Komplettes Erbgut im Web Genforscher enthüllt sein Innerstes
Es ist ein Wettrennen der Giganten. Wer es zuerst schafft, hundert menschliche Genome in nur zehn Tagen zu sequenzieren, dem verspricht die US-amerikanische X-Prize-Stiftung eine verlockende Belohnung: den mit zehn Millionen Dollar dotierten Archon X-Prize for Genomics. Die Bedingung: Das Projekt darf nicht öffentlich subventioniert sein und pro Genom darf es nicht mehr als 10.000 Dollar kosten.
Kein Wunder also, dass sich allerlei Prominenz müht, diesen Preis zu ergattern. Erst vor zwei Monaten hatte das US-Unternehmen 454 Life Sciences verkündet, in nur zwei Monaten und für weniger als eine Million Dollar das Erbgut des Nobelpreisträgers James Watson entziffert zu haben, dem Mitentdecker der DNA-Struktur. Das ist schnell - verglichen mit dem Humangenomprojekt, das von 1990 bis 2003 an der Sequenzierung des menschlichen Genoms arbeitete. Aber immer noch zu teuer für den X-Prize.
Jetzt kehrt ein alter Bekannter zurück aufs Sequenzierungsparkett: Der amerikanische Genpionier Craig Venter hat sein Erbgut komplett dekodieren lassen und es im Internet veröffentlicht. Das Wissenschaftsmagazin "PLoS Biology" veröffentlicht seine Arbeit jetzt online - inklusive eines Posters seines Genoms .
Craig Venter gibt sich optimistisch: "Mit einigen neuen Technologien, die wir derzeit testen, können wir ein Genom wahrscheinlich schon für 100.000 Dollar an aufwärts dekodieren", sagt er. "Es könnte durchaus sein, dass wir bis Ende 2008 bereits 20 bis 30 weitere Genome von Menschen veröffentlicht haben." Bis zum Jahresende will er prüfen, ob seine Techniken auch genau genug sind, um brauchbare Informationen zu liefern.
Ambitionierte Pläne. Aber immer noch weit entfernt von einer genetischen Analyse auf Knopfdruck für jedermann.
Mensch ist nicht gleich Mensch
Venters Genom wurde mit der kostspieligen Sanger Technologie sequenziert, und diese zeichnet sich laut Venter durch höchste Genauigkeit aus. Seine DNA verglichen die Wissenschaftler mit der seiner Eltern. Dabei kam Venter zu einer neuen Erkenntnis. Nach seiner Aussage ist das Erbgut der Menschen unterschiedlicher als bisher angenommen. "Wir sind nicht zu 99,9 Prozent identisch, sondern nur zu 99 oder sogar nur zu 98 Prozent", sagt er.
Ein besseres Verständnis der DNA-Abweichungen bei Menschen könnte dabei helfen, die genetischen Grundlagen von Krankheiten zu verstehen, erklärte Richard Gibbs vom Baylor College of Medicine in Houston. Gibbs, der nicht an der Veröffentlichung beteiligt war, nannte Venters Studie "bedeutend".
Auch Hans Lehrach, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, findet Venters Arbeit "technisch sehr interessant". Mit Venters besserer Software seien im Vergleich zu bisherigen Analysemethoden sehr viel genauere Untersuchungen möglich. "So lassen sich wichtige Unterschiede im Genom entdecken", sagt der Genetiker zu SPIEGEL ONLINE.
Auch die Verwandtschaftsbeziehungen von Mensch und Schimpanse nimmt Venter unter die Lupe. So sei nicht wie bisher angenommen, von einer 99-prozentigen Übereinstimmung des Erbguts auszugehen - Mensch und Schimpanse würden lediglich zu 95 Prozent übereinstimmen. "Die technischen Verbesserungen der Analyse gegenüber herkömmlichen Methoden ermöglichen bessere Vergleiche", sagt dazu Lehrach, der auch am Human Genome Project beteiligt war. In Deutschland sei Forschung in diesem Rahmen leider nicht möglich. "Schnellere Fortschritte kann man eben nur mit mehr Geld erreichen", sagte Lehrach zu SPIEGEL ONLINE. Und daran mangele es leider hierzulande.
Blick in die Krankenakte
Dass sich jetzt jeder im Internet buchstäblich ein Bild von den Erbanlagen Venters machen kann, stört den Forscher wenig. Er sieht sich als Pionier: "Ich wollte zeigen: Seht her, ich habe keine Angst vor meinem genetischen Code und bin bereit ihn ins Internet zu stellen." Und er zieht aus den Ergebnissen auch persönliche Konsequenzen. Seit der Sequenzierung nimmt der 60-jährige Wissenschaftler cholesterinsenkende Mittel. Sein Vater war mit 59 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben.
Venter selbst trägt, seinem Erbgut nach zu urteilen, ebenfalls die Anlage für schwere Herzprobleme. Bei der Analyse seines Erbguts stießen die Wissenschaftler auf mehr als 300 Krankheitsgene und auf 4000 bislang unerforschte Varianten der rund 25.000 bekannten Gene des Menschen.
Angst, sein Krankheitsschicksal in seinem Erbgut zu lesen, hat Venter nicht. Ganz im Gegenteil. "Es wäre doch schrecklich, eines Tages zu hören, dass ich gut 90 hätte werden könne, wenn ich vor 20 Jahren begonnen hätte, etwas gegen ein Krankheitsrisiko zu unternehmen", sagt er.
Ob Venters neue Technik helfen wird, das Genom eines Menschen schneller zu entschlüsseln, wird sich erst noch zeigen müssen. Bis zum X-Prize ist der Weg auf alle Fälle noch weit. Und selbst wenn es einmal soweit sein sollte, das menschliche Erbgut in kurzer Zeit zu entschlüsseln, heißt das noch nicht, dass Mediziner mit den Daten auch etwas anfangen können. Erst wenn Wissenschaftler genau wissen, welche Gene wie zusammenspielen, könnte die maßgeschneiderte Medizin Wirklichkeit werden.
khü/dpa/AP