Körner statt Moleküle Einstein-Theorie beschreibt Lawinen

Als Albert Einstein 1905 die Theorie über die Brownsche Bewegung entwickelte, dürfte er kaum an rutschenden Sand oder Schneelawinen gedacht haben. Doch sein Modell beschreibt solche granularen Systeme erstaunlich gut, wie Physiker jetzt herausgefunden haben.

Geraten Berge aus Schnee oder Sand ins Rutschen, verhalten sie sich wie eine Flüssigkeit. Derartige granulare Systeme bereiten Physikern einiges Kopfzerbrechen, denn sie passen nicht so recht ins bekannte Schema der drei Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig. Granulate sind mal Festkörper, mal Flüssigkeit, mal Gas - ohne dass man sie, wie etwa Wasser, erhitzen oder abkühlen müsste.

Physiker haben nun entdeckt, dass ein altbekanntes Modell granulare Systeme erstaunlich genau beschreibt: das der Brownschen Bewegung. 1905 haben Albert Einstein und der Physiker Marian von Smoluchowski die Theorie dazu unabhängig voneinander entwickelt.

Die Brownsche Bewegung war 1827 vom schottischen Botaniker Robert Brown entdeckt worden, als dieser unter dem Mikroskop unregelmäßig zuckende Bewegungen bei Pollen beobachtete, die in einem Wassertropfen schwammen. Einstein und von Smoluchowski konnten zeigen, dass Wärmeenergie die Ursache dieser Bewegung ist. Je höher die Temperatur, umso schneller bewegen sich Atome und Moleküle hin und her und stoßen dabei auch die Pollen an. 1921 bekam Einstein den Physik-Nobelpreis. In der Laudatio wurde auch seine Arbeit über die thermisch getriebene Eigenbewegung der Moleküle hervorgehoben (Download als Pdf ).

Das Modell taugt aber nicht nur für Wassermoleküle oder Atome, es kann offenbar auch Systeme wie Sandhaufen oder Schneeberge beschreiben. Anstelle von Molekülen und Atomen sind es die Körner, die sich hin und her bewegen. Die Intensität der Brownschen Bewegung hängt von der Temperatur ab.

Ein internationales Physikerteam entwickelte daraus eine an die Brownsche Molekularbewegung angelehnte Theorie, die das Verhalten von Sand oder Schnee mit Hilfe dieser "granularen Temperatur" beschreibt. Sie ist nicht mit der uns bekannten, fühlbaren Temperatur zu vergleichen, sondern als virtuelle Größe zu verstehen.

Patrick Mayor von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne und seine Kollegen bauten ein spezielles Thermometer, dass die granulare Temperatur eines Haufens aus Glaskügelchen messen kann - auf Basis der Bewegung der kleinen Körner. Das Thermometer besteht aus einem Torsions-Oszillator, den die Physiker in den Haufen eintauchten. Messgeräte zeichneten die Bewegung des Oszillators auf.

Erstaunlicherweise hängt die granulare Temperatur davon ab, unter welchem Winkel und wie tief das Thermometer in den Haufen eintaucht, berichten Mayor und seine Kollegen im Fachblatt "New Journal of Physics" (Artikeldownload als PDF ).

Mit Hilfe des Konzepts der granularen Temperatur hoffen die Physiker, die eigentümlichen Eigenschaften von Sand und Schnee besser verstehen zu können. Ihre Forschung ist auch wirtschaftlich von großem Interesse: In der chemischen Industrie sowie der Pharma- und Baubranche wird ständig mit Bergen von Pillen, Puder, Sand oder Zement hantiert. Präzise Modelle existieren nicht.

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