Kampf gegen Schweinegrippe "Händewaschen schützt viel besser"

Mit Hochdruck arbeitet die Pharmaindustrie an einem Impfstoff gegen die Schweinegrippe. Ist das sinnvoll oder nur ein riesiges Geschäft? Der Influenza-Experte Tom Jefferson kritisiert Warnungen vor der Epidemie als Panikmache - und glaubt, ein probates Mittel gegen die Seuche zu kennen.

Die Schweinegrippe breitet sich immer weiter aus. Doch ist das so schlimm? Wie groß ist die Gefahr wirklich, dass das Virus in einer zweiten Welle im Herbst in einer weitaus gefährlicheren Form zurückkommen wird? Wie gut hilft das Medikament Tamiflu? Und was wird die Impfung bringen?

Es ist nicht leicht, jemanden zu finden, der zu diesen Fragen eine unabhängige Einschätzung geben kann.

Unabhängig von den faszinierten Virologen, die sich über die Pandemie zu freuen scheinen wie Astronomen über eine Sonnenfinsternis im eigenen Land. Unabhängig von der Weltgesundheitsorganisation WHO, deren Bedeutung durch die Schweinegrippe sprunghaft gestiegen ist. Und unabhängig von der Pharmaindustrie, die durch Impfstoff und Grippemedikamente wie Tamiflu jetzt Milliardengewinne einfährt.

Wenn überhaupt jemand zum Thema Schweinegrippe eine unabhängige Einschätzung liefern kann, dann ist es wahrscheinlich Tom Jefferson. Seit 15 Jahren arbeitet der 55-jährige britische Arzt und Epidemiologe für die internationale Cochrane Collaboration, ein von Industrie und Interessenverbänden unabhängiges Netzwerk von Wissenschaftlern. Die Cochrane Collaboration hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu medizinischen Fragen sogenannte Reviews zu erstellen, in denen der durch wissenschaftliche Studien gesicherte Stand des Wissens zusammengefasst ist. Jefferson ist Cochrane-Grippe-Experte. Seine Reviews zu Themen wie Impfung und Tamiflu haben in Fachkreisen einen fast schon legendären Ruf.

Wer Jefferson besuchen will, muss nach Rom fahren. Mitten in der Altstadt, in der Nähe des Quirinal-Hügels, hat er ein winziges Büro. Klimaanlage, Schreibtisch, Computer. "Mehr brauche ich für meine Arbeit nicht", sagt er. An der Wand hängen Kinderfotos. Versucht er eigentlich, sich und seine Familie irgendwie vor der Schweinegrippe zu schützen? "Wir waschen uns die Hände", sagt er. "Möglichst oft. Aber dabei geht es nicht nur um die Schweinegrippe. Händewaschen schützt auch vor anderen Viren, die grippeartige Symptome verursachen, und ebenso vor Magen-Darm-Infektionen."

Obwohl er sich Tag für Tag vor allem mit Zahlen beschäftigt, mit komplizierter Studien-Statistik und Qualitätskriterien, ist Jefferson ohne Frage ein sehr praktisch denkender Mensch. Bevor er anfing, für die Cochrane Collaboration zu arbeiten, war er zehn Jahre lang Hausarzt bei der britischen Armee, er betreute Soldaten und ihre Angehörigen. "Ich denke immer noch wie ein Hausarzt", sagt er. "Ich frage mich immer: 'Was bringt es den Menschen auf der Straße?'"

Als Epidemiologe, der wie ein Hausarzt denkt, fing Jefferson irgendwann an, sich beim Thema Grippe Fragen zu stellen. Warum eigentlich messen Seuchenkontrollbehörden auf der ganzen Welt ständig die Aktivität von Influenza-Viren wie die Windstärke oder Luftfeuchtigkeit? Warum lebt die ganze Welt seit Jahren in Furcht vor der nächsten Grippe-Pandemie? Sind diese Viren wirklich so gefährlich?

Jefferson fing an, Studien auszuwerten, und fand heraus: Von den grippeartigen Erkrankungen, also Erkrankungen mit plötzlich einsetzendem hohen Fieber, Husten, Schnupfen und Gliederschmerzen, werden im Durchschnitt nur sieben Prozent tatsächlich von Influenza-Viren ausgelöst. Die restlichen 93 Prozent dagegen von mehr als 200 verschiedenen anderen Erregern, von denen einige mindestens so gefährlich werden können wie echte Grippeviren. Auch bei den 10.000 bis 30.000 "Grippetoten", die es in Deutschland jedes Jahr Schätzungen zufolge gibt, sind Menschen dabei, die an diesen anderen Erregern verstorben sind.

Insgesamt aber ist diese "Grippesterblichkeit" nach dem Zweiten Weltkrieg aus bislang unbekannten Gründen dramatisch zurückgegangen, sie beträgt heute nur noch einen Bruchteil von damals. Die Grippe-Pandemien von 1957 und 1968/69 sind deshalb in der Todesstatistik kaum noch zu erkennen.

"Natürlich muss man vor Grippeviren, also auch vor dem Schweinegrippe-Virus, auf der Hut sein, weil sie instabil sind und leicht mutieren können", sagt Jefferson. "Trotzdem finde ich es verrückt, welche Katastrophen uns Jahr für Jahr von den Grippeexperten vorausgesagt werden. Manchmal kommt es mir vor, als hätten die WHO, Virologen und Pharmaindustrie geradezu Sehnsucht nach einer Pandemie gehabt."

Jefferson hat dafür keine wissenschaftliche Begründung, sondern nur eine wirtschaftliche. "Gegen Influenza-Viren gibt es, anders als gegen die anderen 200 Erreger der grippeartigen Symptome, einen Impfstoff und auch Medikamente", sagt er. "Dahinter steckt das große Geld der Pharmaindustrie! Die sorgt auch dafür, dass Forschung über Influenza in guten Journalen veröffentlicht wird. So findet sie mehr Beachtung, und das ganze Forschungsfeld wird für ambitionierte Wissenschaftler interessant."

Die Konzentration auf Influenza hält Jefferson nicht nur für falsch, sondern für gefährlich. "Erinnern Sie sich noch an Sars?", fragt er. "Das war eine wirklich gefährliche Krankheit, viele Menschen sind gestorben! Es kam aus dem Nichts, schnell wie ein Meteor, und hat uns völlig überrumpelt, weil es von einem völlig unbekannten Coronavirus ausgelöst wurde."

Doch statt in alle Richtungen hin wachsam zu bleiben, sei um die eine Idee, den einen Gedanken von der drohenden Influenza-Pandemie im Laufe der Jahre eine ganze Maschinerie aufgebaut worden. Geld, Einfluss, Karrieren, ganze Institutionen hingen daran. "Alles, was es jetzt brauchte, um diese Maschinerie in Gang zu bringen, war ein kleines, mutiertes Virus", sagt Jefferson trocken. Auf seiner italienischen Homepage läuft schon seit Jahren ein "Grippe-Pandemie-Countdown", der jedes Jahr am 1. April ausläuft.

Ist es Ironie? Oder schon Zynismus?

Auf jeden Fall ist Jefferson in einer schwierigen Rolle: In seinen Reviews kann er die wissenschaftlichen Tatsachen nur darstellen. Die Entscheidung, was damit gemacht wird, treffen andere. Oft klaffen zwischen seinen Erkenntnissen und den Entscheidungen der anderen Welten. Mitunter, gesteht er, habe er das Gefühl, die ganze Welt sei verrückt geworden.

Die normale Grippeimpfung etwa, schreibt Jefferson in einem Review, wirkt allenfalls mäßig. An der erhöhten Gesamtsterblichkeit im Winter ändert sie nichts. Und bei Kindern und alten Menschen wirkt sie besonders schlecht. Trotzdem wird sie genau für diese beiden Gruppen empfohlen. Jedes Jahr werden Millionen dafür ausgegeben.

"Es stört mich nicht, dass ich mit meiner Arbeit die Welt nicht aktiv verändern kann", behauptet Jefferson. Er wolle nur ein Entdecker sein. "Es macht mir einfach Spaß, durch die Auswertung von Studien als erster etwas zu erkennen. So wie es sicherlich toll war, als erster die Niagarafälle zu sehen." Ganz überzeugend allerdings klingt das nicht.

Auch, ob die Schweinegrippe-Impfung tatsächlich vor der Schweinegrippe schützen wird, sagt Jefferson, sei noch völlig offen. Das könne erst der Ernstfall zeigen. Und um Tamiflu stünde es kaum besser. Im Durchschnitt, fand Jefferson für einen Review heraus, verkürzt Tamiflu die Dauer einer Grippe um einen Tag. Trotzdem gibt die Welt derzeit Milliarden aus, um sich durch Impfung und Tamiflu vor der Schweinegrippe zu schützen, einer Krankheit, die nur möglicherweise zu einer großen Gefahr werden wird.

Und vor der man sich mit einfachen, viel billigeren Mitteln deutlich besser schützen könnte: durch häufiges Händewaschen zum Beispiel oder durch einen Mundschutz. "Das haben mehrere Studien, die während der Sars-Epidemie durchgeführt wurden, klar gezeigt", sagt Jefferson. "Zudem schützt Händewaschen nicht nur vor der Schweinegrippe, sondern auch vor anderen Erregern." Vom Händewaschen ist Jefferson ehrlich begeistert. Vielleicht gelingt es ihm ja doch noch, die Entscheidungen der Entscheider zu beeinflussen. Einfach, indem er die Wahrheit sagt. So wie das Kind im Märchen "Des Kaisers neue Kleider".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren