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Fabian Thomas

»Die Kunst des grünen Liebens« Verbieten für Anfänger

Wenn ich schnell Auto fahre, fordert meine Freundin das Tempolimit. Natürlich braucht es für den Klimaschutz Verbote. Aber muss es gegen das einzige gehen, was Deutschland etwas cooler macht?
aus SPIEGEL Start 1/2023
Tempo 130: »Ich bin dagegen, relativ wahllos Dinge zu verbieten, nur um etwas ›für das Klima‹ zu tun«

Tempo 130: »Ich bin dagegen, relativ wahllos Dinge zu verbieten, nur um etwas ›für das Klima‹ zu tun«

Foto: Frank Ramspott / Getty Images

Meine Freundin kann eigentlich alles besser als ich. Einmal hat sie den Statistikteil meiner Hausarbeit gemacht. Ich bekam die beste Note, die ich bei der Dozentin je hatte. Sie kann besser navigieren und besser kochen (selbst wenn sie Hafersahne benutzt). Jetzt kann sie auch noch Kolumnen schreiben, obwohl sie gar nicht auf der Journalistenschule ist. Nur Autofahren kann sie nicht.

»Die Kunst des grünen Liebens«
Foto:

Serafin Reiber

Fabian Thomas, 25, und Svenja Meese*, 23, sind seit vier Jahren ein Paar. Sie studiert Klimatologie an der ETH in Zürich, er Journalismus an der Journalistenschule in München. Svenja will retten, was vom Klima noch zu retten ist, Fabian würde ihr gern dabei helfen, doch er will nicht auf so viel verzichten wie Svenja. Für den SPIEGEL schreiben sie in »Die Kunst des grünen Liebens« im Wechsel darüber, wie sie es trotzdem schaffen, sich zu lieben.
* Nachname von der Redaktion geändert.

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Dabei hat Svenja einen Führerschein. Sie benutzt ihn fast nie. Sie ist, glaube ich, seit ihrer Führerscheinprüfung vor drei Jahren sechsmal Auto gefahren. Ich musste sie jedes Mal überreden. Allein ist sie noch nie gefahren. Dass Autos dem Klima schaden, hat ihre Motivation natürlich nicht gesteigert. Ja, Autos schaden dem Klima. Alle Autos. Svenja rechnet mir gern vor, dass auch Elektroautos erst nach einigen Zehntausend Kilometern weniger Treibhausgase emittieren als Verbrenner. Den Hype um Elon Musk versteht sie nicht. Bevor wir zum Mars flögen, sagt sie, sollten wir uns erst mal um die Probleme auf der Erde kümmern.

Wenn wir also Auto fahren, fahre meistens ich. Ich fahre gern schnell: 180 km/h, Tempomat rein, Tame Impala auf Spotify hören. Das Leben auf der Überholspur, zumindest für drei Stunden, bis zu Ausfahrt. Doch bevor die Ausfahrt kommt, kommt meistens ein Kommentar von Svenja: »Fahr nicht so schnell.« Meistens sagt sie dazu, dass 180 fahren sowieso völlig verrückt ist und verboten sein sollte.

Das fehlende Tempolimit ist einer der wenigen Bereiche, der in Deutschland etwas entspannter gehandhabt wird

Schließlich sage es schon alles, wenn man sich die Liste von Ländern ansehe, wo es noch kein Tempolimit gebe: Isle of Man (Großbritannien), einige Bundesstaaten in Indien, Nordkorea, Haiti, Somalia, Libanon, Nepal, Myanmar, Burundi, Bhutan, Afghanistan, Mauretanien und die Northern Territories von Australien. Tja, sage ich, für mich ist die fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung einer der wenigen Lebensbereiche, die in Deutschland ein wenig entspannter gehandhabt werden als in den meisten anderen Ländern. Und da gibt es ja sonst wenig Dinge, von denen man das in Deutschland sagen könnte. Aber es hilft nichts: Svenja will, dass ich langsamer fahre. Ich nehme genervt den Fuß vom Gas und fahre 160, zumindest für ein paar Minuten.

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Es ist mittlerweile Konsens, dass nur politische Lösungen den Klimawandel aufhalten können. Individueller Verzicht hilft in erster Linie Klimaschützerinnen wie Svenja dabei, nicht zynisch zu werden. Für alle anderen gilt: Ohne Regeln werden sie sich meistens fragen: Warum soll ich verzichten, wenn nicht alle mitmachen? Und dann eben (im Großen und Ganzen) so weitermachen wie bisher. Für mich gilt das auch. Es ist die Tragik der Allmende.

Also hat Svenja theoretisch recht, wenn sie mehr Verbote fordert. Neben dem Geschwindigkeitslimit, will sie auch folgendes verbieten (Auswahl): Autos in Innenstädten, innerdeutsche Flüge, Hühner in Käfighaltung, Strom aus Kohlekraftwerken und Plastikzahnstocher. Teilweise unterstütze ich ihre Forderungen, teilweise nicht.

Beispiel Auto: Da fahre ich nun verlangsamt auf 160, ginge es nach Svenja, würde ich 130 fahren. Das Umweltbundesamt hat ausgerechnet , dass man mit einem Geschwindigkeitslimit von 130 km/h etwa 1,9 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr in Deutschland sparen könnte. Klingt viel, ist aber wenig. Deutschland hat in 2020 über 730 Millionen Tonnen CO₂ ausgestoßen , die Einsparung würde also ganze 0,25 Prozent der aktuellen Gesamtemissionen ausmachen. Null Komma zwei fünf Prozent! Dann doch lieber Andreas Scheuer (CSU) endlich zum Rücktritt bewegen, viel, viel Geld in die Bahn stecken und dadurch die Autobahnen leerer machen. Schafft das Geschwindigkeitslimit für den ICE ab!

Ich bin dagegen, relativ wahllos Dinge zu verbieten, nur um etwas »für das Klima« zu tun

Svenjas Forderung nach einem Geschwindigkeitslimit kommt mir wie Symbolpolitik vor. Es ist wahrscheinlich nicht einfach, die Klimamodelle zu verstehen, zu wissen, worauf wir zusteuern könnten. Zu sehen, dass sich weltweit die Emissionen immer noch kaum verringern. Etwas dagegen tun zu wollen. Aber ich bin dagegen, relativ wahllos Dinge zu verbieten, nur um irgendetwas »für das Klima« zu tun. Außerdem hege ich die Vermutung, dass es Svenja einfach scheißegal ist, wenn man nicht mehr schnell Auto fahren darf. Schließlich kann ich – wie gesagt – die Male, die sie am Steuer saß, an zwei Händen abzählen. Das Geschwindigkeitslimit würde sie gar nicht stören. Wahrscheinlich würde sie sogar öfters Auto fahren, weil es einfacher wäre, auf der Autobahn mit den langsameren Autos.

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Ich frage mich, welches Verbot ihr richtig wehtun würde. Ich tippe auf dunkle Schokolade. Die Schokoladenindustrie, die ihren Kakao nicht aus Europa bekommt, verursachte  2011 in Deutschland übrigens rund vier Millionen Tonnen CO₂ – also doppelt so viel wie das Nichtvorhandensein eines Geschwindigkeitslimits. Vielleicht sollte Svenja mal über ein Schokoladenlimit in deutschen Supermärkten nachdenken.

Fünf Minuten nach ihrer Ansage, ich möge langsamer fahren, vergesse ich es wieder und bin bei 180. Brücken, Wälder, Städte, Rastplätze, Windräder, Wolken und Felder – alles zieht an mir vorbei, verschwimmt, wird eins. Ich rase dem Ziel entgegen, sehe nur noch die Straße und den Himmel. Es ist, als würde ich fliegen. Ha, Svenja, denke ich mir: Du kannst mir meine Freiheit nicht nehmen! Bis dann der nächste Kommentar kommt. Oder ein Stau.

Anmerkung der Redaktion: Ein Tempolimit von 130 km/h könnte rund 1,9 Millionen Tonnen CO₂ jährlich sparen, nicht 1,9 Tonnen. Wir haben den Fehler korrigiert.

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