Christian Stöcker

Waldbrände und Klimaschutz Drei Menschheitsfallen - und wie wir ihnen entkommen

Wenn man sich ansieht, was derzeit in Brasilien passiert, könnte man verzweifeln: Die brennenden Wälder zeigen, wie unfähig wir Menschen sind, uns selbst zu retten. Doch es gibt Hoffnung.
Waldbände in Brasilien: Nötig ist gegenseitiger Zwang in gegenseitigem Einverständnis

Waldbände in Brasilien: Nötig ist gegenseitiger Zwang in gegenseitigem Einverständnis

Foto: Ueslei Marcelino/ REUTERS

"Jeder ist in einem System gefangen, das ihn dazu bringt, seine Herde grenzenlos zu vergrößern - in einer begrenzten Welt. Wenn in einer Gesellschaft, die an die Freiheit des Allgemeinguts glaubt, alle ihre eigenen Interessen verfolgen, rasen alle auf den Ruin zu."

Garrett Hardin, "The Tragedy of the Commons"  (1968)

In Brasilien brennt der Regenwald, seit Wochen, in gigantischem Ausmaß. Das verschärft ein Problem, für das der rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro selbst maßgeblich mitverantwortlich ist: Die Abholzung der Amazonaswälder hat sich unter seiner Präsidentschaft noch einmal beschleunigt. Ohne den Dschungel aber, da sind sich Fachleute einig, funktioniert das Ökosystem Erde nicht mehr richtig. Der Regenwald geht die ganze Menschheit etwas an.

Als Frankreichs Präsident aber bei Twitter auf die Brände aufmerksam machte und zum Handeln aufrief, erklärte Bolsonaro: "Ich bedaure, dass Präsident Macron versucht, eine interne Angelegenheit Brasiliens und anderer Länder der Amazonasregion zum eigenen politischen Vorteil zu instrumentalisieren."

Beim Klimaschutz gibt es keine inneren Angelegenheiten

Was Atmosphäre und Artenschutz angeht, gibt es aber keine "internen Angelegenheiten" mehr. Dem Klima sind Staatsgrenzen gleichgültig, das Erdsystem nimmt auf die willkürlichen Unterteilungen, die wir Menschlein vorgenommen haben, keine Rücksicht. Die größten Probleme, die es derzeit gibt, betreffen uns alle gleichermaßen. Auch, wenn die Auswirkungen von Klimakrise und Artensterben sich in verschiedenen Regionen zunächst ganz unterschiedlich zeigen werden. Wir können uns nur als Menschheit retten, nicht als Nationen.

Was man in dieser Situation politisch bräuchte, wären Staatsmänner und -frauen mit globalem Verantwortungsgefühl. Aber in vielen großen Nationen, etwa in den USA, Russland, Brasilien und auf den Philippinen regieren derzeit Männer mit den politischen Instinkten von Schulhofschlägern. Und auch Indiens hindu-nationalistischer Präsident Narendra Modi ist eher der Auffassung, dass erstmal die anderen machen sollen, man selbst habe ja noch so viel nachzuholen. Dabei gehört sein Land zu denen, die der Temperaturanstieg jetzt schon am härtesten trifft.

Die drei Fallen

Diese Grundhaltung: Sollen doch erstmal die anderen machen, beziehungsweise: Wenn wir handeln, machen die anderen ja doch nicht mit, ist derzeit das größte Hindernis auf dem Weg zur Eindämmung der Katastrophe.

Auf nahezu jeder Ebene des möglichen Handelns zum Klimaschutz greift das gleiche Prinzip: Not in my backyard. Windräder? Gern, aber bitte nicht in Sichtweite. Weniger Kohleverstromung? Gern, aber bitte ohne, dass bei uns jemand den Arbeitsplatz wechseln muss. Weniger CO2 durch Flugverkehr? Gern, aber bitte ohne, dass Fliegen teurer wird. Wälder retten? Gern, solange das nicht mit den Interessen unserer Landwirtschaft kollidiert.

Wenn alle immer mehr wollen, aber nicht bereit sind, sich dem Gemeinwohl zuliebe einzuschränken, muss das in einer Welt mit begrenzten Ressourcen in den Untergang führen. Das hat der Ökologe Garrett Hardin im eingangs zitierten Artikel schon 1968 als "Tragödie der Allmende" bezeichnet. Irgendwann sind die Weiden alle abgegrast, die riesigen Herden verhungern.

In der Psychologie spricht man von drei Arten von Fallen , die Menschen in solche selbstzerstörerischen Handlungsweisen führen:

  • "Soziale Fallen": Die anderen fischen mit Dynamit - das macht zwar die Korallenriffe kaputt und damit bald auch die Fischbestände, von denen wir alle abhängen. Aber bis dahin fangen meine Konkurrenten viel mehr Fische. Warum sollte ich dann nicht auch mit Dynamit fischen, solange es noch geht?
  • "Zeitliche Fallen": Es mag ja sein, dass mein Verhalten irgendwann in der Zukunft negative Konsequenzen haben wird, aber im Moment bringt es mir Vorteile - billige Energie zum Beispiel, bequemen Transport. Der Schaden scheint in ferner Zukunft zu liegen, also ignorieren wir ihn.
  • "Räumliche Fallen":  Es mag ja sein, dass es für die Einwohner von Kiribati und Mikronesien irgendwann ungemütlich wird, wenn das Wasser weiter steigt, aber was geht das mich an? Mein Haus steht auf einem Hügel, weit weg vom Meer.

All diese Haltungen sind fatal, wenn eine für alle lebensnotwendige Ressource unwiederbringlich verbraucht oder zerstört wird.

In eine dieser drei Kategorien fällt nahezu jedes Argument, das derzeit gegen wirksame, konzertierte Klimaschutzmaßnahmen in Stellung gebracht wird. Weniger Kohleverstromung? Wozu, in Polen baut man doch weiter Kraftwerke. Schnelle Klimaschutzmaßahmen? Wozu, im Moment ist doch noch alles halbwegs in Ordnung. Weniger CO2 durch Flüge, etwa durch die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung für Kerosin? Das klappt doch ohnehin nicht, dann tanken die Fluggesellschaften eben woanders.

Der schwarze Regen von São Paulo

Garrett Hardin empfahl übrigens schon damals Regulierung, weil er nicht daran glaubte, dass Menschen ihre natürliche Kurzsichtigkeit und ihren Egoismus individuell überwinden können. Seine Empfehlung lautete: "Mutual Coercion mutually agreed upon", zu Deutsch: "Gegenseitiger Zwang in gegenseitigem Einverständnis."

Es gibt in diesem Zusammenhang drei gute Nachrichten:

  • Wir Menschen wissen heute, anders als noch in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, eine Menge über unsere individuellen und kollektiven Beschränkungen und Denkfehler. Seit Hardins berühmtem Text haben vor allem Sozialpsychologie und Verhaltensökonomie bemerkenswerte Erkenntnisfortschritte erzielt. Noch nie wusste die Menschheit so viel über ihre eigenen Schwächen - und wir lernen immer mehr über Methoden, sich diesen Schwächen zu widersetzen.
  • Vor allem eine dieser Schwächen trägt derzeit paradoxerweise sogar dazu bei, dass sich die Bereitschaft zu handeln erhöht: Jedes persönlich erlebte oder medial stark bearbeitete Extremwetterereignis, jede vieldiskutierte Katastrophe, die sich mit der Klimakrise in Verbindung bringen lässt, verdeutlicht denjenigen die sie erleben, die Dringlichkeit des Problems (Studie als PDF ). Hier spielt die sonst oft so schädliche Verfügbarkeitsheuristik - woran man sich leichter erinnern kann, das erscheint wahrscheinlicher - einmal eine positive Rolle. Der schwarze Regen von São Paulo hat sicher den einen oder anderen Brasilianer ins Grübeln gebracht.
  • Die Menschheit kann schon auf eigene Erfahrungen zurückblicken, die zeigen, dass wir in der Lage sind, in Notsituationen global konzertiert und effektiv zu handeln. Die besten Beispiele sind der Kampf gegen sauren Regen und das Ozonloch: Beide Probleme wurden mit internationalen Übereinkünften und Regulierung weitgehend gelöst, bevor sie die Menschheit in noch größere Gefahren stürzen konnten. Es geht also!

Die Probleme sind bekannt, die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun, wächst - sogar bei den Anhängern der Republikaner in den USA  -, und wir verstehen die Mechanismen, die das bewirken, immer besser.

Es gilt, hartnäckig, unbeirrbar und entschlossen zu sein. Wir dürfen den Schulhofschlägern nicht das Feld überlassen.

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