Streit über Kurzstreckenflüge Wie schädlich ist die halbe Stunde über den Wolken?

Kondensstreifen eines Flugzeuges: Die Klimawirkung der Abgase sind bisher nicht abschließend geklärt
Foto: Federico Gambarini/ DPADieses Mal ist es nicht der Veggie-Day, sondern das Fliegen: Der Wahlkampf startet mit einer neuen Verbotsdebatte – die eigentlich keine ist. Grund ist die Kritik der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock an Kurzstreckenflügen. Diese sollten teurer werden und keine Steuervergünstigung mehr genießen. Außerdem sollte es solche Flüge »perspektivisch« nicht mehr geben. Ob die Kurzstreckenflüge verboten werden oder so unattraktiv gemacht werden sollen, dass sie keiner mehr nutzt, ließ Baerbock offen.
Die Andeutung reichte auch so, um die politische Konkurrenz zu provozieren: Der CDU-Wirtschaftsrat sah das deutsche Lieblingsurlaubsziel Mallorca in Gefahr, Flüge würden unbezahlbar, CSU-Chef Söder geißelte den Vorschlag als »Unsinn« und »wirtschaftliches Problem für unser Land«. Selbst die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hält die Abschaffung dieser Flüge für »nicht nötig«.
Am Donnerstag unterstützte EU-Klimakommissar Frans Timmerman den Vorstoß: Er fordert sogar, den Kontinent von Kurzstreckenflügen zu »befreien«. Er will den Bahnverkehr ausbauen, bei Strecken unter 600 bis 800 Kilometern solle es künftig nicht mehr sinnvoll sein, das Flugzeug zu nehmen – »einfach weil es länger dauert«, sagte Timmermans.
Doch wie wirksam ist eine Abschaffung von kurzen Flügen fürs Klima? Und was muss passieren, damit Geschäftsleute und Urlauber schnelle und günstige Alternativen haben?
Kurzstrecke über den Wolken: Angeblich billig, schnell und CO2-verträglich
Auf den ersten Blick bieten Flüge auf kurzen Strecken heute durchaus Vorteile: Eine Bahnfahrt von Berlin nach Brüssel dauert mit dem Zug rund acht Stunden und kostet 140 Euro. Ein Flug in Nicht-Coronazeiten für die gleiche Strecke dauert rund zwei Stunden und kostet mit einem Billigflieger rund die Hälfte des Bahntickets.
Auch die Klimabilanz sieht auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aus: Betrachtet man den gesamten Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland, machen Inlandsflüge nur einen geringen Anteil aus: Mit etwas über zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr macht der innerdeutsche Luftverkehr laut Umweltbundesamt (UBA) nur 0,28 Prozent der insgesamt rund 800 Millionen Tonnen deutscher Klima-Emissionen pro Jahr aus. Europaweit sind es laut dem Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft sogar unter einem Prozent.
Auf diese Zahlen berufen sich die Airlines und begründen damit, warum Fliegen besser ist als sein Ruf. Doch diese Zahlen täuschen über die eigentliche Klimawirkung des Fliegens hinweg. Das Flugzeug bleibt pro Kopf gerechnet das schmutzigste Verkehrsmittel: Laut UBA produziert die Bahn und der Reisebus pro Personenkilometer weniger als ein Viertel an Treibhausgasen als ein Flug – und sogar der Pkw liegt weit dahinter. Zwar fahren mehr Menschen Auto statt zu fliegen – deshalb ist auch der Anteil der Emissionen des Autoverkehrs insgesamt höher. Doch pro zurückgelegtem Kilometer haben Flugreisende einen extrem hohen CO2-Fußabdruck.
Stefan Gössling, Mobilitäts- und Tourismusforscher an den Universitäten Lund und Kalmar
»Es ergibt keinen Sinn, dass der eine Sektor auf den anderen zeigt – wir müssen bis 2045 alle bei Null-Emissionen sein«, meint Mobilitätsforscher Stefan Gössling, der am Institut für Service Management der Universität Lund und an der Linné-Universität in Kalmar unterrichtet. Gehe man ausschließlich nach CO2-Ausstoß, Energieeffizienz und Ressourcenverbrauch schneide der kurze Flug extrem schlecht ab: »Kurzstreckenflüge sind besonders ineffizient, weil beim Starten des Flugzeuges sehr viel Treibstoff fällig wird.« Da sei die Kurzstrecke eben der größte Klimakiller, weil der Energieaufwand für wenige Kilometer sehr hoch sei.
Der Wissenschaftler schätzt auch den Beitrag des Flugverkehrs zur Erderwärmung weitaus höher ein, weil bestimmte Folgen der Schadstoffemissionen in hohen Luftschichten nicht eingerechnet seien. Das bestätigen auch Studien des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR): Der Wasserdampf und der Ruß aus den Abgasen der Flugzeuge bilden in gut acht Kilometer Höhe Eiswolken, die verhindern, dass Wärme von der Erde ins All abgestrahlt wird.
Fliegen sei zudem bei der Kurzstrecke anders als von den Airlines kommuniziert keine Effizienz, sondern eine Gewohnheitsentscheidung. Durch Bonusmeilen würden gerade Geschäftsreisende verführt, besonders viele Flüge zu machen, um sich auch noch private Reisen anzusparen. »Alle Strecken unter tausend Kilometer kann man auch mit anderen Transportmitteln zurücklegen«, so der Forscher.
Ausbau der Schiene: In maximal vier Stunden durch die ganze Republik
Damit die Bahn aber zur realistischen Alternative in Deutschland und der EU wird, muss noch viel getan werden. Acht Stunden Bahnfahrt von Berlin in die europäische Hauptstadt plus einmal umsteigen, ist verbesserungswürdig. Das sehen auch die meisten Verkehrsexperten so. Die Grünenfraktion im Bundestag meint: Nur mit einem massiven Ausbau der Schiene kann man Inlandsflüge überflüssig machen. Eine engere Taktung der Züge, eine Modernisierung des Schienennetzes und mehr Nachtzüge könnten Abhilfe schaffen.
Aber der Zugverkehr muss auch an Schnelligkeit gewinnen, meint Mobilitätsforscher Gössling: »Wenn wir den Zugverkehr ausbauen und die Züge auf mindestens 250 Kilometer pro Stunde beschleunigen, könnten wir alle wichtigen Städte in Deutschland in vier Stunden erreichen.« Dafür müsste aber mehr in die Bahn-Infrastruktur investiert werden. »In den vergangenen Jahrzehnten ist das meiste Geld für den Ausbau des Autoverkehrs geflossen«, so Gössling. Für eine Verkehrswende müsste das Geld aber in den Ausbau des Schienen- und Busverkehrs fließen.
Die Deutsche Bahn verweist auf SPIEGEL-Anfrage auf mehrere Strategiepapiere. Darin gelobt das Unternehmen seinen Strom bis 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Gleichzeitig verweist es aber auch auf die gute Kooperation mit den Flughäfen: Statt einem Ersatz des Luftverkehrs versteht sich die Bahn eher als Ergänzung und Zubringer – »neuartige Kooperationsformen«, nennt das die DB.

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Bis 2030 will die DB zusammen mit Bund und Ländern die »absolute Rekordsumme« von 170 Milliarden Euro investieren, erklärte ein DB-Sprecher dem SPIEGEL. Ziel sei es, mehr als 30 Großstädte mit einem 30-Minuten-Takt zu verbinden. Außerdem soll es mehr »attraktive Zugverbindungen« geben. »Der Halbstundentakt zwischen Hamburg und Berlin, der im Dezember startete, ist ein erster Vorgeschmack auf den Deutschlandtakt«, so der Sprecher.
Wo es auch anders geht
Dass ein Zurück von der Luft auf die Schiene umsetzbar ist, zeigt Frankreich. Dort half der Staat der angeschlagenen Fluggesellschaft Air France mit Milliardenhilfen aus der Coronakrise – allerdings forderte der französische Staat dafür Umweltauflagen ein.
So kommt es, dass die französische Nationalversammlung Anfang Mai ein Gesetz verabschiedete, das bestimmte Kurzstrecken verbietet. Und das, obwohl in Frankreich nicht die Grünen mitregieren, sondern es aktuell eine eher liberal-konservative Mehrheit von Macrons Partei gibt. Genau genommen besagt die neue Regelung, dass eine Flugverbindung dann verboten wird, wenn ein Ziel auch per Eisenbahn in weniger als 2,5 Stunden Fahrtzeit zu erreichen ist. Was sich gut anhört, ist in seiner Klimawirkung allerdings gering und betrifft nur wenige Fluglinien. Ursprünglich sollten alle Verbindungen abgeschafft werden, die mit der Bahn innerhalb von vier Stunden gefahren werden könnten.
Der Vorteil: Frankreich verfügt bereits über ein gut ausgebautes Netz des Schnellzugs TGV. Dieser kommt auf mehr als 300 Kilometer pro Stunde.
In Deutschland bekamen Lufthansa und TUI hingegen die Finanzspritzen ohne eine Gegenleistung. Deshalb kann die Lufthansa-Tochter Eurowings in der aktuellen Debatte auch gelassen reagieren: Sie wolle an Kurzstreckenflügen festhalten, hieß es von Geschäftsführer Jens Bischof. Der verwies wie gewöhnlich auf den geringen Anteil des innerdeutschen Flugverkehrs an den CO2-Emissionen.