Machtwechsel US-Forscher sehnen die Ära Obama herbei
Wenn ein Nobelpreisträger auf einem Kongress als Redner angekündigt wird, dann aber kurzfristig absagt, ist die Enttäuschung groß. Nicht so im Fall von Steven Chu, der 1997 den Physik-Nobelpreis für das Einfangen und Kühlen von Atomen mit Laserlicht erhalten hat. Chus Vortrag auf dem Herbsttreffen der American Geophysical Union (AGU) mit dem Titel "Das Energie- und Klimaproblem und was wir tun können" fiel aus - und die Anwesenden waren erfreut.
Denn Chu hatte einen guten Grund, nicht zu kommen. Der künftige US-Präsident Barack Obama hatte den renommierten Klimaforscher und Leiter des Lawrence Berkeley National Laboratory am Dienstag zu seinem Energieminister auserkoren. Der Physiker hat jetzt anderes zu tun, als vor Geoforschern über den Klimawandel zu referieren.
So fand die Sitzung mit dem Titel "Kernfragen der Wissenschaft an den neuen US-Kongress und die neue Administration" ohne Chu statt, doch er war trotzdem präsent. "Ich fordere von dem neuen Präsidenten, dass er alles tut, um den Klimawandel zu stoppen und erneuerbare Energien fördert", sagte Donald Kennedy, von 2000 bis 2008 Chefredakteur des renommierten Wissenschaftsmagazins "Science". "Auf mich wird Obama wohl nicht hören", fügt er hinzu, "aber vielleicht ja auf Chu."
Die Wahl Obamas und die Nominierung Chus haben vor allem die US-Klimaforscher elektrisiert. Sie hatten in den vergangenen acht Jahren immer wieder mit der Bush-Regierung zu kämpfen. Das Problem der drohenden Erderwärmung wurde verniedlicht, relativiert oder sogar ganz negiert. Tausende Wissenschaftler protestierten gegen die Gängelung durch die Regierung Bush.
Unter Obama und seinem Energieminister Chu wird nun Besserung einkehren, hoffen die Wissenschaftler. Zuletzt hatte sich im Wahlkampf gezeigt, wie sehr die Forschungsgemeinde Obama herbeiwünschte: 76 Nobelpreisträger empfahlen, den Demokraten zu wählen - ein Novum in der US-Politik. Zugleich wurden Ängste vor einem Triumph der republikanischen Bewerber John McCain und Sarah Palin laut.
Angst vor Repressalien weicht nur langsam
"The winds of change are blowing", sagte Peter Schultz vom US Climate Change Science Program - eine Anspielung auf Obamas schlichten, aber äußerst erfolgreichen Wahlslogan vom Wandel. Schultz bemühte sich nicht, seine Freude über die anstehenden Veränderungen in Washington zu verbergen. Tim Killeen, bei der National Science Foundation (NSF) zuständig für Geoforschung, schlug in dieselbe Kerbe: "Irgendwie mögen wir das Wort 'change' auch."
Derartig direkte Kritik an der Klimapolitik von Präsident Bush war in den vergangenen Jahren für Angestellte der US-Regierung wie Schultz oder Killeen kaum vorstellbar. "In der Bush-Ära gab es oft nur ein 'Du bist entweder für uns oder gegen uns'", erklärte Michael Halpern im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Halpern ist Sprecher der Union of Concerned Scientist (UCS), einer für Umweltschutz und Transparenz eintretende Wissenschaftlervereinigung. Der starke Druck, sagte Halpern, habe viele Forscher vor allem in Regierungsbehörden verstummen lassen - aus Angst vor Repressalien.
Wie sehr das Weiße Haus viele US-Forscher im Lauf der Jahre eingeschüchtert hat, zeigte sich vor einem Jahr an gleicher Stelle. Damals hielt Bushs Wissenschaftsberater John Marburger auf dem AGU-Herbsttreffen eine Rede über die Erderwärmung. "Der Klimawandel ist nicht die einzige Gefahr für die Menschheit", erklärte er, bei der Abschätzung seiner Folgen bestünden viele Unsicherheiten. Die zuvor veröffentlichte Zusammenfassung der Berichte des Uno-Klimarats IPCC geißelte er als "undifferenziert".
Zwar schüttelte mancher von Marburgers Zuhörern im Saal immer wieder den Kopf. Offene Kritik, etwa im Diskussionsteil der Sitzung, gab es nicht. Diese Zurückhaltung ist auch im Dezember 2008 noch zu spüren: Über die Auswirkungen des Wechsels im Weißen Haus wollen sich nicht alle Forscher so explizit äußern wie die Vertreter der Union of Concerned Scientist.
Zehn-Punkte-Plan für die neue Regierung
"Am 20. Januar müssen sich die Spielregeln ändern", sagte UCS-Sprecherin Francesca Grifo in Anspielung auf den Tag von Obamas Amtseinführung. Grifo stellte in San Francisco einen von der UCS erarbeiteten Zehn-Punkte-Plan für die neue US-Regierung vor. Neben der Forderung nach sauberer Luft und sicheren Medikamenten geht es darin vor allem um Transparenz und die ungehinderte Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse. "Lassen Sie Regierungswissenschaftler sagen, was sie uns sagen wollen", verlangte Grifo. "Zügeln Sie die Macht des Weißen Hauses, die Politik darf die Wissenschaft nicht beeinflussen."
"Obama hat viel versprochen", ergänzte Grifos Kollege Halpern. Jetzt müssten diese Ankündigungen schnellstmöglich umgesetzt werden. Insbesondere geht es Halpern um den Schutz sogenannter Whistleblower, von Behördenmitarbeitern, die Mauscheleien oder Manipulationen publik machen. "Obama hat das versprochen, aber wir fordern, dass die Chefs etwa der Umweltbehörde EPA schon jetzt klare Signale an ihre Mitarbeiter senden."
Die Union of Concerned Scientists hat die politische Einflussnahme in den vergangenen Jahren dokumentiert, so gut sie konnte. "Manipulation, Fälschung - es gibt viele Beispiele für den Missbrauch von Wissenschaft", sagte Grifo. Die Repressalien gegen den prominenten Klimaforscher James Hansen seien nur ein Beispiel unter vielen. "Wir kennen über 90 Fälle, 25 US-Behörden sind betroffen", darunter die EPA und die für Medikamente zuständige FDA. Eine Umfrage unter Forschern in Regierungsbehörden hat laut Grifo ergeben, dass jeder dritte Repressionen fürchtet, wenn er Kritik an der Arbeit seiner Einrichtung äußert.
Trotz der anstehenden Probleme - wegen der Finanzkrise drohen etwa bei Forschungsetats Kürzungen - gehen die Wissenschaftler "hoffnungsvoll" ins kommende Jahr, wie UCS-Sprecher Halpern sagte. Er bleibt jedoch bei aller Obama-Euphorie Realist: "Wir werden den politischen Einfluss auf die Wissenschaft nicht komplett eliminieren können." Jeder Präsident habe letztlich seine Macht auch genutzt. "Aber so etwas durchdringendes wie unter Bush hat es noch nicht gegeben."