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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Susanne Götze

SPIEGEL-Klimabericht Warum Joe Biden gerade seine Klimaversprechen bricht

Susanne Götze
Von Susanne Götze, Redakteurin Wissenschaft
Russland hat nie besonders viel auf den Klimaschutz gegeben. Durch den Krieg in der Ukraine könnten nun auch Staaten wie die USA von ihren ehrgeizigen Zielen abrücken. Was bedeutet das für die Welt?

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf dem Weltklimagipfel in Kopenhagen im Jahr 2009 wurden kleine Anstecker verteilt – darauf waren eine Uhr und die Buchstaben »tcktcktck« abgebildet. Dreizehn Jahre später ist das zu einer Binsenweisheit geworden: Die Zeit für die Rettung des Planeten läuft ab.

Laut einer Studie, die in der März-Ausgabe des Fachmagazins »Nature« erschien , ist unser verbleibendes Kohlenstoffbudget für die Begrenzung der planetaren Erwärmung auf 1,5 Grad in neuneinhalb Jahren aufgebraucht. Allein 2021 verbrauchten wir weltweit rund neun Prozent dieses Restbudgets, was noch maximal in die Atmosphäre gehen darf, bis die kritische Temperaturschwelle gerissen wird. Nun zählt also jedes Jahr, jeder Monat, sogar jede Woche.

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Doch die Fahrt ins klimaneutrale Zeitalter gerät mit dem Ukrainekrieg ins Stocken – obwohl es Anfang des Jahres noch so aussah, als würde es erst jetzt richtig losgehen. Die russische Regierung selbst war nie ein Klimavorreiter. Das Land hat niedrige Klimaziele und war bisher weder bei den Erneuerbaren noch beim Ausstieg aus Erdgas, Erdöl oder Kohle besonders motiviert. Sein Ausschluss aus den Klimaverhandlungen wäre bedauerlich, dürfte aber wenig ändern.

Doch Putins Angriffskrieg gegen den ukrainischen Nachbarn zieht viel größere Kreise. Der Konflikt hat das Potenzial auch die großen Player der internationalen Klimapolitik in eine Renaissance der fossilen Energien zu zwingen – auch wenn deren Regierungen das eigentlich nicht wollen.

Biden: Vom Klimahelden zum Getriebenen der fossilen Lobbys

So trat Präsident Joe Biden vor einem Jahr mit dem Versprechen  an, die eigenen Emissionen schneller zu senken und sein Land ins postfossile Zeitalter zu führen. Biden wollte dafür Entscheidungen bei Umwelt- und Klimagesetzen aus der Trump-Ära rückgängig machen, Klimaprogramme neu auflegen und Investoren für die Energiewende gewinnen.

Mit einer Reihe ehrgeiziger Gesetzesvorhaben sollte die Öl- und Gasindustrie mit strengeren Auflagen belegt werden, Autobauer und -käufer sollten Anreize erhalten, auf E-Fahrzeuge umzusteigen, Hunderttausende amerikanischer Häuser sollten besser gedämmt werden. Und auf dem Uno-Klimagipfel in Glasgow im November entschuldigte er sich sogar für die Anti-Klimapolitik seines Vorgängers und kündigte die Aufstockung der Klimahilfen für ärmere Länder an.

Die Botschaft war eindeutig: Die USA wollen zum Klimavorbild für die ganze Welt werden und anderen Ländern bei der Energiewende und der Anpassung an den Klimawandel helfen. Besonders überzeugend war Bidens Unterhändler John Kerry, der leidenschaftlich für den Glasgow-Deal und eine »Dekade des Handels« warb. Doch diese großen Versprechen stehen nun auf der Kippe.

Seit Monaten werden Bidens Bemühungen ausgebremst. Der demokratische US-Senator Joe Manchin stellte sich bereits im Dezember gegen das billionenschwere Sozial- und Klimaschutzpaket  des US-Präsidenten. Seine Zustimmung ist entscheidend, da die Demokraten im Oberhaus des Kongresses nur eine hauchdünne Mehrheit haben und sich keinen einzigen Abweichler erlauben können, wenn sie das Gesetz verabschieden wollen. Experten warnen  zugleich, dass Biden ohne dieses Gesetz die Klimaziele bis 2030 nicht erreichen kann.

In dieser ohnehin schwierigen Lage wittern Bidens Gegner nun Morgenluft. Sie nutzen den Ukrainekrieg, um den Ausstieg aus den fossilen Energien zu verzögern. Denn mit dem angekündigten Importstopp von russischem Öl sowie Flüssiggas und Kohle durch die US-Administration könnte das Land die eigene fossile Förderung wieder ankurbeln.

Bereits vor Wochen forderte der wichtigste Öl-Lobbyverband der USA, das American Petroleum Institute (API), die amerikanische Energie zu »entfesseln« – im Namen der Energiesicherheit. Zur Erinnerung: Das API finanzierte jahrelang  Desinformationskampagnen von Klimaleugnern.

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Für die Ölindustrie ist es der ideale – wenn nicht der rettende – Moment: Sie will im Namen des amerikanischen Patriotismus störende Umweltauflagen kippen und langwierige Genehmigungen verkürzen. Außerdem sollen Lizenzen für Ölbohrungen schnell und unbürokratisch erteilt werden. Bahn frei also für die hemmungslose Ausbeutung fossiler Ressourcen. Den Klimaschutz kann man mit den Patriotismus-Argumenten ganz bequem unter den Tisch kehren.

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Auch der abtrünnige demokratische Senator Manchin springt der fossilen Lobby bei. In einer Anhörung des Energieausschusses sprach er sich dafür aus, so schnell wie möglich neue Öl- und Gaslizenzen zu vergeben und Pipelines zu genehmigen. Der Krieg Russlands sei ein Energiekrieg, so Manchin. Die Situation sei sehr ernst. »In einem Schusswechsel ist es sinnlos, ein Messer zu ziehen«, so der Senator.

Wenig überraschend fordern nun auch die Republikaner in einem Schreiben  an Präsident Biden, die heimische Öl- und Gasproduktion zu erhöhen. Das Argument: steigende Energiepreise und energiepolitische Unabhängigkeit.

Wird der nächste Klimagipfel ein Totalausfall?

Auch andere Versprechen von Präsident Biden bleiben auf der Strecke: So bewilligte der US-Kongress für dieses Jahr lediglich eine Milliarde US-Dollar für internationale Klimahilfen. Das steht weit hinter Bidens Versprechen zurück, die Hilfen bis 2024 auf jährlich 11,4 Milliarden US-Dollar aufzustocken. Laut Analysten würde es bis 2050 dauern, bis dieser Betrag erreicht ist, wenn es in dem Tempo weitergeht. Einige Klimaexperten meinen sogar, es müssten eigentlich bis zu 50 Milliarden sein  – wenn es um einen fairen Anteil der USA bei der Bekämpfung der Klimakrise gehe.

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Die Hilfen wurden armen Ländern versprochen, die kein Geld für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels haben oder die Energiewende nicht aus eigener Kraft finanzieren können. Die Klimahilfen gelten auch als Vertrauenstest für das Weltklimaabkommen: Viele Länder haben die Ziele für die Senkung ihrer Emissionen nur unter der Bedingung aufgestellt, dass sie Gelder von den Industriestaaten wie den USA bekommen.

Das sind alles miserable Nachrichten für das Weltklima – und auch für die nächste Uno-Klimakonferenz in Ägypten in ein paar Monaten. Die könnte zu einem Totalausfall werden, wenn große Player wie die USA jetzt den Rückzug antreten.

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Bleiben Sie zuversichtlich,
Ihre Susanne Götze

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