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Klimaschutz in Mexiko-Stadt: Vom Moloch zum Modell

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Klimaschutz-Vorreiter Mexiko-Stadt Adiós, Abgase!

Eine der größten und schmutzigsten Megacitys der Welt wagt die Wende zum Klimaschutz: Mexiko-City wird vom Moloch zur Modellstadt. Der Bürgermeister will jetzt auf dem Klimagipfel sein Konzept präsentieren, das in allen Schwellenländern funktionieren könnte - und radikal einfach ist.

Bernardo Baranda Sepúlveda steht auf einer unübersichtlichen Kreuzung an der Avenida Nuevo León. Aus sechs Richtungen schießen Autos über den ovalen Platz, manche nehmen halsbrecherische Abkürzungen, andere bleiben auf der Parkplatzsuche unvermittelt an der Ecke stehen oder setzen zurück. Wer hier zu Fuß passieren will, muss mutig oder ein bisschen verrückt sein.

Baranda will den Kampf gegen die Autos aufnehmen. Unter den Augen des schlanken Mannes im grauen Anzug rammen ein paar Bauarbeiter Poller in den Asphalt. "Die sind nach holländischem Modell gestaltet", sagt Baranda stolz. Die Kunststoffpfosten sollen die Kreuzung an jeder Ecke verkleinern. Weitere Maßnahmen sind schon geplant: Zebrastreifen für Fußgänger, grüngestrichene Boxen auf dem Asphalt für Radfahrer, die künftig vor den Autos an der Ampel warten dürfen.

Baranda leitet das mexikanische Büro des Instituts für Transport- und Entwicklungspolitik ITDP, einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation. Er gestaltet 18 Kreuzungen in der mexikanischen Hauptstadt fahrradfreundlich um. Der 39-Jährige hat Radverkehrsplanung im holländischen Delft studiert, zu Terminen fährt er gerne mit seinem faltbaren Rad. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mit diesem Studium einen Job in meiner Heimat bekommen würde", sagt der Aktivist. Jetzt erarbeitet er Konzepte für Buslinien und Radwege.

Ausgerechnet in Mexiko-Stadt. Die Hauptstadt des rasch wachsenden Schwellenlandes in Mittelamerika galt bis vor kurzem als Muster einer verpesteten Megacity, einer wahren Hölle aus Autos und Abgasen. In den neunziger Jahren war der Smog so schlimm, dass die umliegenden Bergketten nicht mehr zu sehen waren. Die Sonne blieb hinter Grauschleiern verborgen, Sport im Freien schien wie Selbstmord auf Raten.

Eine Hölle aus Autos und Abgasen

Jeden Morgen strömen fünf Millionen Menschen zur Arbeit in die Innenstadt der 20-Millionen-Metropole. Dennoch ist der Moloch Mexiko-Stadt auf dem besten Wege, zu einem Modell des Klimaschutzes in den Schwellenländern zu werden. Rund um den Globus machen beherzte Bürgermeister den Kampf gegen den Verkehrskollaps und für den Klimaschutz zu ihrer Priorität. Marcelo Ebrard Casaubón, seit drei Jahren erster Bürger der Stadt Mexiko, ist einer der Pioniere.

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Klimawandel: Die teuersten Naturkatastrophen

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Ebrard ist herumgekommen in der Welt, hat in Paris gelebt, und will seine Stadt jetzt nach vorne bringen. "Mexiko-Stadt trägt einen großen Anteil an den Emissionen des Landes. Wir müssen ein Beispiel geben, um das zu ändern. Die Großstädte sind eine Pressure-Group im Kampf gegen den Klimawandel."

In der Verkehrspolitik hat er den Schalter umgelegt. Eine neue U-Bahn-Linie gebaut, Ebrard lässt Radwege und Fußgängerzonen einrichten, im Januar soll ein Fahrradleihsystem nach dem Vorbild von Paris und Barcelona entstehen. "Wir machen das Autofahren immer teurer, indem wir Steuern erheben und Parkgebühren einführen", sagt Ebrard. "Gleichzeitig machen wir die öffentlichen Transportmittel schneller, so fördern wir die Konkurrenz mit dem privaten Verkehr."

"Ich will Fahrräder, Fußgänger und Kinder auf der Straße"

Der Bürgermeister redet leise, wenn er die Verkehrsrevolution predigt: "Wir brauchen eine neue Vision des städtischen Lebens." Er wolle "aufräumen mit dem Paradigma Auto, Vorstadt, Shopping-Mall". Diese Lebensform gefährde "nicht nur das Klima, sondern zerstört auch die Gemeinschaft. Stattdessen will ich mehr öffentlichen Verkehr, Fahrräder, Fußgänger und Kinder auf der Straße."

Diesen Monat will Ebrard nach Kopenhagen fliegen. Am Rande des Treffens der Regierungen will der Bürgermeister zeigen, was eine Megacity wie Mexiko-Stadt für den Klimaschutz leisten kann. Aber er wird auch Forderungen stellen: "Wir brauchen einfachere Regeln für die Anrechnung von Kohlendioxid-Gutschriften, die uns dann Geld für weitere Klimaschutzmaßnahmen bringen." Zudem wünscht er sich mehr technologische Hilfe aus den Volkswirtschaften des Nordens.

Ebrard und seine Mitstreiter in der Regierung des Bundesdistrikts wollen die Verkehrswende unumkehrbar machen. Felipe Leal setzt sich an einen kleinen Tisch eines Cafés an der Avenida de la Reforma, öffnet seinen Laptop und beginnt seinen Vortrag. Der kleine Mann im braunen Kordanzug redet schnell, Zwischenfragen duldet er ungern. Seit dem Frühjahr ist der renommierte Architekt Ebrards "Minister für den öffentlichen Raum".

Das Herzstück der Verkehrsreformen: Ein neues Schnellbusnetz

Auf den Bildern seines Laptops entfaltet Leal seine Vision einer Innenstadt von morgen: "Es geht darum, die Mittelschichten zurück ins Zentrum zu holen", sagt er. 400.000 Mexikaner sind in den letzten fünf Jahren an den Stadtrand gezogen und pendeln täglich zur Arbeit in die City.

Leal ist so etwas wie der Vordenker des Bürgermeisters. Er soll die Verödung der Innenstadt stoppen und damit auch den Verkehr reduzieren. Dazu will er gemischte Büro- und Wohnhäuser schaffen, Brachflächen bebauen, Fußgängerzonen und Radwege schaffen.

In Deutschland mag das alles banal klingen, in Mexiko-Stadt ist es revolutionär. Der Vorrang des Autos ist total, Radfahrer haben auf den Avenidas keine Rechte, Fußgänger oft Mühe, die breiten Straßen überhaupt zu überqueren. Dagegen setzt der Bürgermeister die Visionen seines Vertrauten Felipe Leal, und er unterstützt ihn mit handfesten Maßnahmen.

Sonntags wird der Paseo de la Reforma für Autos gesperrt, damit die Mexikaner dort in Freiheit das Radfahren erleben können. Einen Montag im Monat müssen die städtischen Angestellten per Rad zu Arbeit kommen. In der Innenstadt werden über 80 Standorte mit 2000 Leihfahrrädern eingerichtet. Auf den großen Avenidas sollen den Autos jeweils zwei ganze Spuren weggenommen werden, um 1,90 breite Fahrradstreifen zu markieren.

Busse mit eigener Schnellspur

Herzstück der Verkehrsreformen des Bürgermeisters aber ist der Aufbau eines Schnellbusnetzes. 70 Kilometer sind bereits in Betrieb, die roten Gelenkbusse fahren auf eigenen Spuren. Das macht sie noch schneller: Vorbei an den Staus pflügen sie durch die Stadt.

Der Schnellbus auf eigenen Spuren ist in vielen Entwicklungsländern die günstige Alternative zum Bau teurer U-Bahnnetze, zehn- bis 50-mal günstiger ist ihr Bau pro Kilometer. Das amerikanische Institut ITDP, für das der Verkehrsaktivist Baranda arbeitet, bewirbt den Ausbau solcher Netze rund um den Globus. Mexiko ist einer der Vorreiter der neuen Bewegung. Der Metrobus-Chef Guillermo Calderón kann sich vor ausländischen Besuchern kaum retten: "Das ist der letzte Schrei", sagt der 56-jährige Ingenieur, "weil es eine realistische Alternative für Entwicklungsländer bietet."

Calderón hat den Ausbau des Schnellbusnetzes trotz vieler Widerstände vorangetrieben. So hat er mit Ebrards Hilfe durchgesetzt, dass Volvo und Mercedes den Mexikanern ihre modernsten Busse mit Abgaswerten der Euro-4-Norm liefern - normalerweise, erzählt er, kriegen Firmen in Schwellenländern aus der ersten Welt nur die alten Kisten.

Ein Busnetz ist nicht nur billiger, sondern wird auch rascher fertig als eine U-Bahn. Damit wird auch schneller ein Klimaeffekt erzielt: Messungen zufolge haben die bestehenden zwei Metrobuslinien in Mexiko-Stadt seit ihrer Einführung 80.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr eingespart. Auf seinem Computer zeigt Calderón, wie das Busnetz der Zukunft aussehen soll: Eine Streckenlänge von 200 Kilometern soll es umfassen, doch die künftigen Linien will Calderón nicht zu früh publik machen. Denn auf jeder Straße bedeutet der Bau einer Metrobus-Linie Ärger. Die Transportfirmen, die bisher mit ihren stinkenden Bussen das Geschäft beherrschten, werden verdrängt, die Busfahrer fürchten um ihre Jobs.

Der Transportminister Armando Quintero kann von diesen Kämpfen einiges erzählen. Er hat die widerstrebenden Busunternehmer kurzerhand eingekauft, indem er sie zu Teilhabern der neuen Metrobus-Gesellschaft machte und ihnen Abwrackprämien für die Verschrottung der alten Minibusse zahlte. "Ich bin stolz darauf, dass wir das ohne Eruptionen hinbekommen haben", sagt er.

Auch der Fahrradaktivist Baranda wird nach Kopenhagen fliegen und für seine Arbeit an den Radwegen werben. Kaum vorstellbar, dass die Mächtigen auf dem Gipfel sich dafür interessieren. Oder doch? Immerhin ist das Staatsoberhaupt der Niederlande schon auf die Arbeit Barandas aufmerksam geworden. Königin Beatrix hat den ehemaligen Delfter Studenten beauftragt, ein Handbuch für den Bau von Radwegen für alle mexikanischen Kommunen zu schreiben. Sie will es dem Staate Mexiko zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit 2010 schenken.

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