
»Konservative« Energiepolitik Mit Vollgas in die falsche Richtung


Zurück zum Auto? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in einem historischen Polizeiauto im Juli 2022
Foto:B. Lindenthaler / IMAGO
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Das Jahr 2011 war ein Rekordjahr – was den Ausstoß von Kohlendioxid angeht: 34 Milliarden Tonnen wurden damals emittiert, mehr als je zuvor. Unglücklicherweise halten CO₂-Rekorde auf dem Planeten Erde nie länger als ein Jahr. 2022 war der Ausstoß schon auf über 40 Milliarden Tonnen gestiegen .
Schon 2011 waren zwei Dinge klar:
Die Menschheit muss dringend und so schnell wie möglich damit aufhören, fossile Brennstoffe zu verfeuern.
Die Industrie der Zukunft wird eine sein, die, soweit irgend möglich, ohne solche Verbrennungsprozesse auskommt, und zwar weltweit.
Es gab 2011 einen weiteren Rekord: Die Zahl der deutschen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien war auf 415.000 angewachsen. Zum Vergleich: Im Braunkohlebergbau arbeiteten damals in Deutschland noch knapp 23.000 Menschen.
Zwei Branchen hintereinander aktiv zerstört
2019, acht Jahre später, gab es in Branchen für erneuerbare Energien (EE) aber über 100.000 Arbeitsplätze weniger . Der damalige Wirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hatten gemeinsam das geschafft, woran die deutsche Wirtschaft heute leidet: Sie zerstörten die heimische Solarbranche fast vollständig. Sie schränkten 2012 nämlich die Förderung erneuerbarer Energien massiv ein.
Sicher: Beim Niedergang der deutschen Solarbranche spielte auch eine Rolle, dass China – deutlich weitblickender als deutsche Regierungen – die eigene Industrie massiv förderte und damit die Preise für Solarmodule drückte. Aber der totale Kahlschlag der deutschen EE-Industrien war mindestens in Teilen hausgemacht, und zwar mit Begeisterung.
Röttgens Nachfolger Peter Altmaier (CDU) freute sich im September 2012 , dass »unser gemeinsames Gesetz anfängt zu wirken«. So lobend kommentierte er die Tatsache, dass der Zubau erneuerbarer Energien schon im Sommer 2012 massiv eingebrochen war. Altmaier wertete das als Erfolg. Und er setzte noch einen drauf: Als Wirtschaftsminister betrieb er einige Jahre später sehr erfolgreich auch die Zerstörung der heimischen Windenergiebranche , während er sich parallel von der Kohlebranche über den Tisch ziehen ließ .
Was Christian Lindner unter »Vernunft« versteht
2012 geschah noch etwas Interessantes: Der heutige Finanzminister Christian Lindner (FDP) machte in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf mit dem ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten und damals noch aktuellem RWE-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Clement. Die beiden forderten eine »vernunftgeleitete Industriepolitik«. Und sie meinten damit: weniger EE, mehr Kohlekraftwerke. Wirklich.
Im Jahr 2023 ist die Begeisterung über die Vernichtung der EE-Branchen in Deutschland nicht mehr ganz so groß. Für alle, die aufgepasst haben, kommt es wenig überraschend: China will offenbar den in den letzten zehn Jahren erkämpften Vorsprung in Sachen Sonnenstrom nicht so einfach wieder hergeben.
Maschinen für Rohstoffe und Vorprodukte von Solarmodulen will China den Kollegen Christoph Giesen und Claus Hecking zufolge nur noch in eingeschränktem Ausmaß exportieren. Die USA und Europa sollen nicht so schnell nachziehen können. Chinas Marktanteile bei einer der zwei wichtigsten Energietechnologien der Zukunft liegt bei 75 (Solarmodule) bis knapp 97 (Silizium-Wafer) Prozent.
China hat Zukunftstechnologie gefördert, Deutschland Vergangenheitstechnologie, so einfach ist das. Jetzt stehen wir dumm da.
»Politisch gewollt« – was heißt das genau?
Fast schon lustig liest sich vor diesem Hintergrund ein Papier, das Christian Lindners FDP-Bundestagsfraktion gerade vorgelegt hat. Darin steht dem »Handelsblatt« zufolge : »Eine staatlich gelenkte Industriepolitik läuft Gefahr, dass Technologien und Produkte nicht wegen ihres Innovations- und Wachstumspotenzials gefördert werden, sondern weil sie politisch gewollt sind.«
Und das von der Partei des Mannes, der 2012 den Abbau der EE-Förderung und den Ausbau der Kohleverstromung für »vernunftgeleitete Industriepolitik« hielt.
Was die FDP wirklich will, steht auch in dem Papier: Steuersenkungen, die vor allem Unternehmen und Gutverdienern zugutekommen. Und eine Anhebung indirekter Steuern, die Geringverdiener besonders hart treffen würde. Die FDP möchte also das Gleiche wie immer: Klientelpolitik für Wohlhabende. Diesmal aber mit den gewaltigen US-Subventionen fürs Klima als Ausrede.
Was man nicht nur in der FDP, sondern auch in der Union und bei Bayerns Freien Wählern für »vernünftig« hält, war diese Woche erneut zu besichtigen: In großem Gleichklang forderten etwa Markus Söder (CSU) und Hubert »25 Quadratkilometer« Aiwanger (Freie Wähler), dass auch in Europa noch nach 2035 weiterhin Verbrennungsmotoren gebaut und verkauft werden sollen .
CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach gar von einem »links-ideologischen« Verbrennerverbot . Lustigerweise hatte Markus Söder selbst schon 2007 (!) gefordert, dass Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2020 verboten werden sollten.
Hier ein kurzer aktueller Realitätscheck:
Audi will ab 2026 nur noch neue Modelle mit Elektromotor auf den Markt bringen.
Fiat soll bis spätestens 2030 zur reinen Elektromarke werden.
Opel baut ab 2028 nur noch Batterie-elektrische Fahrzeuge.
Bei Citroën wird das Verbrennerzeitalter ebenfalls 2028 enden, die Premiummarke DS baut ab 2024 nur noch E-Autos.
Lancia wird 2026 vollständig elektrifiziert, Alfa Romeo 2027 (Stellantis, zu dem auch noch Fiat, Chrysler, Opel, Citroën und Peugeot gehören, will Weltmarktführer für E-Autos werden).
Jaguar baut ab 2025 nur noch neue Elektromodelle.
Rolls-Royce baut ab spätestens 2030 keine Verbrenner mehr.
Mercedes will in der EU ab 2030 keine neuen Verbrennermodelle mehr anbieten. Mercedes hatte, wie VW, das Votum des EU-Parlaments zum Thema ausdrücklich begrüßt .
Minis soll es ab 2030 nur elektrisch geben (die Marke Mini gehört zu BMW).
Volvos auch,
Ford-Pkw in Europa auch,
Toyota will in Europa bis 2035 nur noch klimaneutral angetriebene Autos verkaufen, ebenso wie Hyundai.
Einzig BMW verfolgt eine sehr unentschlossene E-Strategie – das erklärt zum Teil die Verbrennerliebe der bayerischen Politiker.
Der neue VW-Chef Oliver Blume dagegen sagte laut Redemanuskript diese Woche bei der VW-Betriebsversammlung in Wolfsburg: »Die Transformation hin zu elektrischer und digitaler Mobilität ist in vollem Gang«, und »Mobilität wird elektrisch, bei Autos, Bussen und Lastwagen«.
Irre, diese ganzen Links-Ideologen, oder?
Kategorie »Wunschdenken«
VW-Chef Blume, der im September 2022 vom Porschechef zum Vorstandsvorsitzendes des Gesamtkonzerns aufstieg, galt der FDP lange als Verbündeter in Sachen »Rettet den Verbrenner«. Dann aber stellte sich heraus , dass Blume, offenbar anders als Christian Lindner, genau weiß, dass Verbrennungsmotoren allenfalls in Oldtimern und winzigen Nischen eine Zukunft haben.
FDP und Union sprechen, wenn es um die Zukunft der deutschen Industrie und Energieversorgung geht, gern von »Technologieoffenheit« . Tatsächlich sind die beiden Parteien vor allem für Technologien offen, die definitiv dem Untergang geweiht sind. Oder für Technologien, die im Moment in die Kategorie »Wunschdenken« fallen – wie Fusionskraftwerke. Aber »Ideologen« sind immer die anderen.
Emotionale Bindung ans Brummen und Stinken
Man kann richtig hören, wie sie sich hinter den Kulissen gegenseitig immer wieder von dieser einen Umfrage erzählen, die der Mineralöl-Branchenverband letzten Sommer in Auftrag gegeben hatte . Sie glauben an die emotionale Bindung der Deutschen zum Brummen und Stinken, so einfach ist das. Es geht bei den Verbrenner-Gelöbnissen um Populismus, nicht um echte Politik.
Unterdessen bewegen sich die – vor allem jüngeren – Bewohnerinnen und Bewohner westlicher Industrienationen in eine ganz andere Richtung: Viele wollen gar kein Auto mehr. Gut so.
Der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) verstieg sich diese Woche dagegen zu der Aussage, in Deutschland würden bald »kubanische Verhältnisse« herrschen, weil sich »die Autofahrer nicht alle in Elektroautos zwingen lassen« würden.
Das Muster ist erschreckend einfach
Das Muster ist, wenn man einen Schritt zurücktritt, erschreckend einfach: Union, FDP und Aiwanger sind demonstrativ immer für Technologien, die mit Verbrennungsprozessen zu tun haben. Und für solche, die hier drüben in der Realität einfach keinerlei praktische Relevanz haben.
Diese aggressive, widersinnige, industrie- wie klimapolitisch suizidale Nostalgie nennen sie dann »Vernunft«.
Wie an dieser Stelle schon einmal festgehalten: Wir müssen aufhören, auf diese Leute zu hören. Sie haben uns in die aktuelle Lage gebracht. Und sie wollen so weitermachen.