Strategie zur Bewältigung der Klimakrise Schrumpf ist Trumpf

Der Paläontologe Steve Brusatte vertritt eine unkonventionelle Theorie zur Klimakrise: Wenn es schnell wärmer wird, haben kleinere Säugetiere bessere Chancen. Müssen die Menschen sich jetzt evolutionär anpassen?
Kleiner ist besser: Wer höher wächst, kann Körperwärme schlechter regulieren

Kleiner ist besser: Wer höher wächst, kann Körperwärme schlechter regulieren

Foto: Getty Images/iStockphoto

Wenn die Temperaturen hochschnellen »könnten Menschen zusammenschrumpfen?« Der Paläontologe und Evolutionsbiologe Steve Brusatte beantwortet seine Frage gegenüber dem »Guardian«  selbst: »Ich denke, dass das auf jeden Fall plausibel ist.«

Der Forscher von der University of Edinburgh hat ein Buch namens »The Rise and Reign of the Mammals« über den Aufstieg der Säugetiere veröffentlicht. Darin verweist er auf die Bergmannsche Regel, der zufolge Warmblüter in kalten Gegenden größer wachsen als ihre Verwandten, die in wärmerem Klima leben. Als Grund werde angenommen, dass kleinere Tiere eine größere Hautoberfläche im Verhältnis zu ihrem Körpervolumen haben und deshalb übermäßige Wärme besser an die Umgebung abgeben können.

Kleiner zu werden, so Brusatte, sei ein »üblicher Weg, wie Säugetiere mit Klimawandel umgehen«. Die heute ablaufende Erwärmung laufe verblüffend ähnlich ab wie das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum vor knapp 56 Millionen Jahren, dem »jüngsten großen Erderwärmungsereignis, für das wir geologische Daten haben«. Damals seien die Vorfahren der Pferde innerhalb von rund 130.000 Jahren um 30 Prozent geschrumpft , bevor sie in der anschließenden Kältephase wieder größer wurden.

»Das heißt nicht, dass jede Säugetierart kleiner wird, aber es scheint ein verbreiteter Überlebenstrick zu sein, wenn die Temperaturen wirklich schnell hochschießen«, sagte Brusatte der britischen Zeitung.

Auch in der Entwicklungsgeschichte der Menschen gebe es dafür Beispiele, etwa die auch als »Hobbits« bekannte Menschenart Homo floresiensis auf der indonesischen Insel Flores. Im Tropenwald schrumpften die Floresianer, vom bis zu 1,80 Meter großen Homo erectus abstammend, offenbar in kurzer Zeit auf nur etwa einen Meter. Einer 2021 in »Nature Communications«  erschienenen Studie zufolge erscheint die Temperatur als großer Einflussfaktor auf die in Knochenfunden gemessene Größe der Menschen.

Skeptisch äußerte sich gegenüber dem »Guardian« Adrian Lister vom Londoner Natural History Museum. Der Zusammenhang von Temperatur und Körpergröße sei bei Menschen eher schwach, bei Tieren oft mit der Verfügbarkeit von Nahrung und anderen Ressourcen zu erklären.

Vor allem aber: »Wir unterliegen nicht wirklich der natürlichen Selektion«, so Lister. Damit die Evolution zuschlage wie in dem von Brusatte gezeichneten Szenario, müssten große Menschen in der wärmeren Welt sterben, bevor sie sich fortpflanzen können. »Das passiert in der heutigen Welt nicht«, sagte Lister. »Wir tragen Kleidung, wir haben Heizungen, wir haben Klimaanlagen, wenn es zu heiß wird.«

ak
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren