Stefan Rahmstorf

Klimakrise Die neue Verwirrung um das 1,5-Grad-Ziel

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf
Ein australisches Expertengremium erklärt das 1,5-Grad-Ziel des Klimaabkommens für Paris für gescheitert. Das Limit sei nicht mehr zu halten. Doch die Faktenlage ist differenzierter.
Klimademo in Berlin (2019): Wahrscheinlich werden einzelne Jahre schon in diesem Jahrzehnt über der 1,5-Grad-Grenze liegen

Klimademo in Berlin (2019): Wahrscheinlich werden einzelne Jahre schon in diesem Jahrzehnt über der 1,5-Grad-Grenze liegen

Foto: Maja Hitij / Getty Images

Trotz Corona dürfte die Bundestagswahl in diesem Jahr zur Klimawahl werden. Gerechtfertigt wäre es allemal: Die Klimakrise macht keine Pause, die Folgen der Erderwärmung werden auch bei uns immer deutlicher, und um das 1,5-Grad-Ziel von Paris noch zu halten, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 halbiert werden. Am Samstag bestätigten die Klimaverhandler der USA und Chinas, John Kerry und Xie Zhenhua, in einem gemeinsamen Statement , dass sie ihre Klimaschutzanstrengungen verstärken wollen, um dieses Ziel in Reichweite zu halten.

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Foto: Astrid Eckert

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

Doch immer wieder flammt die Diskussion auf, ob die 1,5 Grad überhaupt noch zu halten sind. So auch kürzlich durch einen Bericht des Climate Council, eines australischen Expertengremiums. Dabei sind die wesentlichen Aussagen dieses Berichts in der Wissenschaft Konsens: Schon der Titel lautet »Warum die Emissionen in diesem Jahrzehnt schnell fallen müssen«. Der Bericht warnt vor »dramatischen Risiken« und folgert: »Netto-Null-Emissionen weltweit im Jahr 2050 zu erreichen, wäre mindestens ein Jahrzehnt zu spät.« So weit, so klar.

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Widerspruch hat jedoch die Behauptung in dem Bericht ausgelöst, es sei praktisch unmöglich, die 1,5-Grad-Grenze noch einzuhalten. Dabei sind durchaus viele Kollegen sehr pessimistisch, ob wir das schaffen. Das aber aufgrund einer politischen Einschätzung: Man traut den Regierungen die Kraft und den Willen nicht zu, die nötigen Schritte zur Begrenzung auf 1,5 Grad zu unternehmen. Und dieser Pessimismus ist verständlich beim Blick auf die Klimapolitik der letzten drei Jahrzehnte, seit die Staaten sich 1992 in der Klimarahmenkonvention geeinigt haben, einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern.

Im Widerspruch zur Fachliteratur

Aber es geht in dem Papier des Climate Council um etwas anderes. Nicht um politischen Pessimismus, sondern um die Behauptung, die 1,5-Grad-Grenze würde schon in den Dreißigerjahren überschritten werden, egal was wir täten – selbst wenn die Emissionen bis 2040 auf null heruntergefahren würden.

Diese These steht im Widerspruch zu einer Vielzahl von Analysen in der Fachliteratur, nicht zuletzt zum 1,5-Grad-Bericht  des Weltklimarats IPCC von 2018 und zu den jährlichen Emissionsberichten der Vereinten Nationen (UNEP Emissions Gap Report ). Experten des Forschungs- und Politikberatungsinstituts Climate Analytics haben dieser These des Climate Council umgehend in einem zehnseitigen Faktencheck  widersprochen. Und sie haben die besseren Argumente auf ihrer Seite. Drei Beispiele.

  • Der Climate Council argumentiert, die Erderwärmung habe sich in den letzten zehn Jahren beschleunigt. Doch über so kurze Zeiträume ist der Temperaturverlauf stark von natürlichen Schwankungen geprägt – zuletzt von zwei starken El-Niño-Ereignissen. Manch ein Leser wird sich an die unsinnige Debatte darüber erinnern, ob sich die Erwärmung in den Nullerjahren verlangsamt oder gar pausiert hat. Dabei bewegten sich die Messdaten völlig im Rahmen der üblichen Schwankungen; eine Verlangsamung war zu keinem Zeitpunkt statistisch signifikant .

  • Der Climate Council argumentiert, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt hat. Stimmt – doch genau das war auf jeden Fall zu erwarten, auch wenn die Erwärmung sich nicht beschleunigt. Denn je wärmer es wird, desto schneller schmelzen Gletscher und Kontinentaleisschilde. Daher beschleunigt der Meeresspiegelanstieg sich seit Jahrzehnten.

  • Der Climate Council argumentiert, dass die 1,5-Grad-Marke schon wegen der etwas zeitverzögerten Reaktion des Klimas auf unseren Ausstoß von Treibhausgasen gerissen werden wird – allein aufgrund der bereits erfolgten Emissionen. Das entspricht nicht dem Stand der Forschung, wonach die weitere Erwärmung gestoppt wird, sobald wir Null-Emissionen erreichen. Zwar gibt es eine »nachholende Erwärmung« aufgrund der sich sukzessive abschwächenden Wärmeaufnahme des Ozeans. Aber die wird dadurch ungefähr ausgeglichen, dass der Ozean auch noch eine Zeit lang netto Kohlendioxid aufnimmt, bis er ein neues Gleichgewicht erreicht. Dadurch wird CO₂-Konzentration bei Null-Emissionen zunächst absinken .

Wahrscheinlich werden einzelne Jahre schon in diesem Jahrzehnt über der 1,5-Grad Grenze liegen. Doch bei den Paris-Zielen geht es nicht um einzelne Jahre, sondern um klimatologische Mittelwerte. Würde die Erderwärmung im selben Tempo weiter voranschreiten wie in den vergangenen Jahrzehnten in Reaktion auf ständig steigende Emissionen, würden wir die 1,5 Grad um das Jahr 2040 überschreiten (bei Fortschreibung des linearen Trends). Wenn die Emissionen rasch sinken und vor Mitte des Jahrhunderts netto null erreichen, können wir dies wahrscheinlich noch verhindern.

Es gibt also keine Entschuldigung dafür, dies nicht zumindest zu versuchen – wozu sich alle Staaten im Pariser Abkommen mit gutem Grund verpflichtet haben. Im Wahlkampf werden sich die Parteien auch daran messen lassen müssen, ob sie glaubwürdige Konzepte dafür haben, wie diese monumentale aber überlebenswichtige Herausforderung bewältigt werden kann.

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