Christian Stöcker

Streit über Geoengineering Kalter Klimakrieg

Die Klimakrise wird schon bald Kriege befördern - um Wasser, Ackerland und Orte, an denen Menschen ohne Angst vor Naturkatastrophen leben können. Ein noch bedrohlicherer Konflikt könnte in 25 Kilometer Höhe entstehen.
Verbranntes Areal im Amazonas-Gebiet: Krieg, um den Wald zu retten?

Verbranntes Areal im Amazonas-Gebiet: Krieg, um den Wald zu retten?

Foto: Fernando Bizerra/ EPA-EFE/ REX

"Die 150.000 PAX-Soldaten, die aus Kriegsgebieten rund um den Globus abgezogen worden waren, blieben nicht untätig. Präsident Nissen schickte sie nach Brasilien, um die sterbenden Reste des Amazonas-Regenwaldes zu umstellen und zu beschlagnahmen."

Frank Miller und Dave Gibbons, "Liberty" (1990)

Der Krieg um den Regenwald wird mit schweren und seltsamen Waffen ausgetragen. Gigantische Kampfroboter in Gestalt übergewichtiger Kinder stampfen durch den Dschungel, in einer Hand einen riesigen Burger, in der anderen einen monströsen Softdrink. Gelegentlich setzen die Söldner des Konzerns namens "Fat Boy Burger" auch Giftgas ein, das in diesem Konflikt "Special Sauce" genannt wird.

Die Comicreihe über die Soldatin Martha Washington ist eine aberwitzige, kaputte, extrem brutale und rücksichtslose Satire. Es gibt darin korrupte Politiker und Militärs, phallusförmige Weltraum-Laserwaffen, schwule Nazimilizionäre, geklonte Walküren-Spezialkräfte, Kühe mit Sprengstoffgürteln und eine Supermarktkette namens "Behemoth", die radioaktive Hotdogs im Format von Boxsäcken verkauft.

Den Autor, Frank Miller  ("Sin City", "300"), sehen manche seiner Kollegen heute sehr kritisch. 2011 nannte er die "Occupy Wall Street"-Demonstranten  in New York "Abschaum", und "Rüpel, Diebe und Vergewaltiger". Manche seiner finsteren Visionen von vor fast 30 Jahren aber wirken heute beklemmend aktuell.

Es ist nicht so einfach wie im Comic

Tatsächlich konnte man in den letzten Wochen in Internetforen und sozialen Medien vereinzelt die Forderung lesen, man müsse endlich über eine militärische Intervention in Brasilien nachdenken. Krieg, um den Wald zu retten, wie in "Liberty"?

In Wahrheit liegen die Dinge erwartungsgemäß komplizierter als im Comic. Fast ein Viertel der mehr als 1,6 Millionen Tonnen Rindfleisch, die Brasilien 2018 exportierte , ging nach Hongkong, weitere 320.000 Tonnen nach China. Auf Platz drei der Exportregionen liegt, geht man nach dem Umsatz, die EU.

Es sind also beileibe nicht nur amerikanische Hamburger-Konzerne, die für die Brandrodung der Amazonaswälder mitverantwortlich sind. Und auch die Sojabohnen, für deren Anbau immer mehr Regenwald geopfert wird, verkauft Brasilien vor allem nach China und in die EU. Der Handelskrieg , den US-Präsident Donald Trump angezettelt hat, trägt dazu kräftig bei: Brasiliens Bauern winken noch mehr Exporte nach China.

Kriege aufgrund der Krise, Kriege ums Klima selbst

Einen Krieg um den Rohstoff Regenwald zu führen, wäre angesichts dieser Verflechtungen nicht nur völkerrechtswidrig, zynisch und unmenschlich - es wäre auch absolut sinnlos.

Wenn man Brasiliens Präsidenten Bolsonaro zum Einlenken zwingen will, geht das ausschließlich mit wirtschaftlichem Druck. Ohne die Kooperation Chinas wird es kaum gelingen. Trotzdem wäre es sinnvoll und richtig, das Mercosur-Abkommen zwischen Brasilien und der EU mindestens auf Eis zu legen.

Echte Kriege auslösen oder weiter anfachen wird die Klimakrise  trotzdem: Kriege um Wasser, um Ackerland, um Orte, an denen Menschen noch ohne Angst vor ständigen Flutkatastrophen, Monsterstürmen oder Hungersnöten leben können.

Der echte Klimakrieg spielt womöglich in 25 Kilometer Höhe

Der echte Klimakrieg wäre womöglich ein kalter, im doppelten Wortsinn. Um sich vorzustellen, wie es dazu kommen könnte, braucht man sich nur die Bilder anzusehen, auf denen die Zerstörung zu sehen ist, die Hurrikan "Dorian" auf den Bahamas angerichtet hat.

Noch beharrt der US-Präsident auf seiner absurden Position, dass man das mit dem Klimawandel ja gar nicht so genau wisse. Doch jede Wetterkatastrophe, jede Dürre, jeder Flächenbrand und jede Überschwemmung wird die Bevölkerung der USA nach und nach noch mehr davon überzeugen, dass der Präsident und seine Republikaner sie anlügen.

Vielleicht wird es noch ein paar US-Legislaturperioden dauern, aber irgendwann werden die katastrophalen Auswirkungen der menschengemachten Aufheizung der Atmosphäre so unerträglich werden, dass die Regierungen der Supermächte USA und China sich zum Handeln gezwungen sehen. Dann werden sie womöglich auf einen Weg verfallen, über den im Moment viel nachgedacht, aber lieber noch nicht so laut gesprochen wird: aktive Eingriffe ins Erdsystem selbst. Der Vorgang selbst wäre so verrückt, so Science-Fiction-artig, dass er gut ins Universum von Martha Washington passen würde.

Lächerlich billig, sehr riskant

Es würde nur etwa ein bis zwei Milliarden Dollar im Jahr kosten, mit Flugzeugen jedes Jahr etwa eine Million Tonnen bestimmter Aerosole in die Stratosphäre zu sprühen, das haben Forscher  von den Universitäten Harvard und Carnegie Mellon sowie Mitarbeiter des Unternehmens Aurora Flight Sciences schon vor Jahren ausgerechnet. Damit könnte man die Erwärmung der Atmosphäre tatsächlich bremsen - solange man mit dem Versprühen der Aerosole nicht aufhört. Der Mechanismus ist bekannt: Als der Vulkan Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991 eine gigantische Wolke Schwefeldioxid in die Atmosphäre spuckte, kühlte das die Erde vorübergehend messbar ab - um bis zu 0,5 Grad Celsius.

Dieser Effekt ließe sich auch künstlich herstellen. Das aber wäre nur eine temporäre Hilfe und zudem hochriskant. Denn, so schreibt der "Economist"-Redakteur Oliver Morton in seinem Buch "The Planet Remade": Die Stratosphären-Schleier wären "kein Gegengift gegen die Klimaveränderung", sondern lediglich "eine zusätzliche Klimaveränderung". Und die würde ihrerseits nur schwer vorhersagbare Auswirkungen haben - zum Beispiel vermutlich die Niederschlagsmenge auf der Erde  verringern.

All das hat übrigens mit "Chemtrails" nichts zu tun - auch wenn die Chemtrails-Verschwörungstheoretiker die entsprechenden Forschungsprojekte selbstverständlich mit Argwohn und Wut beobachten.

Tatsächlich sind viele Wissenschaftler  schon seit Jahren damit beschäftigt, entsprechende Berechnungen anzustellen und zu vergleichen. Konkrete Experimente aber beschränken sich bislang auf harmlose Modellversuche .

Die Realität hat die Science-Fiction eingeholt

Was aber, wenn etwa die USA und China sich nicht einig werden sollten, wie weit man wirklich am globalen Thermostat  drehen möchte? Was, wenn mehrere Staaten sich selbst das Recht einräumen, mit eigenen Aerosol-Sprühflugzeugen ins Klimageschehen einzugreifen, in Konkurrenz zueinander?

Dass die Idee vom Kalten Krieg in der Atmosphäre gar nicht so abwegig ist, zeigt ein Faktum, das Morton in seinem Buch fast beiläufig erwähnt: Der Nationale Forschungsrat der USA hat schon 2015 zwei große Überblicksberichte  über die Möglichkeiten und Risiken des Klima-Geoengineerings veröffentlicht. Und was jetzt kommt, könnte wieder aus einem Comic von Frank Miller stammen.

Die Studien wurden, glaubt man Morton, von der gleichen Institution "in Auftrag gegeben und zum Großteil finanziert": der CIA.

Korrektur: In einer früheren Version war zu lesen, dass sich der Vulkan Pinatubo auf Indonesien befinde, tatsächlich steht er auf den Philippinen. Wir haben den Fehler korrigiert.

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