Frist bis Ende nächster Woche Im Streit über dreckige Luft droht Deutschland Klage aus Brüssel

Der Konflikt über dreckige Luft in deutschen Städten spitzt sich zu. Bis Ende kommender Woche hat Deutschland Zeit, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Danach droht eine Klage durch die EU-Kommission.
Stau in Stuttgart (Archivbild)

Stau in Stuttgart (Archivbild)

Foto: Sebastian Kahnert/ picture alliance / Sebastian Kahnert/dpa

Die EU-Kommission hat Deutschland und anderen Mitgliedstaaten mit hoher Luftverschmutzung eine letzte Frist bis Ende nächster Woche gesetzt, um wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Nur Schritte, die "ohne jegliche Verzögerung" zur Einhaltung von Grenzwerten bei der Luftreinheit führten, könnten eine Klage Brüssels vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch verhindern, sagte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella.

Von den Mitgliedstaaten gemachte Vorschläge schienen "auf den ersten Blick nicht gehaltvoll genug, um das Gesamtbild zu verändern", sagte Vella. Sie würden jetzt geprüft. Der Kommissar kritisierte, dass die Dringlichkeit des Problems noch immer nicht von allen erkannt worden sei.

20 deutsche Städte schaffen Luftgrenzwerte auch 2020 nicht

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht wenig Chancen, dass die EU-Kommission von einer Klage absieht. Hendricks und ihre Kollegen aus acht weiteren Ländern nahmen am Vormittag in Brüssel an einem Treffen mit Vella teil.

Hendricks betonte nach dem Gespräch die Fortschritte. Die Zahl der deutschen Städte, in denen EU-Grenzwerte für Stickoxide überschritten werden, sei 2017 von 90 auf 70 gefallen. 50 weitere Kommunen lägen nur wenig über den Standards und würden diese bald einhalten.

In 20 Städten allerdings lägen die Messwerte so weit über den in der EU vereinbarten Grenzen, dass auch zwei Jahre zur Senkung nicht reichten. "Das werden wir kaum schaffen", sagte die SPD-Politikerin. "Aber wir werden uns deutlich in die Richtung bewegen, damit sie nicht mehr so erheblich über dem Grenzwert sind."

Dem Umweltbundesamt zufolge sind die Großstädte und Ballungsräume am stärksten mit Stickoxiden belastet, darunter Hamburg, Berlin und München, das Ruhr- und das Rhein-Main-Gebiet. Eine übermäßige Belastung mit Feinstaub ist dagegen nach Hendricks Worten in Deutschland fast kein Thema mehr. Einzige Ausnahme sei Stuttgart.

Hendricks erwartet Klage

"Natürlich sind wir noch nicht da, wo wir sein müssen", sagte Hendricks. Aber das Sofortprogramm saubere Luft der Bundesregierung werde für weitere Verbesserungen sorgen. Sie verwies zudem auf Auflagen für Fahrzeughersteller, Dieselautos sauberer zu machen. Software-Updates könnten den Stickoxid-Ausstoß immerhin um 25 bis 30 senken. Sie habe die EU-Kommission um mehr Zeit für die Umsetzung zu gebeten. Doch sagte Hendricks auch: "Ich halte es für durchaus möglich, dass die EU-Kommission klagt."

Angesichts des "lang anhaltenden Scheiterns" der Mitgliedstaaten, ernsthafte Schritte zu ergreifen, "dränge ich alle Mitgliedstaaten dazu, dieses lebensbedrohliche Problem mit der Dringlichkeit anzugehen, die es verdient", sagte Vella nach dem Treffen. Er wolle den Dialog mit den Regierungen zwar fortsetzen. Die Kommission werde ihre laufenden Verfahren gegen die Mitgliedstaaten parallel aber nicht weiter verzögern.

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Einige Grenzwerte hätten eigentlich schon vor mehr als einem Jahrzehnt erreicht werden sollen, kritisierte Vella. "Ohne neue und wirksame Maßnahmen" würden die Luftstandards noch über "Monate und Jahre und weit über 2020 hinaus" verletzt. Der Umweltkommissar stellte dabei aber keine konkreten Forderungen wie Fahrverbote in Städten, um die Luftverschmutzung zu verringern.

Gegen alle neun Länder laufen bereits Vertragsverletzungsverfahren. Die EU-Kommission verweist auf jährlich mehr als 400.000 vorzeitige Todesfälle, die angeblich auf schmutzige Luft zurückzuführen sind.

Protest von Umweltschützern

Die Grünen fordern ein striktes Vorgehen der EU-Kommission. "Die Europäische Kommission darf bei diesem wichtigen Thema nicht einknicken", sagte die Europapolitikerin Rebecca Harms.

Umweltverbände halten die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung für ungenügend. Wie die Grünen drängen auch die Verbände VCD, BUND, DUH und Nabu die Kommission, den Druck auf die Bundesregierung aufrecht zu erhalten.

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Die Umweltschutzorganisation Greenpeace demonstrierte vor dem Brüsseler Treffen vor dem Gebäude der EU-Kommission. Mit aufgemalten blauen Lungen auf nackten Oberkörpern und Bannern forderten Umweltschützer "Clean Air Now" ("Saubere Luft jetzt").

Greenpeace kritisierte, die Regierungen hätten "über Jahre einfach nicht das Notwendige unternommen, um illegale Luftverschmutzungsniveaus zu stoppen". Dies sei "kriminell und sollte bestraft werden", sagte der Umweltschützer Benjamin Stephan. "Jeder Tag Verzögerung beim Umstieg von Diesel- und Benzinautos auf saubere Formen des Verkehrs wird mehr Tote zur Folge haben und Fahrverbote unvermeidbar machen."

brt/dpa/AFP
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