Klimakrise Liebe Leserin, lieber Leser,

das Öko-Institut, ein anerkannter Zertifizierbetrieb in Fragen der Nachhaltigkeit, hat sich die Mühe gemacht hat, eine "vergleichende Klimabilanz" des Verreisens mit Kleinlastwagen zu errechnen. Es stellte dem Wohnmobil ein überraschend gutes Zeugnis aus. Der CIVD, Lobbyverband der Caravan- und Wohnmobilindustrie, hatte die Studie vor Jahren in Auftrag gegeben und wirbt gern mit den Ergebnissen - gerade zu einer Zeit, da die ganze unheile Welt sich aufmacht, die geschundene Atmosphäre zu päppeln - und sei es mit dem Wohnmobil. Eine Kreuzfahrt, so der CIVD, sei bis zu 6,6-mal so schlimm fürs Klima wie die Reise im mobilen Eigenheim.

Den Kreuzfahrer - wie der Wohnmobilist Vertreter eine Boombranche - muss das nicht verdrießen. Ihm haben die Kommunikationsabteilungen der Reedereien schon vergleichbare Rechtfertigungsschablonen zurechtgezimmert. So weist das Unternehmen Aida Cruises darauf hin, dass auf der Fahrt im Massendampfer nur knapp drei Liter Treibstoff pro Passagier und 100 Kilometer verfeuert werden.
Und die Flugreise zum Hafen in der Karibik? Alles halb so wild. Erstens bringt der ökosensible Fernreisende seinen eigenen Trinkbecher mit an Bord, um das Meer nicht mit Plastikmüll zu verunzieren, das er nachher blitzsauber durchkreuzen will. Und außerdem war im Preis des herrlich billigen Flugtickets noch ein grünes Entschuldungszertifikat enthalten zur Finanzierung eines grünen Aufforstungsprojektes, das irgendwo armen Menschen hilft und auch flugs die halbe Tonne Kerosin kompensiert, die ein in die Ferne fliegender Mensch zwischen Start und Landung verbraucht. Das Öko-Institut könnte diesen bizarren Ablasshandel mal gründlich durchleuchten. Fehlt nur noch der Auftraggeber.
Bleiben Sie kritisch auf allen Wegen - auch mit sich selbst!
Herzlich
Ihr Christian Wüst
Abstract
Meine Leseempfehlungen dieser Woche
- Forscher erwarten "unsägliches menschliches Leid", wenn sich die Staaten der Welt nicht stärker für den Klimaschutz engagieren.
- Donald Trump kümmert das nicht. Der US-Präsident findet den Pariser Klimavertrag zu teuer. Dabei ist es viel teurer, nichts gegen die Klimaveränderung zu tun (MIT Technology Review).
- Fünf Prozent aller menschengemachten Treibhausgase verursacht allein dieses Unternehmen. Christoph Seidler über den wertvollsten Klimasünder der Erde.
- Hat Ihr Baby auch schon ein iPad? Dann entwickelt sich sein Gehirn womöglich anders als jenes anderer Kinder, schreiben US-Forscher. Die Mindestforderung der Experten: "Screen-free until three" (JAMA).
- Der neue, smarte Home-Lautsprecher bestellt plötzlich Unterwäsche und teuren Wein? Vielleicht sitzt ja ein Hacker mit einem Laser im Vorgarten (Wired).
- Kosmische Katzen? Spiegel? Radiowellen? Eine kurze Geschichte der absonderlichen Versuche, mit Außerirdischen zu kommunizieren (Guardian).
- Nashornhorn ist so begehrt, dass die Nashörner auszusterben drohen. Künstliches Nashornhorn könnte helfen, berichten diese Forscher. Es besteht aus Pferdehaaren (Scientific Reports).
Quiz*
Wer ist oder war Anopheles? Ein Philosoph und Zeitgenosse Platons? Der griechische Finanzminister? Eine Stechmücke?
Was ist "Torschlusspanik"? Die Angst vor Verdummung? Die Furcht, die sichere Stadt nicht mehr vor der Schließung der Stadttore zu erreichen? Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter?
Was ist das Stockholm-Syndrom? Eine besondere Vorliebe für skandinavische Länder? Eine autistische Störung? Ein psychologisches Phänomen bei Geiselnahmen?
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Bild der Woche

Affenliebe ist der umgangssprachliche Schmähbegriff für eine infantile, übertrieben emotionale Beziehung. Zoologen ist der Terminus ein Graus, denn die Primaten sind zu ebenso tiefen wie ernsthaften Gefühlsregungen fähig. So umarmt das zwei Monate alte Gibbonbaby Jim in einem Zoo im kasachischen Almaty mit rührender Mimik einen Teddybären.
Fußnote
192 Kilometer neue Straßen werden pro Woche in der Bundesrepublik fertiggestellt. Dem stehen nur 1,3 Kilometer neue Bahnstrecken entgegen, die wöchentlich in Betrieb genommen werden und dabei den allgemeinen Schienenabbau nicht kompensieren können. Seit der Bahnreform 1994, kritisiert das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen, seien 5400 Kilometer Schienenstrang stillgelegt worden. Das Straßennetz wuchs derweil um 247.000 Kilometer.
Die SPIEGEL+- Empfehlungen aus der Wissenschaft
- Botanik: Die Baum-Häuser - ein Architekturprofessor erschafft Bauwerke für die Stadt der Zukunft
- Luftfahrt: Autonome Flugzeuge - wie gut klappt eine Notlandung mit Captain Computer?
- Geschichte: Auf abenteuerliche Weise baute ein deutscher Anthropologe vor 200 Jahren eine bizarre Schädelsammlung auf
* Quiz-Antworten: Anopheles ist die Stechm ücke, die die Malaria überträgt. Der griechische Begriff heißt auf Deutsch: "nutzlos, beschwerlich, schädlich". / Der Begriff "Torschlusspanik" stammt aus dem Mittelalter. Er beschreibt die Sorge von Reisenden oder Menschen, die außerhalb der Stadtmauern ihrer Arbeit nachgingen, die sichere Stadt nicht mehr vor dem abendlichen Schließen der Stadttore zu erreichen. / Das "Stockholm-Syndrom" ist das psychologische Phänomen einer überraschend positiven emotionalen Einstellung, die Geiseln gegenüber ihren Geiselnehmern entwickeln können. Der Begriff geht auf die Geiselnahme am Norrmalmstorg vom 23. bis 28. August 1973 in Schweden zurück, bei der genau dies geschah.