Christian Stöcker

"Lügenpresse" Merkels Fehler, Putins Sieg

Angela Merkel hat neulich etwas sehr Unkluges gesagt - sie scheint selbst zum Opfer von Wladimir Putins "hybrider Kriegführung" geworden zu sein. Wie konnte das passieren?
Angela Merkel, Wladimir Putin (beim G20-Gipfel 2018)

Angela Merkel, Wladimir Putin (beim G20-Gipfel 2018)

Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Für die sonst so bedachte Kanzlerin Angela Merkel war das ein bemerkenswerter Fehler, vergangene Woche bei der Münchner Sicherheitskonferenz: In ihrer Rede sprach sie zunächst von Russlands "hybrider Kriegführung". Direkt danach sagte sie: 

"In Deutschland protestieren jetzt Kinder für den Klimaschutz. Das ist ein wirklich wichtiges Anliegen. Aber dass plötzlich alle deutschen Kinder, nach Jahren, ohne jeden äußeren Einfluss, plötzlich auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss, das kann man sich auch nicht vorstellen."

Doch, das kann man schon. Wenn man sich mal mit ein paar politisch interessierten Kindern und Jugendlichen darüber unterhält, was sie so von den bisherigen Anstrengungen der Erwachsenen in Sachen Klimakatastrophe halten, kann man sich das schnell vorstellen.

Wie aber kommt die Kanzlerin dann auf diese seltsame Idee? Dass da ein "äußerer Einfluss" eine Rolle gespielt haben müsse?

Ein kleiner Rückblick: Die Karriere der "Lügenpresse"

Um das zu verstehen, um die Paranoia zu verstehen, die in Berlin mittlerweile offenbar Einzug gehalten hat, braucht es einen kleinen Rückblick.

Zu Beginn dieser kleinen Zeitreise gibt es eine Quizfrage.

Wann genau tauchte das Wort "Lügenpresse" in den letzten Jahren auf? Und in welchem Kontext?

Sie haben jetzt an Flüchtlinge gedacht, richtig? Vielleicht auch an Pegida oder die AfD.

Das ist aber falsch.

Tatsächlich kam dieser Begriff zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Öffentlichkeit flächendeckend im Jahr 2014 auf. Ab März jenes Jahres gab es in Deutschland sogenannte Montagsdemonstrationen oder -mahnwachen, meist mit einigen Dutzend bis einigen Hundert Teilnehmern. Bei diesen "Friedensdemonstrationen" versammelten sich unter anderem Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und "Reichsbürger". Redner schimpften auf "Kriegstreiber".

"Internationale Finanzelite"

Diverse Vertreter der sogenannten neuen Rechten  waren von Anfang an dabei. Sie verteufelten die USA, die Nato, die "internationale Finanzelite" - und die "Lügenpresse". Die Verschwörungstheorie, dass in Deutschland Medien von unsichtbarer Hand zentral gelenkt werden und "das Volk" gezielt belügen, war in der Welt. Deutschland, ferngesteuert von kapitalistischen "Kriegstreibern".

Tatsächlich begann zu diesem Zeitpunkt jemand anderes einen Krieg: Im Februar 2014 brach der Konflikt in der Ostukraine aus, unter Beteiligung verkleideter russischer Soldaten. Im März besetzte Russland die Krim. Ziel der "Friedensmahnwachen" war aber keineswegs Kritik an Russland - sondern an der Nato.

Das Wort "Lügenpresse" wurde in Deutschland 2014 also hervorgeholt, um Medien "russlandfeindliche" Berichterstattung vorzuwerfen. Im Juli 2014 stand nach der Veröffentlichung einer Titelgeschichte über den Abschuss des Fluges MH17 über der Ostukraine "Lügenpresse" in ein Meter hohen Lettern vor dem SPIEGEL-Gebäude auf dem Pflaster - mit SS-Runen statt Doppel-S. Mit Flüchtlingen hatte all das nichts zu tun, nur mit Russland.

Alles, was spaltet

Heute ist viel bekannt über die Taktik der russischen Auslandspropagandisten, die so effektiv ist wie - mittlerweile - offenkundig: Alles, was ein Land spalten, vorhandene Widersprüche verstärken, den Zusammenhalt schwächen kann, ist erwünscht und wird nach Kräften unterstützt.

Wir wissen längst um Russlands Aktivitäten in Sachen Brexit, in Sachen US-Wahl, in Sachen Wahl in Frankreich , in Sachen europäische Rechte.

Im US-Wahlkampf etwa bemühten sich die Mitarbeiter der russischen Propagandaeinrichtung "Internet Research Agency", Spannungen zwischen schwarzen und weißen US-Bürgern anzuheizen  - mit dem Ziel, möglichst viele schwarze Wähler von einer Stimme für Hillary Clinton abzuhalten .

Die "Leave EU"-Kampagne in Großbritannien fand zwischendurch immer mal Zeit, Wladimir Putin für vermeintliche Erfolge in Syrien zu feiern . Dafür halfen ihr russische Bots.

Erfolg erst im zweiten Anlauf

Aber damals, im Frühjahr 2014, blieb die erhoffte gesellschaftliche Spaltung erst einmal aus. Ende 2014 begannen dann die ersten Pegida-Demonstrationen. Dort wurde der Begriff "Lügenpresse" thematisch umgewidmet - von den gleichen Protagonisten. Jetzt aber ging es gegen den Islam und die nun angeblich zu islamfreundliche "Lügenpresse". Nun war die Resonanz deutlich größer.

Foto: Google

Man kann das gut am Volumen der Google-Suchanfragen erkennen: Der Begriff "Lügenpresse" erlebt seinen ersten Höhepunkt nach einer der ersten größeren Pegida-Kundgebungen  im Dezember 2014. Die Feinde der freien Presse, die Freunde der gesellschaftlichen Spaltung hatten dazugelernt. Fremdenfeindlichkeit hatte in Deutschland offenbar mehr propagandistisches Potential als die Liebe zu Wladimir Putins Russland.

Alles, was spaltet

Deswegen ist es so wichtig, sich das Jahr 2014 so genau anzuschauen, dann erklärt sich auch die aktuelle Paranoia in Berlin: Damals, 2014, hatte man Russlands Propagandaerfolge in Deutschland offenbar übersehen. Selbst der Verfassungsschutz brachte "Lügenpresse" nur mit Pegida in Verbindung , nicht mit der Berichterstattung über Russland und den "Montagsdemonstranten".

Und ja: Wachsamkeit bleibt allemal geboten. Es ist davon auszugehen, dass man in Moskau auch die französische Gelbwesten-Bewegung mit Freude beobachtet. Als im Januar auch in Berlin einige "Friedensaktivisten", und zwar "teilweise Gelbwesten tragend" demonstrierten, freute sich der russische Auslandspropagandakanal "Sputnik" sehr. Vor allem über die Aussage eines Redners, das "Feindbild Russland" sei "fahrlässig". Dieser Redner war einer der Initiatoren der "Montagsdemonstrationen" von 2014.

Putin ist nicht allmächtig

All das heißt aber nicht, dass all diese Menschen von Russland gesteuert werden oder gar, dass Putin allmächtig ist. Vor allem aber heißt es nicht, dass jeder Protest ein Ergebnis russischer Propaganda ist. Die Propagandisten operieren mittlerweile diskreter: Es wird das angefeuert und verstärkt, was schon da ist an Spaltungspotenzial.

Die jungen "Fridays for Future"-Demonstranten aber haben keineswegs eine spalterische oder diffuse Botschaft: Sie wollen einfach, dass die Politik die von ihr selbst festgelegten Klimaziele erreicht.

Und genau hier liegt das Problem mit Merkels Äußerung: Das Schüren und Befeuern von Verschwörungstheorien gehört zum Kerngeschäft der Propagandisten von heute. Wenn Russlands real existierende hybride Kriegführung aber dazu führt, dass legitime Protestbewegungen grundsätzlich für Ergebnisse russischer Propaganda gehalten werden - dann hat die russische Regierung eines ihrer Ziele schon erreicht.

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