Kofi Annan im SPIEGEL Die Illusion von einer drogenfreien Welt

Kofi Annan: "Wir wissen, dass sie nicht funktionieren wird"
Foto: THOMAS KIENZLE/ AFPWas für eine Wende. Als Kofi Annan neuer Uno-Generalsekretär war, rief er den Mitgliedstaaten in New York zu: "Die Zeit ist reif, dass sich alle Nationen dem Ziel einer drogenfreien Welt verschreiben."
Das war im Juni 1998. Die Weltgemeinschaft war damals zusammengekommen zur Ungass-Sonderkonferenz (United Nations General Assembly Special Session on Drugs) über die Drogenpolitik. Feierlich beschloss sie, Hanf, Coca und Schlafmohn auszurotten. Cannabis, Kokain und Heroin sollten von der Erde verschwinden. Der Beginn der drogenfreien Welt, von der Annan gesprochen hatte, war für 2008 terminiert.
Zugang zu Drogen regulieren
Heute klingt Kofi Annan ganz anders. In einem SPIEGEL-Essay (hier lesen Sie den Text in der aktuellen Digital-Ausgabe) schreibt der Ex-Generalsekretär: "Wir müssen akzeptieren, dass eine drogenfreie Welt eine Illusion ist." Die "totale Unterdrückung von Drogen" sollten die Staaten aufgeben, "denn wir wissen, dass sie nicht funktionieren wird". Annan fordert, dass der private Drogenkonsum entkriminalisiert werde. Nicht die Justiz, einzig das Gesundheitssystem solle sich mit Süchtigen befassen. Der "Krieg gegen die Drogen", so resümiert Annan, sei doch längst vor allem ein "Krieg gegen Menschen", der mehr Elend anrichte als die Rauschmittel selbst.
Viele Leser werden Annans SPIEGEL-Essay als Provokation begreifen. Das ist er nicht. Annan spricht klar aus, was fast jeder weiß, der sich mit den Folgen der Prohibition beschäftigt: Drogen sind gefährlich - und genau deshalb darf der Staat die Kontrolle über sie nicht kriminellen Banden überlassen. Der Staat muss den Zugang zu Drogen regulieren - und zwar großzügig, wie im Falle des vergleichsweise harmlosen Cannabis, oder streng, wie im Fall von Heroin. Er muss für Aufklärung, Qualitätskontrolle und möglichst ungefährliche Konsumumstände sorgen. Abschreckung allein reicht nicht.
Annans Essay kommt zu einem Zeitpunkt, der der Anfang einer historischen Wende sein könnte. Vom 19. bis 21. April treten die Uno-Mitgliedstaaten in New York wieder zu einer Sondersitzung über die Drogenpolitik zusammen, erstmals seit 1998. Auf sie gedrängt haben Staaten wie Mexiko, Kolumbien und Guatemala, die seit Jahren vom Krieg gegen die Drogen und dessen Folgen verheert werden. Sie wollen weg von Prohibition und Gewalt - und hin zu einer Drogenpolitik, die stärker die Menschenrechte und die Gesundheit aller Beteiligten im Blick behält.
Marihuana als Freizeitdroge
Viele fordern das. In New York werden zahllose NGOs, Mediziner, Suchtberater und Juristen auf Veränderung drängen. Ähnlich wie Annan argumentieren Elder Statesmen wie der Ex-Staatspräsident Brasiliens, Fernando Henrique Cardoso, der frühere US-Außenminister George Shultz oder der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana. Eindringlich fordert der frühere britische Vizepremier Nick Clegg die europäischen Staaten auf, sich in New York für eine Radikalreform einzusetzen. Doch wird Ungass 2016 wirklich alles verändern können?
Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, "eine offene Debatte" zu führen, die "alle Optionen einschließt". Dennoch sind die Aussichten für einen Kurswechsel verhalten. Internationale Verträge, die zum Teil seit 55 Jahren die Eckpfeiler der restriktiven Drogenpolitik bestimmen, lassen sich so rasch nicht abändern. Eines aber ist gewiss: Der Konsens der Weltgemeinschaft, dass Prohibition die beste Antwort auf die Drogenproblematik sei, ist zerbrochen.

Marihuana-Konsum (in Denver): Forderung nach einer neuen Drogenpolitik
Foto: MARK LEFFINGWELL/ REUTERSUruguay hat Cannabis legalisiert. Kanada hat als erster G7-Staat angekündigt, dies bald zu tun. Und die USA, bisher der Antreiber im "Krieg gegen die Drogen", stecken selbst mitten in einem Umschwung: 23 US-Bundesstaaten sehen in Cannabis mittlerweile ein legitimes Therapeutikum bei einer Vielzahl von Leiden. Vier US-Bundesstaaten halten Marihuana gar für eine Freizeitdroge, deren Gebrauch einzig im Ermessen der Erwachsenen zu liegen hat.
Die Beratungen in New York werden kontrovers sein wie nie zuvor. Das Ziel aller Drogenpolitik, so heißt es im "Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel" von 1961, solle "die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschheit" sein. Annan schreibt im SPIEGEL-Essay: "Auf dieses wichtige Ziel müssen wir die internationale und die nationale Drogenpolitik wieder ausrichten."