
Kohleausstiegsgesetz Der Wald vertrocknet, die Regierung zündelt


Waldsterben im Naturpark Arnsberger Wald
Foto: Jochen Tack / imago imagesWer im Moment durch Deutschland fährt, kann die Katastrophe schon sehen, mit bloßem Auge, fast überall. Bewaldete Hänge, egal ob in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen oder Bayern, sehen aus wie die Rücken räudiger Tiere: überall hässliche braune Flecken, schüttere Stellen, große Flächen mit schon von Weitem als tot erkennbaren Bäumen. Es sind vor allem Fichten, die unter der Dürre, die Deutschland mittlerweile im dritten Jahr plagt, leiden: Wenn sie zu trocken werden, sind sie leichte Beute für Borkenkäfer.
Auch wenn es in der zurückliegenden Woche vielerorts viel geregnet hat: Es ist auch 2020 viel zu trocken in Deutschland. Und natürlich auch zu warm, wie fast jedes Jahr mittlerweile.
Die deutschesten aller Bäume, vom Tode bedroht
Auch Buchen und Eichen, die gewissermaßen deutschesten aller Bäume, sind durch klimabedingten Schädlingsbefall in teils dramatischen Prozentsätzen vom Tode bedroht. Von der Waldbrandgefahr ganz zu schweigen. Seltsam, dass gerade die, die so gern über die "Heimat" schwadronieren, das Problem nach wie vor nicht sehen wollen.
Schon im Mai 2020 lag die Expertenschätzung für die Waldfläche, die dieses Jahr zugrunde gehen wird, bei 400.000 Hektar. Das ist, sorry, zweimal so viel wie die Fläche des Saarlandes. Und es entspricht einem wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe.
"Dass der Klimawandel im Gange ist, das war uns allen bekannt. Aber dass es uns jetzt in dieser Intensität so schnell überrollt hat, das haben wir, glaube ich, alle nicht geglaubt", hat ein Forstwirt dem ZDF dieses Frühjahr gesagt .
Jetzt überlegen Sie mal kurz, was Sie lieber mögen: Wälder oder Kohlekraftwerke?
Zu späte Reue
Deutsche Regierungen sind bekannt für euphemistisch benannte Gesetzesvorschläge, aber "Kohleausstiegsgesetz" dürfte, was die Schönfärberei angeht, zur Spitzengruppe gehören. Die Bundesregierung will deutsche Kohlekraftwerke noch bis 2038 weiterlaufen lassen. Der heutige Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier wird dann, es sei ihm ein langes Leben gewünscht, 80 Jahre alt sein, genauso wie Finanzminister Olaf Scholz, Angela Merkel wird 84 Jahre alt sein. Sie alle werden bis dahin mit eigenen Augen zunehmend entsetzt wahrnehmen, was der Klimawandel nicht nur mit bemitleidenswerten Schwellenländern, sondern auch mit dem früher einmal in einer gemäßigten Klimazone gelegenen Deutschland anstellt. Sie werden zu spät Reue empfinden.
Das Umweltbundesamt schätzt, dass eine Tonne aus fossilen Brennstoffen erzeugtes CO2 Folgeschäden in Höhe von 180 Euro erzeugt. Die Branchen, deren Geschäftsmodell in der Erzeugung von CO2 besteht, müssen für diese Schäden aber nicht aufkommen, im Gegenteil: Sie werden subventioniert. Daran ändert auch die immer noch lächerlich niedrige CO2-Steuer nichts.
Hunderte Milliarden Euro Schaden, alle kräftig subventioniert
Allein in die Steinkohle hat Deutschland seit den Sechzigern Hunderte Milliarden Steuergelder gesteckt, die Braunkohle wird auf Umwegen ebenfalls mit Abermillionen pro Jahr gefördert. Dem "Kohleausstiegsgesetz" zufolge sollen RWE und Leag, die größten Braunkohlekonzerne, am Ende noch 4,35 Milliarden Euro dafür bekommen, dass sie ihre unfassbar schädlichen Kraftwerke und landschaftszerstörenden Tagebaue bis 2038 endlich stilllegen.
Deutsche Kohlekraftwerke sind, kombiniert, klimaschädlicher als alle anderen in Europa. Sieben der in absoluten Zahlen zehn größten CO2-Emittenten der Europäischen Union stehen in Deutschland. Und Deutschland ist mit weitem Abstand der Top-Treibhausgas-Emittent in der EU.
Allein die deutschen Braunkohlekraftwerke haben im Jahr 2018 noch 131 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. In den Jahren davor war es noch mehr. Multipliziert man 131 Millionen Tonnen Kohlendioxid mit der Schadensschätzung des Umweltbundesamtes von 180 Euro pro Tonne, kommt man auf eine erstaunliche Zahl:
Knapp 23,6 Milliarden Euro Schaden. In einem Jahr.
23,6 Milliarden Euro. In dieser Größenordnung liegen die Schäden durch Braunkohlestrom in Wahrheit jährlich. Wir alle bezahlen dafür. Man nennt das Vergesellschaftung von negativen Externalitäten. Oder kürzer: Ihr macht es kaputt, verdient dabei kräftig, und wir alle bezahlen.
Noch nach dem Beginn der sogenannten Energiewende im Jahr 2011 haben deutsche Braunkohlekraftwerke nach dieser Kalkulation Hunderte Milliarden Euro CO2-Schäden verursacht, immer fleißig bezuschusst vom Steuerzahler. Jetzt sollen manche davon noch weitere 18 Jahre weiterlaufen dürfen. Und am Ende gibt es dann noch einen Milliardenbonus.
Wir gehören zu den Langsamsten in Westeuropa
Sicher, die Schäden, die so eine Tonne CO2 verursacht, fallen vermutlich nicht nur innerhalb der Landesgrenzen an. Und andere Länder produzieren auch CO2. Aber erstens ist "sollen die anderen doch anfangen" bei einem globalen Problem wie dem Klimawandel eine kleinkindhaft unsinnige Position. Und zweitens steigen zumindest in Westeuropa nahezu alle anderen Staaten deutlich früher aus der Kohleverstromung aus als Deutschland .
Frankreich: 2021. Italien: 2025. Belgien: schon kohlefrei. Niederlande: Ausstieg bis 2030. Großbritannien und Österreich: 2025, vielleicht noch früher. Schweden: 2022. Norwegen: kohlefrei. Finnland, der skandinavische Top-Emittent und Nachzügler: 2029 .
Renitenter als Deutschland sind in Sachen Kohleverstromung nur noch Spanien und Länder wie Polen und Tschechien, die bekanntlich in vielfacher Hinsicht eher nicht als vorbildhaft gelten können.
Deutschland müsste dringend Vorbild sein, ist es aber nicht. Genauer: Wir sind ein sehr schlechtes Vorbild, über das sich nur die "Nach uns die Sintflut"- Regierungen Osteuropas freuen. Auch wir werden aber den Preis für die unfassbare Kurzsichtigkeit der Menschheit in Sachen fossile Brennstoffe bezahlen.
Wie gesagt, wenn Sie sich das noch nicht so richtig vorstellen können: Machen Sie mal einen Waldspaziergang.