Kohlekraft-Streit Wieso CO2 nicht einfach zu vergraben ist

Im Kampf gegen die Klimakatastrophe wollen Konzerne und Politiker CO2 unterirdisch verklappen. Viele preisen die Technik als Rettung - doch tatsächlich ist sie noch weit von der Marktreife entfernt. Und kommt möglicherweise zu spät.
Kraftwerk Jänschwalde (November 2006): CO2-Abtrennung kostet Geld - und zwar den Verbraucher

Kraftwerk Jänschwalde (November 2006): CO2-Abtrennung kostet Geld - und zwar den Verbraucher

Foto: dapd

Klimawandel

Kraftwerk

In luftiger Höhe hat man den nötigen Weitblick. "Wir werden die technischen Probleme des CO2-freien Kraftwerks lösen", sagt Hans Joachim Krautz, Professor für Kraftwerkstechnik an der Universität Cottbus - und schaut vom Aussichtspunkt des Kraftwerks Schwarze Pumpe auf die Baustelle zu seinen Füßen. Rund 160 Meter tiefer entsteht eine 30-Megawatt-Forschungsanlage, bei der eine Technologie erprobt werden soll, die als besonders wichtig für den Kampf gegen den gilt: die Abtrennung des Treibhausgases CO2 bei der Verbrennung von Kohle. Die Idee ist simpel: Einmal am eingesammelt, soll das Klimagas in unterirdischen Speichern versenkt werden, statt die Atmosphäre weiter aufzuheizen.

In der Politik wird oft so diskutiert, als stehe die Technologie bereits zur Verfügung. Doch die CO2-Abtrennung (Fachterminus: Carbon Capture and Storage, kurz CCS) ist von der Marktreife noch weit entfernt. Frühestens 2020 könnte die CO2-Abscheidung und -Lagerung kommerziell verfügbar sein - vielleicht auch erst später.

Der Zeitplan wird "in Fachkreisen als sehr ambitioniert eingeschätzt", heißt es etwa in einem Gutachten des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag. Und der Sachverständigenrat für Umweltfragen warnte davor, eine wirtschaftliche Anwendungsreife bis 2020 sei kaum zu erwarten. Damit käme CCS für die anstehende Erneuerung von großen Teilen des deutschen Kraftwerksbestands schlicht zu spät.

Das Problem: Nach den EU-Klimazielen sollen die CO2-Emissionen bis 2020 bereits um mindestens 20 Prozent gegenüber 1990 sinken - wenn andere westliche Industriestaaten mitmachen sogar um 30 Prozent. Doch die CO2-Speicherung wird dafür keinen Beitrag leisten können, sondern bestenfalls langfristig Wirkung entfalten.

Umweltstaatssekretär Matthias Machnig (SPD) gesteht auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE ein, dass "wir unsere Klimaschutzziele mindestens bis 2020 ohne nennenswerte Beiträge durch CCS erreichen müssen." Allerdings wäre es aus seiner Sicht "fahrlässig, sie - genauso wie andere Technologien - nicht voranzutreiben". Also arbeiten die Wissenschaftler mit Hochdruck, die Forschungsgelder fließen üppiger als in früheren Jahren.

Kohlekraftwerk

Doch im Rennen gegen die Zeit drohen die Forscher ins Hintertreffen zu geraten. Nicht nur für deutsche Kraftwerke könnte CCS zu spät kommen. Gleiches gilt auch für den häufig angedachten Export der Technologie in schnell wachsende Wirtschaftsnationen wie China und Indien. In China zum Beispiel geht derzeit im Schnitt jede Woche mindestens ein neues ans Netz - und der Kraftwerkspark, der da gerade entsteht, wird dann jahrzehntelang in Betrieb sein.

CO2-Abscheidung kostet - und der Verbraucher zahlt

Wenn die Klimagasabtrennung endlich marktreif ist, könnten deshalb längst alle Messen gesungen sein. Umweltstaatssekretär Machnig gibt sich dennoch optimistisch: "Zum einen muss man davon ausgehen, dass auch ab 2020 auf globaler Ebene neue Kohlekraftwerke gebaut werden, zum anderen kann man bestehende Kraftwerke mit CCS nachrüsten, so dass sich hier ein potentiell sehr großer Markt für CCS-Technologien auftut." In mindestens drei Bereichen gibt es Probleme zu lösen:

  • bei der Verbrennung der Kohle in den Kraftwerken,
  • beim Transport des abgeschiedenen CO2 und bei dessen Lagerung, die - je nachdem, wen man fragt - zwischen 1000 und 10.000 Jahre dauern muss, damit es überhaupt positive Effekte für das Klima gibt,
  • außerdem nagt die CO2-Abtrennung gewaltig an der Effizienz der Kohlekraftwerke: Moderne Anlagen kommen heute auf einen Wirkungsgrad von bis zu 44 Prozent. Mit CO2-Abtrennung wären es acht bis zehn Prozentpunkte weniger; der Ressourcenverbrauch steigt dadurch um ein Viertel.

Technische Maßnahmen wie die Integration der Kohletrocknung in den Kraftwerksprozess sollen letzteren Nachteil langfristig kompensieren: "Im Jahr 2020 wollen wir die heutigen Werte wieder erreicht haben, dann aber mit CO2-Abtrennung", sagt Kraftwerkstechniker Krautz. Klar ist: Die CO2-Abtrennung kostet Geld - und zwar den Verbraucher. Nach Berechnungen des Büros für Technikfolgenabschätzung dürften sich die Stromerzeugungskosten in Kohlekraftwerken dadurch fast verdoppeln; von drei bis vier auf fünf bis sieben Cent pro Kilowattstunde.

"Zu diesem Zeitpunkt noch keine wirtschaftlich darstellbare Technologie"

Im brandenburgischen Jänschwalde arbeitet Krautz mit Kollegen wie dem Ingenieur Helge Kaß am Kraftwerk von morgen - das im Moment aber noch aussieht wie eine Erfindung von Daniel Düsentrieb: In einer Lagerhalle in Sichtweite des dortigen Großkraftwerks (jährlicher CO2-Ausstoß: knapp 24 Millionen Tonnen) haben die Forscher eine Versuchsanlage aufgebaut. Die funktioniert, doch nur in sehr kleinem Maßstab: "Hier steht knapp ein Dreitausendstel der Leistung, die ein einziger Block drüben im Großkraftwerk hat", sagt Kaß. Die Forscher erproben das sogenannte Oxyfuel-Verfahren, bei dem die Kohle in einer speziellen Atmosphäre aus Sauerstoff und Rauchgas verbrannt wird. Es ist mit der Kohlevergasung und der Rauchgaswäsche eines von drei Hauptverfahren zur CO2-Abtrennung.

In Jänschwalde setzt man auf Oxyfuel, weil sich das Verfahren nach Ansicht der Ingenieure stark an der bisherigen Kraftwerkstechnik orientiert. Außerdem ist das entstehende CO2 bereits vergleichsweise hoch konzentriert. "Im Moment liegen wir bei 92 Prozent CO2 im Abgas", sagt Kaß. Diese hohe Konzentration ist nötig für Weiterbehandlung und Abtransport. Andererseits kostet die für das Verfahren nötige Sauerstoffherstellung große Mengen an Energie - was die Klimabilanz wiederum schmälert.

Vattenfall

In den kommenden Jahren will in Jänschwalde ein Demonstrationskraftwerk bauen, ganz in der Nähe der Versuchsanlage. Mit einer Leistung von 250 bis 300 Megawatt könnte es bis zu einer Milliarde Euro kosten - und irgendwann zwischen 2012 und 2015 fertig sein. Vattenfall-Pressesprecher Damian Müller schränkt allerdings ein: "Das wird zu diesem Zeitpunkt noch immer keine wirtschaftlich darstellbare Technologie sein." Beim Bau des Kraftwerks sollen die Erkenntnisse der 70 Millionen Euro teuren Pilotanlage in Schwarze Pumpe berücksichtigt werden, die im Spätsommer in Betrieb gehen soll.

RWE setzt auf Kohlevergasung

Die Konkurrenz von RWE setzt auf ein anderes Verfahren zur CO2-Abtrennung, das mit Kohlevergasung arbeitet (Integrated Gasification Combined Cycle, IGCC). Und auch die Essener haben Pläne für ein Demonstrationskraftwerk. Wo die 450-Megawatt-Anlage stehen soll, ist zwar noch nicht klar, wohl aber der geplante Starttermin im Jahr 2014. "Die geschätzten Investitionskosten für dieses zukunftsweisende Großprojekt werden sich auf weit über eine Milliarde Euro belaufen", sagt André Baugitte von RWE Power.

Weniger euphorisch klingt allerdings Jochen Homann, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE: "Erst wenn der Nachweis der technischen, umweltverträglichen und wirtschaftlichen Machbarkeit durch diese Demonstrationskraftwerke geführt ist, kann über den Einsatz von CCS-Technologien in Deutschland und in der EU entschieden werden."

Ob Oxyfuel, IGCC oder die Rauchgaswäsche, die theoretisch auch für die Nachrüstung älterer Anlagen geeignet wäre: Es ist keineswegs klar, welche Technik sich durchsetzen wird.

Klärungsbedarf bei Transport und Lagerung

Der Transport ist die nächste Herausforderung. Bevor das CO2 auf die Reise gehen kann, muss es verdichtet werden - und auch das kostet wieder Energie. Dann beginnt der Transport ins Endlager unter der Erde. Sobald es um größere Kraftwerke geht, müssen dafür Pipelines her. Doch Energieunternehmen klagen, dass für die neuen CO2-Rohrleitungen noch die rechtlichen Rahmenbedingungen fehlen. Immerhin wird auf europäischer Ebene derzeit über eine Richtlinie diskutiert.

Aus der Pilotanlage in Schwarze Pumpe sollen einstweilen Tankwagen - betrieben mit Biosprit - das abgetrennte CO2 wegbringen. Das Ziel: eine fast leere Erdgaslagerstätte im Norden Sachsen-Anhalts, 3000 Meter unter der Erde.

Derzeit werden mehrere Speicherarten geprüft. Da wären zum Beispiel solche leeren Erdöl- und Erdgaslagerstätten, die über Jahrmillionen bewiesen haben, dass sie dicht sind. Hier kann das Treibhausgas sogar genutzt werden, um die Förderung der letzten Reserven der Lagerstätte effizienter zu machen. Großtechnisch kommt das Verfahren bisher im kanadischen Weyburn zum Einsatz. Dort wird CO2, das in einer Chemieanlage im US-Bundesstaat North Dakota anfällt, in ein Ölfeld gepresst, um dessen Produktivität zu verbessern.

Bei einem anderen Lagerverfahren setzt man auf sogenannte saline Aquifere. Das sind poröse Sedimentgesteine, die von einer stark salzhaltigen Lösung getränkt sind. Die Poren des Gesteins können zur CO2-Aufnahme genutzt werden - jedenfalls wenn oberhalb der geplanten Lagerstätte ein gasdichtes Deckgestein liegt.

Das größte Projekt dieser Art betreibt der Ölkonzern StatoilHydro vor der Küste Norwegens: Auf dem Gasfeld "Sleipner" wird schon seit mehr als zehn Jahren CO2, das bei der Erdgasherstellung anfällt, in eine Sandsteinschicht 800 Meter unter dem Nordseeboden gepresst - etwa eine Million Tonnen im Jahr. Für StatoilHydro ist das ein lohnendes Geschäft, weil das Unternehmen auf diese Weise die norwegische CO2-Steuer sparen kann.

Ein undichtes Endlager wäre fatal

Doch bisher gibt es nur wenige Endlagerprojekte; es muss noch weiter geforscht werden. Wie kann sichergestellt werden, dass das Gas nicht doch durch Risse und Spalten im Gestein entweicht? Das wäre schlecht fürs Klima - und wegen der verunsicherten Bevölkerung ein PR-Desaster erster Güte, wenn es darum geht, weitere CO2-Lagerstätten zu etablieren. Schließlich weiß der Durchschnittsbürger ohnehin nicht so recht, was er von dem farb- und geruchlosen Stoff halten soll, der in hoher Konzentration in der Atemluft zum Erstickungstod führen kann.

Deswegen gibt es Projekte wie "CO2SINK", das in diesen Tagen im brandenburgischen Ketzin starten soll. "Wir wollen herausfinden, wie gut man das CO2 im Boden verfolgen kann", sagt Fabian Möller vom Geoforschungszentrum Potsdam. Dafür sollen über ein Bohrloch binnen zwei Jahren 60.000 Tonnen des Treibhausgases versenkt werden - eine "homöopathische Menge", sagt Möller.

Wie weit der Weg zu einer funktionierenden CO2-Abtrennung und -Speicherung noch ist, beweist allein ein Detail: Weil es noch keine größeren Kraftwerke mit funktionierender Abtrennung gibt, die regelmäßig CO2 liefern könnten, müssen Möller und seine Kollegen in Ketzin das Treibhausgas für ihre Speicherversuche speziell herstellen und anliefern lassen.

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