Komplexe psychische Störungen Langzeit- sind Kurzzeittherapien überlegen

Sigmund Freud wirkt: Die auf den österreichischen Psychoanalytiker zurückgehende Psychoanalyse ist bei Patienten mit komplexen Störungen wirksamer als eine kurzfristige Verhaltenstherapie. Das ergab eine Metastudie deutscher Forscher.

Seine Ideen gelten mitunter als antiquiert, doch die von Sigmund Freud begründete Psychoanalyse ermöglicht auch heute eine effiziente Therapie. Dies berichten zwei deutsche Forscher im Fachblatt "Jama" (Journal of the American Medical Association). Falk Leichsenring vom Universitätsklinikum Gießen und Sven Rabung vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hatten den Erfolg der psychodynamische Langzeittherapie mit dem von Kurzzeittherapien verglichen.

Das auch für die Forscher überraschende Ergebnis: Eine Langzeittherapie, die über mindestens ein Jahr oder über mindestens 50 Sitzungen durchgeführt wird, ist bei Patienten mit komplexen psychischen Störungen, wie Persönlichkeitsstörungen oder chronischen Störungen, nicht nur wirksam, sondern kürzeren Therapien signifikant überlegen. "Wir haben nicht mit einem so klaren Ergebnis gerechnet", sagte Rabung im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Bei der psychodynamischen Langzeit-Therapie wird unter anderem untersucht, wie Beschwerden der Patienten mit unvollständig oder falsch verarbeiteten Erlebnissen der Vergangenheit zusammenhängen. Die Behandlung umfasst Dutzende Sitzungen und kann deshalb mehrere Jahre dauern. Zur psychodynamischen Langzeittherapie gehören die klassische, auf Sigmund Freud zurückgehende Analyse und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.

Leichsenring und Rabung verglichen diese Langzeittherapien mit Kurzzeitbehandlungen wie der Verhaltenstherapie. Sie fokussierten sich dabei auf komplexe Erkrankungen wie schwerwiegende Borderline-Störung und multiple Störungen. Die Auswertung von 23 verschiedenen Studien mit insgesamt 1053 Patienten ergab, dass die längerfristigen Behandlungsformen den kürzeren nachweisbar überlegen waren.

Bislang war bekannt, dass die Verhaltenstherapie bei weniger komplexen Störungen gute Erfolge erzielt. Die Wirkungsforschung bei Langzeittherapien lieferte hingegen keine klaren Aussagen, was nach Rabungs Aussage auch an ihren Besonderheiten liegt: "Bei Langzeittherapien über mehrere Jahre ist es kaum möglich, eine unbehandelte Kontrollgruppe zu stellen." Bei kürzeren Behandlungsformen sei dies einfacher, weshalb man ihren Erfolg auch leichter messen könne.

"Die Psychoanalyse kam wegen fehlender Belege immer mehr unter Zugzwang", erklärt der Hamburger Psychologe. Die Metaanalyse komme zu dem zentralen Ergebnis, dass es Patienten mit komplexen psychischen Störungen nach der psychodynamischen Langzeittherapie im Durchschnitt besser geht als 96 Prozent der Patienten in den Vergleichsgruppen, die kürzere Therapien erhalten hätten. Die Kosteneffizienz von Langzeittherapien solle in künftigen Studien untersucht werden, schlagen Rabung und Leichsenring vor.

hda

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