Knochenfund in Kenia Gemetzel am See - vor 10.000 Jahren

Früher war alles besser? Von wegen. In Kenia haben Anthropologen die Überreste von Opfern eines Massakers gefunden. Sie beweisen, dass Krieg genauso alt ist wie die Menschheit selbst.
Freigelegter Schädel: Zehn der zwölf Toten starben durch Gewalteinwirkung

Freigelegter Schädel: Zehn der zwölf Toten starben durch Gewalteinwirkung

Foto: Marta Mirazon Lahr

Es war ein Kampf um Leben und Tod: An einem Tag vor 9.500 bis 10.500 Jahren fiel im heutigen Kenia eine Gruppe Jäger und Sammler über eine andere her. Am Ufer des Turkana-Sees beschossen sie ihre Gegner in einer ersten Welle mit Pfeilen, im Nahkampf danach kamen stumpfe Schlagwaffen wie zum Beispiel Keulen zum Einsatz, die sie auf die Schädel ihrer Feinde niedersausen ließen. Am Ende lagen mindestens 27 Tote am Ufergürtel.

Worum es an jenem Tag ging, wissen wir nicht. Vielleicht um die Verteidigung von Jagdgebieten, vielleicht um konkrete Beute. Frauen waren offenbar nicht der Grund, denn von ihnen befanden sich ebenfalls einige unter den Getöteten. Ob auch Angreifer an jenem Tag ums Leben kamen, wissen wir genauso wenig. Möglicherweise wurden sie mitgenommen und sorgfältig bestattet. Die toten Gegner aber ließen die Angreifer einfach liegen oder stießen sie in eine Lagune des Sees, die inzwischen ausgetrocknet ist.

Im Jahr 2012 fanden Archäologen die Opfer dieses Konflikts. Zwölf der Skelette waren so weit erhalten, dass die Anthropologen Aussagen zu ihrem Tod machen konnten. Im Fachblatt "Nature" stellt das Team um Marta Mirazón Lahr von der University of Cambridge nun die Ergebnisse vor: Zehn dieser zwölf Toten starben durch Gewalteinwirkung. Sie waren womöglich Opfer einer kriegerischen Handlung.

Erst gefesselt - dann gestorben?

Manche erlitten gleich mehrere Wunden: In fünf oder sechs Fällen traf eine Pfeilspitze den Kopf, fünf erhielten schwere Schläge auf den Schädel, zweien hatte man die Knie gebrochen, zwei weiteren die rechte Hand zertrümmert und einem die Rippen.

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Kenia: Tod am Turkana-See

Foto: Marta Mirazon Lahr/ Fabio Lahr

Die Hände der beiden einzigen Toten, an deren Knochen die Forscher keine Spuren von Gewalteinwirkung fanden, lagen unnatürlich dicht beieinander: Sie scheinen mit gefesselten Händen gestorben zu sein. Ob auch sie ein gewaltsames Ende fanden, etwa durch eine aufgeschlitzte Kehle oder einen Durchschuss, der lebenswichtige Organe oder Adern traf, lässt sich nicht mehr feststellen.

Die Toten vom Turkana-See sind nicht die frühesten bekannten Konfliktopfer. Schon in der Altsteinzeit dürften sich Menschen gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben. Dafür sprechen gleich mehrere, 500.000 Jahre alte Funde an Schädeln von Homo erectus und Homo heidelbergensis noch aus dem Altpaläolithikum.

Zwei Schläge können kaum Zufall sein

Meist sind es kleine Dellen im Knochen, deren Entstehung zwar heftig blutende Wunden verursacht haben muss, die aber verheilten, sodass die Betroffenen überlebten. Ob es sich aber um vorsätzlich ausgeführte Schläge oder lediglich unglückliche Unfälle handelte, verraten die Knochenverletzungen nicht. Zumindest fallen diese Verletzungen unter die sogenannte Hutkrempenregel - ein Begriff aus der Forensik. Alle Verletzungen, die über der gedachten Linie einer Hutkrempe liegen, können auf Gewalt hindeuten. Liegen sie darunter, sind Unfälle wie beispielsweise Stürze wahrscheinlicher.

Der älteste nachgewiesene Mordfall der Menschheit fand schon vor 430.000 Jahren im heutigen Spanien statt. Dort entdeckten Forscher in der Sima de los Huesos in der Sierra de Atapuerca den Schädel eines jungen Erwachsenen mit zwei nebeneinanderliegenden nahezu rechteckigen Löchern über der linken Augenhöhle. Und diesmal war die Verletzung tödlich, der Knochen zeigt keinerlei Heilungsspuren. Ein Schlag kann noch Zufall sein - zwei dagegen sprechen klar für Mord.

Während des Mittelpaläolithikums (300.000 bis 40.000 Jahre vor unserer Zeit) änderte sich offenbar wenig an der Austragung von Konflikten. Sowohl Neandertaler als auch anatomisch moderne Menschen starben immer wieder gezeichnet von schweren Verletzungen, die ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit von Mitgliedern ihrer oder fremder Gruppen zugefügt wurden. Auch im Jungpaläolithikum (40.000 bis 12.000 Jahre vor unserer Zeit) sah es kaum anders aus.

Wo Menschen waren, gab es kriegerische Handlungen

Vom Ende dieser Epoche, um 14.000 bis 12.000 Jahre vor unserer Zeit, stammt allerdings der älteste Nachweis einer größeren kriegerischen Auseinandersetzung. Auf dem Fundplatz Jebel Sahaba im heutigen Sudan fanden Archäologen 59 Bestattete, in deren Körperresten noch insgesamt 110 Feuersteinspitzen steckten. Ob diese Toten alle gemeinsam starben, lässt sich zwar nicht genau sagen. Die Skelette von Jebel Sahaba aber belegen eindeutig, dass hier eine geschlossene Gruppe das Ziel von Angriffen wurde.

Ist der Konflikt von Jeben Sahaba damit der erste nachgewiesene Krieg der Menschheit? Eine letztendliche Definition für Krieg gibt es nicht. Ist damit lediglich ein organisiert gewaltsam ausgetragener Konflikt zwischen zwei Gruppen gemeint, dann finden wir ihn auch im Tierreich.

Schimpansen - mit 99 prozentiger Übereinstimmung des Erbgutes unsere nächsten Verwandten - überfallen immer wieder Mitglieder fremder Gruppen. Sie töten ihre Opfer sogar, ohne daraus ersichtlichen Gewinn zu erzielen.

Die Toten vom Ufer des Turkana-Sees dürften jedenfalls kaum die ersten Kriegsopfer der Menschheit sein - aber doch etwas Besonderes. Sie erlauben uns, so die Autoren des Aufsatzes, "einen seltenen Einblick in das Leben und Sterben umherziehender Völker der Vergangenheit". Sie seien ein Beleg dafür, dass "Kriegshandlungen" zum Repertoire der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Gruppen vorgeschichtlicher Jäger und Sammler gehörten.

Zur Autorin
Foto: Sabine Bungert

Angelika Franz ist Archäologin. Als freie Autorin schreibt sie meistens über Kriege, Seuchen und alles, was verwest, verrottet und verfallen ist. Trotzdem ist sie keineswegs morbide veranlagt, sondern findet vielmehr, dass Archäologie die praktischen Dinge des Lebens lehrt. Bei Bedarf kann sie ein Skalpell aus Flint schlagen, in einer Erdgrube Bier brauen oder Hühner fachgerecht mumifizieren.Homepage von Angelika Franz 

Hinweis: Noch bis zum 22. Mai läuft die Sonderausstellung "Krieg"  im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.

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