
»Die Kunst des grünen Liebens« Hafersahne ist auch keine Lösung


»Nie werde ich Fabians Gesichtsausdruck vergessen, als ich einmal vorschlug, Hafersahne für unsere Lasagne zu kaufen“
Foto: Cherdchanok Treevanchai / Getty ImagesIch esse gerne, sehr gerne. Wenn ich abends ins Bett gehe, freue ich mich auf mein Frühstück am nächsten Morgen. Während langweiliger Vorlesungen überlege ich mir, was ich später kochen werde. Essen ist mir so wichtig, dass der Einkauf im neuen türkischen Supermarkt um die Ecke durchaus als Highlight des Tages durchgeht, und das nicht erst seit Corona. Auch Fabian liebt gutes Essen. Wie schön, dass wir uns da ähnlich sind, Essen verbindet, das ist wichtig für die Beziehung. Ha! Nicht bei uns.

Fabian Thomas, 25, und Svenja Meese*, 23, sind seit vier Jahren ein Paar. Sie studiert Klimatologie an der ETH in Zürich, er Journalismus an der Journalistenschule in München. Svenja will retten, was vom Klima noch zu retten ist, Fabian würde ihr gern dabei helfen, doch er will nicht auf so viel verzichten wie Svenja. Für den SPIEGEL schreiben sie in »Die Kunst des grünen Liebens« im Wechsel darüber, wie sie es trotzdem schaffen, sich zu lieben.
* Nachname von der Redaktion geändert.
Nie werde ich Fabians Gesichtsausdruck vergessen, als ich einmal vorschlug, Hafersahne für unsere Lasagne zu kaufen. Zur Veranschaulichung lege ich allen ans Herz, sich ein paar Videos der wunderbaren Kategorie ›Italians mad at food‹ auf YouTube anzusehen. Bärtige Köche oder Omas in bunt bedruckten Haushaltskleidern sehen sich dort Rezeptvideos an, in denen italienische Gerichte zubereitet werden, vorzugsweise von Amerikaner:innen. Natürlich kann das nur schiefgehen. Pesto in der Küchenmaschine, Carbonara mit Sahne und, Gott bewahre, wie viele Knoblauchzehen hat sie da gerade in die Pfanne geworfen?
Ich will nicht wissen, was die italienische Jury zu meiner Nudelsauce sagen würde. Muss ich auch gar nicht. Ein Blick in Fabians Gesicht verriet alles: Ungläubigkeit – wie kommt man auf die Idee, so etwas Einfaches, Unschuldiges, von Grund auf Gutes wie Lasagne durch Hafersahne zu ruinieren? Frust – können wir uns nicht einfach einen schönen Abend machen, ohne Diskussionen um CO2-Fußabdrücke? Und schließlich auch Wut – was ist bitte schön das Problem mit einem Becher Sahne? Das wird man ja wohl noch essen dürfen!
An diesem Abend aber schien die Hafersahne eine rote Linie darzustellen
Nicht falsch verstehen, hier geht es nicht um italienische Authentizität. In Lasagne kommt sowieso keine Sahne. Stattdessen: das böse Wort mit acht Buchstaben. V-e-r-z-i-c-h-t. Die Gefahr, dass ich mit dem Ökoargument jede Art von Spaß in unserer Beziehung im Ansatz ersticken würde.
Dabei ist es gar nicht so, dass Fabian Hafersahne nicht schmeckt. Er weiß es nur nicht. Wenn ich für uns beide koche, mache ich das oft mit Sojamilch oder Hafersahne und bekomme dafür Komplimente. An diesem Abend aber schien die Hafersahne eine rote Linie darzustellen. Also bin ich schließlich zum Kühlregal gegangen und habe einen Becher Sahne in den Einkaufskorb fallen lassen. Demonstrativ genervt, wie man das halt so macht, wenn man 23 ist, aber immer noch streitet, als wäre man 16.

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Abende wie diese bringen mich zum Nachdenken. Wäre es nicht einfacher, jemanden zu haben, mit dem ich nicht über Urlaub, Essen und Co. diskutieren muss? Mit dem ich Hüttentouren in den Alpen machen kann? Der weiß, welcher vegane Käse am besten schmeckt? Jemanden, der nicht ständig mein Verhalten infrage stellt, der mir nicht vorhält, dass meine Entscheidungen sowieso keinen Einfluss haben?
Für mich macht es trotzdem einen Unterschied. Und wenn es nur der ist, dass ich mich besser fühle
Immerhin bin ich die Gute, auf der richtigen Seite, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Oder? Leider hat Fabian einen Punkt, wenn er mich darauf hinweist, dass jeden Tag Tausende von Geschäftsleuten für zweistündige Meetings nach China oder in die USA fliegen, zumindest vor Corona. Oder dass der Anteil des globalen Flugverkehrs am anthropogenen Klimawandel nur 3,5 Prozent beträgt. Dass es also überhaupt keinen Unterschied macht, ob ich mit dem Zug oder Flugzeug nach Lissabon fahre, solange kein politischer Wandel stattfindet.
Für mich macht es trotzdem einen Unterschied. Und wenn es nur der ist, dass ich mich besser fühle. In 30 Jahren will ich meinen Kindern nicht erklären müssen, dass ich damals auf diese zehn Tage Urlaub in Israel einfach nicht verzichten konnte. Da wird es schon genug geben, für das ich mich rechtfertigen muss. Und glaubhafter Klimaaktivismus verträgt sich auch nicht mit Wochenendtrips nach London.
Fabians nächstes Argument ist schon um einiges perfider. Flüchte ich mich in eine Art Ersatzreligion, die mir sagt, welche Schuhe ich kaufen soll (die aus veganem Leder), wem ich mein Geld anvertrauen kann (nachhaltigen Banken) oder wen ich bei der nächsten Bundestagswahl wählen soll (eh klar)?
Vielleicht. Wenn ich mit meinen Freund:innen grille, überlegen wir nicht mehr, wie viele Vegetarier:innen kommen, sondern wer noch nicht vegan isst. Und während Maiskolben und Gemüsespieße über der nachhaltigen Grillkohle aus Deutschland anbrennen, drehen sich die Gespräche um Kleidertauschpartys, Unverpackt-Läden und Gemüsekisten. Ich mag das. Es gibt mir ein Gefühl der Zugehörigkeit, und ein Stück weit Identität (Stichwort Religion). Ist das so schlimm? Ich glaube nicht. Es tut mir aber auch gut, wenn jemand meine Weltsicht herausfordert. Hätte ich das nicht, wäre mein Leben vielleicht einfacher, aber auch langweiliger.
Ich denke also darüber nach, wie es ist, mit einem kleinen Snob zusammen zu sein, der Tafelspitz genauso liebt wie heiße Vollbäder, Fernreisen und Kaffee aus der Kapselmaschine. Es bedeutet viele Diskussionen, manchmal ist es anstrengend und nervig, aber es ist auch sehr bereichernd und es wird nie langweilig. Und wenn ich in Fabians Kühlschrank Hafermilch finde, er unterwegs vegane Kekse aus seinem Rucksack holt oder ich dunkle Schokolade zum Geburtstag geschenkt bekomme, dann freue ich mich umso mehr, weil ich weiß, es ist nicht selbstverständlich für ihn.