Stefan Rahmstorf

Bundestagswahl Entscheidende Klimawahl, bizarrer Wahlkampf

Stefan Rahmstorf
Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf
Eine ernsthafte Debatte über die Klimapolitik findet im Wahlkampf kaum statt. Dabei starten wir jetzt in die klimapolitisch wichtigste Legislaturperiode. Auf diese drei Instrumente kommt es jetzt an.
Bundestagswahlkampf in Heidelberg: »Parteien setzen auf persönliche Angriffe, Ressentiments und Populismus, statt konkrete Lösungen anzubieten«

Bundestagswahlkampf in Heidelberg: »Parteien setzen auf persönliche Angriffe, Ressentiments und Populismus, statt konkrete Lösungen anzubieten«

Foto: Daniel Kubirski / picture alliance

Hoffen Sie auch, noch bis zum Jahr 2040 oder 2050 oder sogar länger zu leben? Dann sollten Sie sich vor der anstehenden Bundestagswahl sehr sorgfältig informieren und überlegen, mit welcher Wahlentscheidung Sie am wahrscheinlichsten dann noch ein sicheres Leben in Frieden genießen können.

Der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC – die Quintessenz der globalen Klimaforschung – sollte Sie dann brennend interessieren. Denn wenn wir so weiter machen, lesen Sie dort, werden wir schon in den 2030ern die 1,5-Grad-Grenze der Erderhitzung überschreiten. Dies möglichst zu verhindern haben alle Staaten nach vielen Jahren der Diskussion und aus sehr guten Gründen für nötig befunden und 2015 in Paris einstimmig beschlossen.

Klimakrise

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Längst stecken wir mitten in der Klimakrise. Allein dieser Sommer: Waldbrände in Griechenland, Türkei und Italien, Überflutung in Nigerias Millionenmetropole Lagos , Rekordhitze von 49,6 Grad und Waldbrände in Kanada, Verheerende Feuer in Kalifornien, Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Belgien, Hochwasser in Indien , in China sterben Menschen in einer überfluteten U-Bahn, Überschwemmungen nach Hurrikan Ida von Louisiana bis nach New York, Hungersnot nach Dürre in Madagaskar . Und in Europa war es der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen .

Diese Extreme nehmen erwiesenermaßen durch die Erderwärmung an Häufigkeit und Heftigkeit zu. Was wir lange vorhergesagt haben, hat sich bewahrheitet. Und ohne sofortige Maßnahmen wird es immer schlimmer werden, wir werden immer öfter völlig neue Extreme erleben. Auch hier bei uns. Auch in der Lebenszeit der meisten heute 60- bis 70-jährigen. Es trifft nicht nur die junge Generation.

Schon der »Jahrhundertsommer« 2003 hat in Europa 70.000 Hitzetote gefordert . Auch bei uns vertrocknen und brennen schon Wälder, und an den Küsten von Nord- und Ostsee steigt der Meeresspiegel. Und die Folgen des syrischen Bürgerkriegs, der nicht zufällig nach der schlimmsten Dürre in der syrischen Geschichte begann , werfen ihre Schatten bis in die deutsche Politik hinein.

Keine ernsthafte Debatte

Die gute Nachricht: wir verursachen selbst das Problem und können etwas dagegen tun. Um die Erwärmung bei 1,5 Grad anzuhalten, müssen wir laut IPCC weltweit bis 2030 die Emissionen halbieren. Wir haben also nur noch diese Legislaturperiode Zeit für den Aufbruch zu einer wirksamen Klimapolitik. Doch eine angemessen ernsthafte Debatte über den Deutschen Beitrag dazu und die jetzt notwendigen Schritte findet im Wahlkampf kaum statt. Es ist bizarr.

Letztes Jahr hat der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem Umweltgutachten  vorgerechnet, dass Deutschland noch ein CO2-Emissionsbudget von maximal 6,7 Milliarden Tonnen CO₂ für sich beanspruchen kann; das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Klima-Urteil  darauf bezogen. Bei einer linearen Abnahme der Emissionen reicht dieses Budget für Deutschland nur bis zum Jahr 2038. Das Tempo der Emissionsreduktion muss also ab sofort um ein Mehrfaches zulegen. Tatsächlich ist Deutschland bei der Emissionsreduktion seit 2005 weit abgeschlagen hinter Ländern wie Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden, Frankreich oder Belgien.

Grundsätzlich gibt es drei Typen von politischen Instrumenten: Förderung, Abgaben und Ordnungsrecht. Alle drei werden wir brauchen, um die Krise einigermaßen zu bewältigen. Aber statt einer Debatte über den klügsten, wirksamsten, und gerechtesten Mix dieser Maßnahmen hören wir viele Politiker, die vor allem sagen, was sie alles nicht wollen.

  • Förderung neuer Technologien (etwa der erneuerbaren Energien) ist sinnvoll. Riesige Zahlungen an Kohlekonzerne allerdings weniger. Auch Besserverdienenden ein E-Auto mit 20.000 Euro zu subventionieren, nennt das »Handelsblatt« zurecht »Subventionswahnsinn«  und zitiert einen Daimler-Manager mit der Aussage »unsere Industrie wird massiv überfördert«. Solche Zahlungen sind ineffektiv und sozial unausgewogen, und einfach nur mit viel Geld werden wir uns keinesfalls aus der Klimakrise herauskaufen können. Doch die beiden anderen Instrumente werden von vielen Politikern eher diffamiert als den Bürgern sachgerecht erklärt.

  • Ein CO2-Preis entspricht dem Verursacherprinzip, beseitigt die versteckte Subventionierung einer Klimakatastrophe, setzt Anreize zur Emissionsminderung und kann (und sollte!) sozial so gerecht gestaltet werden, dass Geringverdiener sogar profitieren . Zum Beispiel, indem die Einnahmen großenteils als Klimaprämie  auf pro-Kopf-Basis an die Bürger zurückgegeben werden. Die Schweiz praktiziert das bereits, die FDP und die Grünen haben das im Wahlprogramm.

  • Verbote, anderen Menschen zu schaden, sind ein selbstverständlicher Bestandteil des Zusammenlebens. Ich darf meinen alten Kühlschrank nicht im Wald entsorgen oder mit 100 Sachen über den Ku’damm rasen. Zum Glück! Verbote kosten nichts und sind gerecht: sie gelten für Arm und Reich gleichermaßen. Und dürften die Autokonzerne ab 2030 keine Verbrenner mehr verkaufen (wie in Großbritannien), würden sie schon selbst in E-Autos investieren, ohne dass wir das mit unseren Steuergeldern teuer bezahlen. Eher kontraproduktiv sind allerdings flächendeckende Verbote von Windrädern – vor allem wo sie auf mehr als tausendfach überhöhten Zahlen zu einer angeblichen Infraschallbelastung  beruhen.

Wie eine konstruktive Debatte über Klimaschutz aussehen kann, hat der Bürgerrat Klima  unter Schirmherrschaft von Horst Köhler gezeigt, der gerade seinen Abschlussbericht vorgelegt hat. 160 zufällig und repräsentativ ausgewählte Bürger haben in 12 Sitzungen Vorschläge erarbeitet. Dabei zeigt sich, dass gut informierte Menschen sich rasch auf ein umfassendes Maßnahmenbündel zur Sicherung unserer Zukunft einigen können. Eine noch detailliertere Handreichung mit 50 Politikempfehlungen hat die Stiftung Klimaneutralität  erarbeitet. Und die Initiative GermanZero  schlägt ein Gesetzespaket vor, mit dem Deutschland seinen Beitrag zu 1,5 Grad leisten kann.

Ressentiment statt Lösungen

Der Wahlkampf dagegen wird bisher dem Ernst unserer Lage nicht gerecht. Parteien setzen auf persönliche Angriffe, Ressentiments und Populismus, statt konkrete Lösungen anzubieten. Es geht vielen Politikern anscheinend mehr um Macht als um das Gemeinwohl. Dabei darf die Bedeutung dieser Wahl für die internationale Klimapolitik nicht unterschätzt werden. Deutschland ist nicht nur eine führende Industrie- und Exportnation, sondern auch tonangebend in der Europäischen Union. Die EU ist der drittgrößte CO2-Emittent der Welt hinter China und den USA und hat bei den internationalen Klimaschutz-Verhandlungen stets eine wichtige Rolle gespielt, auch in Paris.

Die Regierungsparteien halten Sonntagsreden zum Klimaschutz, als hätten sie nicht die letzten acht Jahre gemeinsam regiert, die Erneuerbaren systematisch ausgebremst und Klimaschutz auf EU-Ebene torpediert . Die Union setzt gar wieder auf die Rote-Socken-Kampagne aus dem vorigen Jahrhundert. Die FDP bewirbt besonders teure und ineffiziente Scheinlösungen wie Wasserstoffautos und synthetische Kraftstoffe, die bestenfalls eine ergänzende Rolle spielen werden. Die AfD gefällt sich in Realitätsverleugnung und verschließt einfach die Augen vor der Klimakrise. Die Linke verkündet ambitionierte Ziele, aber sagt wenig darüber, wie sie erreicht werden können – und schließt gar das Schlüsselinstrument CO2-Preis kategorisch aus.

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»Klimabericht« ist der SPIEGEL-Podcast zur Lage des Planeten. Wir fragen, ob die ökologische Wende gelingt. Welche politischen Ideen und wirtschaftlichen Innovationen überzeugen. Jede Woche zeigen wir, welchen Einfluss die Klimakrise auf unseren Planeten hat und warum wir im spannendsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts leben.

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Von den Parteien im Bundestag haben nach einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung  lediglich die Grünen ein einigermaßen glaubwürdiges Programm, wie unser Land seinen Beitrag zum Erfolg des Pariser Abkommens leisten kann, einschließlich einer konkreten Zahl für das anvisierte deutsche Emissionsbudget auf Basis des oben erwähnten Umweltgutachtens. Und sie haben durchdachte Maßnahmen, mit denen dies erreicht werden kann. Doch selbst das reicht noch nicht ganz für 1,5 Grad; den Rest wollen die Grünen durch internationale Zusammenarbeit erreichen.

Bei dieser Bundestagswahl geht es darum, ob wir in den kommenden Jahrzehnten weiterhin in Sicherheit leben können. Ein »Weiter so« in der Politik steuert uns geradewegs in große Gefahren. Die politischen Alternativen liegen dabei klar auf dem Tisch.

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