Bericht des obersten Waffenentwicklers der britischen Armee, der Mitte der fünfziger Jahre verfasst wurde. Als geeignete Ziele tauchten darin Industrieanlagen, Ölraffinerien, Kanäle, Bahnhöfe sowie Bewässerungs- und Wasserkraftanlagen wie etwa Talsperren auf. In der Nähe solcher Orte hätte der Einsatz einer Nuklearwaffe wahrscheinlich tausende, wenn nicht gar zehntausende Menschenleben gefordert.

Von einem Mini-Sprengsatz konnte im Fall von "Blue Peacock" keine Rede sein. Die Mine basierte auf dem Design der britischen Atombombe "Blue Danube", die seit November 1953 zum Arsenal der Royal Air Force gehörte. Ihr Herzstück war eine von hochexplosivem Material umschlossene Plutoniumkugel.

"Blue Danube" wog rund 4,5 Tonnen, "Blue Peacock" aber fiel noch wuchtiger aus. Dank seiner gewaltigen Stahlhülle brachte der Trumm ein Gewicht von sieben Tonnen auf die Waage. Seine Sprengkraft sollte mit zehn Kilotonnen TNT fast halb so groß sein wie die der Nagasaki-Bombe, die im August 1945 rund 70.000 Menschen auf der Stelle und mehrere zehntausend durch Folgeschäden getötet hatte. Bei einer Detonation in zehn Metern Tiefe hätte die Mine, so zitiert Hawkings das Handbuch, einen 200 Meter breiten Krater gerissen.

Detonation per Zeitzünder

Wäre ein Angriff der Roten Armee als wahrscheinlich eingestuft worden, hätte die britische Rheinarmee die Minen vergraben, auf der Oberfläche platzieren oder in Flüssen und Seen versenken sollen. Die Detonation wäre per Draht von einem maximal fünf Kilometer entfernten Befehlsstand oder durch einen Acht-Tage-Zeitzünder ausgelöst worden. Gegen Entschärfung war die Höllenmaschine durch ein Drucksystem und einen Schalter geschützt, der jede Lageveränderung registriert. "Wäre die Mine bewegt, ihre Hülle durch Gewehrfeuer beschädigt oder mit Wasser geflutet worden, wäre sie innerhalb von zehn Sekunden explodiert", erklärt Hawkings.

Das britische Militär stand Ende der fünfziger Jahre offenbar kurz davor, den mörderischen Sprengsatz in Deutschland auszubringen. Noch im Juli 1957 bestellte der zuständige Armeeausschuss laut Hawkings zehn Exemplare der Super-Mine, deren Entwicklung zu diesem Zeitpunkt nahezu abgeschlossen war. Doch nur drei Monate später kassierte das Armee-Hauptquartier den Beschluss, denn mittlerweile hatten sich in der Führung Zweifel breit gemacht.

Technische und politische Bedenken

"Die Waffe war zu groß und zu schwer, und seinerzeit wurden bereits kleinere und leichtere Gefechtsköpfe entwickelt", erklärt Hawkings. Der radioaktive Niederschlag nach einer "Blue Peacock"-Explosion sei als "unakzeptabel" eingestuft wurden. Zudem beschlichen die Armeeführung Zweifel, ob es politisch angebracht sei, heimlich nukleare Minen auf dem Gebiet eines verbündeten Landes zu verstecken. Im Februar 1958 beschloss das britische Verteidigungsministerium das Ende des Projekts.

"Blue Peacock" starb unspektakulär: Die Dokumente verschwanden in Geheimarchiven, einer der beiden Prototypen wurde wahrscheinlich bei Versuchen zerstört. Auch der zweite kündete der Welt von seinem Ende nicht durch einen grellen Blitz und einen gewaltigen Atompilz. Er sorgt heute in der südenglischen Provinz für wohliges Schaudern. Als Highlight der historischen Sammlung des AWE in Aldermaston, Berkshire.

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