Christian Stöcker

Finanz- und Klimapolitik Besessen von der falschen Null

Deutsche Finanzminister sprechen gern von Nachhaltigkeit - und meinen damit bloß Geld. Die schwarze Null aber wird künftigen Generationen wenig helfen, wir brauchen eine grüne Null als Ziel. Jetzt ist die Chance da.
Foto: bubaone/ Getty Images

"Mit unserer Politik der Haushaltskonsolidierung - das ist das entscheidende Element der Vorsorge für die Zukunft - leisten wir einen notwendigen, unverzichtbaren Beitrag, um unserer Verantwortung für nachhaltiges Wachstum in unserem Land gerecht zu werden."

Wolfgang Schäuble, damals Bundesfinanzminister, in der Haushaltsdebatte 2014

Man kann den schwarz-roten Bundesregierungen der vergangenen Jahre eigentlich nicht vorwerfen, dass ihnen die Zukunft egal gewesen wäre. Im Gegenteil: Was das Finanzielle angeht, hatten sie das Wohl nachfolgender Generationen stets fest im Blick.

Bei seiner Rede in der Haushaltsdebatte 2014 präsentierte Wolfgang Schäuble stolz das erste ausgeglichene Budget seit 1969. In Richtung des damals 29-jährigen Grünen-Abgeordneten Sven-Christian Kindler scherzte Schäuble laut Protokoll: "Wenn Sie einmal eine Glatze haben, hätten wir mit den Entscheidungen, die wir jetzt treffen, immer noch Vorsorge getroffen."

Die Augen fest verschlossen

Eigentlich war damals längst klar, dass Geld allein nicht "das entscheidende Element der Vorsorge für die Zukunft" sein konnte. Wie weite Teile seiner Generation verschloss Wolfgang Schäuble fest die Augen vor der anderen, ungleich größeren Herausforderung. Wie ein Student, der lieber die Wohnung putzt, statt für die entscheidende Prüfung zu lernen.

In Schäubles Rede kam der Begriff "nachhaltiges Wachstum" gleich mehrfach vor. Er meinte damit aber etwas anderes als das, was man heute gemeinhin unter diesem Begriff versteht.

Tatsächlich leben wir immer noch auf Pump. Nur steht in diesem Fall fest, dass der Kredit platzen wird.

Man wird über die schwarze Null bittere Witze machen

In einigen Jahrzehnten, wenn alle heutigen Spitzenpolitiker tot sind, wird man über Schäubles schwarze Null bittere Witze machen. Man wird sich fragen, warum damals, um das Jahr 2020, niemand ernsthaft die grüne Null angestrebt hat: eine wirklich ausgeglichene CO2-Bilanz.

Natürlich bedeutet Nachhaltigkeit noch viel mehr als nur die Bekämpfung des Klimawandels. Die aber ist besonders dringlich und auch unerlässlich, um andere Ziele zu erreichen, die diesen Planeten lebenswert erhalten helfen: den Schutz der Artenvielfalt, um nur ein Beispiel zu nennen.

Hier geht es nicht um Wettbewerb, sondern um Solidarität

Schäuble sagte damals auch: "Kein europäisches Land ist in dieser so eng vernetzten Welt in der Lage, seine Interessen alleine durchzusetzen und seine Verantwortung alleine wahrzunehmen." Die Konsequenz daraus aber haben weder die damalige noch die gegenwärtige Bundesregierung gezogen: international koordinierte Klimapolitik zu ihrer obersten Priorität zu machen. Angefangen mit einer international konzertierten CO2-Steuer, wie sie Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Wirtschaftsnobelpreisträger und Klimaforscher befürworten.

Das - aus meiner Sicht überwindbare - Kernproblem ist, dass die alte politische Logik nicht mehr funktioniert in dieser Lage: Beim Thema Klimawandel ist Wettbewerbsfähigkeit die falsche Kategorie. Globale Probleme lassen sich nicht allein mit Wettbewerb lösen, sondern mit globaler Solidarität und Kooperation.

Die reichen Industrienationen, die am meisten vom Zeitalter der fossilen Brennstoffe profitiert haben, können und müssen die Lösungen und Technologien entwickeln, mit denen dann auch der Rest des Planeten seine Emissionen reduzieren kann. Oder, wenn jemand einen Weg findet, sie ungeschehen machen. Wenn CO2 global angemessen bepreist wird, wird der Weltmarkt hoffentlich solche Lösungen hervorbringen. Sonst nicht.

Wir brauchen die grüne Null als Ziel

Eigentlich hatte die Menschheit all das längst akzeptiert. Der globale Konsens existiert schon seit 1997. Damals wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet, wenn auch mit noch allzu moderaten Zielen. Die Industrienationen verpflichteten sich, ihren CO2-Ausstoß gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren.

Passiert ist, global betrachtet, das Gegenteil: 2018 war das Jahr mit den höchsten CO2-Emissionen in der Geschichte der Menschheit, woran China und die USA unter den Einzelnationen die Hauptschuld tragen. Die USA haben unter den großen CO2-Verursachern den mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Verbrauch, China das mit Abstand größte Wachstum.

Politische Lösungen, keine individuellen

Deutschland steht besser da als viele andere: Es hat seine Emissionen tatsächlich reduziert. Wir werden aber schon unsere eigenen Ziele für 2020 verfehlen. Und danach müsste es mir der Reduktion eigentlich erst so richtig losgehen .

Die schlimmsten Übeltäter in Sachen CO2 sind, in dieser Reihenfolge, Kohleverstromung und die Verbrennung von Öl in allen Formen. Es ist daher müßig, sich ständig mit dem eigenen schlechten Gewissen angesichts des persönlichen CO2-Fußabdrucks zu beschäftigen: Solange die Energieversorgung als solche global nicht viel schneller auf erneuerbare Energien umgestellt wird - und das ginge! -, können wir Europäer vegan essen und auf Flugreisen verzichten, so viel wir wollen - es wird global kaum etwas ändern. Es müssen politische Lösungen her, keine individuellen.

Sogar der Tory-Minister denkt jetzt an die Kinder

Die Europäische Union ist nach China und den USA der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasen . Die fatale "Es macht doch sowieso keiner mit"-Haltung muss endlich enden, zumal es klare Indizien dafür gibt, dass das einfach nicht stimmt.

Das britische Unterhaus hat diese Woche ohne Gegenstimmen für das Ausrufen eines Klimanotstands votiert. Sogar der konservative Umweltminister Michael Gove ließ sich zu dieser Aussage  hinreißen: "Wir alle können als einzelne Bürger und als Eltern wissen, dass die nächste Generation die Konsequenzen tragen wird, wenn wir nicht jetzt handeln, um dem Klimawandel zu begegnen."

Auch in China scheint das Bewusstsein für das Klimaproblem mittlerweile ausgeprägt zu sein, aber der Druck des Westens muss noch weit stärker werden, weil dort vor allem der CO2-Ausstoß durch Kohleverstromung so schnell wächst, ebenso wie in Indien. In den USA gibt es eine sehr realistische Chance, dass die nächste Präsidentin oder der nächste Präsident  eine CO2-Steuer und einen "Green New Deal" für einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft anstrebt.

Europa muss zum Vorbild werden

All das wird einfacher, wenn Europa als Vorbild dienen kann. Genau deshalb brauchen wir schleunigst eine CO2-Steuer. Und vielleicht ein Klimaschutz-Konjunkturprogramm, das die notwendigen Investitionen in Infrastruktur und Technologie ermöglicht. Der globale Konsens braucht neuen Schub. Deutschland hat, was man dafür braucht: Geld und Renommee.

Es gibt jetzt ein schmales Zeitfenster, in dem das globale Bewusstsein für die reale Notlage bereits stark genug ist, und entschlossenes Handeln noch wirkliche Chancen bietet. Es ist an den Politikern, die im Jahr 2019 regieren, dieses Fenster zu nutzen.

Wir müssen endlich ernsthaft die globale grüne Null anstreben. Und wenn die schwarze Null dafür geopfert werden muss, ist auch das im Interesse der nachfolgenden Generationen.

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